Friday, September 8, 2023

Deutschland manövriert sich in den Sand-Engpass

WELT Deutschland manövriert sich in den Sand-Engpass Artikel von Stephan Maaß • 15 Min. Sand, Kies und Steine sind wahre Massenrohstoffe: Sie werden beim Bau genutzt, in der IT-Hardware-Produktion und in der Pharma- und Kosmetikbranche. Deutschland ist reich an Sand – dennoch kommt es wohl in einigen Regionen zu Engpässen. Ursächlich ist ein spezifisch deutsches Problem. Obwohl reichlich Sand da ist: Vorkommen sind in Deutschland nicht leicht zu erschließen Knapp 500 Millionen Tonnen Gesteinskörnungen aus Sand und Kies, Naturstein, Quarzsanden und -kiesen werden hierzulande jedes Jahr nachgefragt. Dazu kommen Ziegel und Zement. Pro Kopf brauchen die Deutschen somit im statistischen Mittel ein Kilogramm Sand und Kies in der Stunde, hat der Bundesverband Mineralische Rohstoffe (Miro) ausgerechnet. Genutzt werden Sand und Steine von Baufirmen und Baustoffproduzenten, in der Glas- und Keramikindustrie, für die IT-Hardwareproduktion, in der Branche der erneuerbaren Energien sowie für Agrar- und Forstbetriebe und in der Pharma- und Kosmetikindustrie. „Diese Massenrohstoffe sind im wahrsten Sinne des Wortes die Basis unseres modernen Lebens“, so Miro-Chefin Susanne Funk. Und es ist genug da. Deutschland verfügt über ausreichend Sand, um Eigenversorger zu sein. „Aus rein geologischer Sicht sind wir reich an hochwertigen Vorkommen, die geeignet sind, langfristig eine vollständige Eigenversorgung unserer Wirtschaft über kurze Transportwege zu garantieren“, sagt Funk. Gerade in Zeiten von Krisen werde deutlich, wie wertvoll diese Fähigkeit zur Selbstversorgung für uns sei. Doch es ist nicht so einfach, diese Vorkommen zu erschließen. Mehr als zehn Jahre dauere es im Schnitt bis zur Genehmigung einer Sand- und Kiesgrube oder eines Steinbruchs. Der Grund ist aus Funks Sicht ein deutsches Problem: Eine „ausgedünnte Expertise bei den zuständigen Behörden“ habe in einigen Regionen zu spürbaren Engpässen geführt. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe vom Dezember 2022 wird die Versorgungslage in den Ballungsräumen um Berlin, Köln, Dresden und im mittleren Donautal knapp. „Wir beobachten, dass die Genehmigungsverknappung zeitnah auch am Niederrhein und in der Mittel-Elbe-Region Wirkung zeigen wird“, so Funk. Dadurch stehe die derzeit noch gute, dezentrale Versorgungsstruktur auf dem Spiel. Konsequenz: Die benötigten Baustoffe müssten dann über längere Strecken transportiert werden. Funk: „Das erhöht die Frachtkosten – und letztlich auch die Baupreise, verzögert den Bauablauf und sollte unter dem Aspekt des Klimaschutzes zwingend vermieden werden.“ Die Lage könnte sich weiter verschärfen. Seit August gilt die neue Ersatzbaustoffverordnung, die beim Baustoffrecycling härtere Auflagen vorschreibt. Die Recyclingquote liegt hier laut Umweltbundesamt bei rund 90 Prozent. Die Stoffe enden als Straßenuntergrund, in Mauerverfüllungen oder als Fundamente unter Fabrikneubauten. Mit den länderübergreifenden Regeln will die Bundesregierung einen „einheitlich hohen Umweltschutzstandard“ gewährleisten und Herstellern sowie Verwendern von Ersatzbaustoffen Rechtssicherheit geben. „So wird der Verbrauch an Primärbaustoffen reduziert, und natürliche Ressourcen und das Klima werden geschont“, heißt es vom Bundesministerium für Umwelt. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) meint, die Verordnung mache den Vorgang aufwendiger, teurer und führe nicht zu einer einfacheren Vermarktung der Stoffe. Es werde sich bald für viele Unternehmen nicht mehr lohnen, Sand, Kies und Steine zur Wiederverwertung aufzubereiten, fürchtet der Verband. Die Recyclingquote würde nach Ansicht des ZDB merklich sinken. Mit der Folge, dass mehr Primärrohstoffe in der Kiesgrube abgebaut werden müssten.