Saturday, March 22, 2025
Protest-Tour gegen Trump: Im Westen der USA erwacht der Widerstand
RND - RedakationsNetzwerk
Protest-Tour gegen Trump: Im Westen der USA erwacht der Widerstand
Karl Doemens • 2 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Bernie Sanders und Alexandra Ocasio Cortez (AOC) bei einem gemeinsamen Auftritt in Denver.
Es ist die Rede seines Lebens. Bernie Sanders hat die kämpferische Philippika gegen die Gier der Reichen und die soziale Ungerechtigkeit im Land im Laufe seines 50-jährigen Politikerlebens so oder so ähnlich bestimmt tausend Mal vorgetragen – doch noch nie vor so viel Publikum wie an diesem Tag und mit einem so starken aktuellen Widerhall.
„Als ich vor ein paar Jahren das Wort ‚Oligarchie‘ benutzt habe, wussten viele Leute nicht, wovon ich sprach“, ruft der Senator der Menge zu: „Nun wissen es alle.“ Der 83-Jährige steht auf einer Bühne im Park vor dem Kapitol des Bundesstaates Colorado. Vor ein paar Jahren hat er hier schon einmal gesprochen. Damals kamen 10.000 Zuhörende. Heute Nachmittag sind es 34.000 alleine in Denver – die größte Menge, vor der er je gesprochen hat.
Anfangs rechnete Sanders mit 800 Gästen
Sanders ist der Alt-Rocker der amerikanischen Linken. Zwei Mal hat sich der Parteilose aus Vermont vergeblich um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten beworben. Noch einmal will er nicht antreten. Doch mit dem Milliardär Donald Trump im Weißen Haus und Elon Musk, dem reichsten Mann der Welt, am Steuerungsknopf der Abrissbirne des amerikanischen Verfassungsstaats hat der greise Sozialist plötzlich ein Momentum. Vor vier Wochen hat er in Nebraska eine Protesttour unter dem Namen „Fighting Oligarchy“ (Kampf der Oligarchie) begonnen. Statt der erwarteten 800 Zuschauer kamen 3400. Seither tingelt er an den Wochenenden durch die Republik. Überall bilden sich lange Schlangen, und die Säle sind überfüllt.
Gleich fünf Auftritte vor insgesamt weit über 80.000 Menschen legt der weißhaarige Revoluzzer an diesem Wochenende im amerikanischen Westen hin. Doch Sanders kommt nicht allein: er hat Alexandria Ocasio-Cortez mitgebracht, die Hoffnungsträgerin der linken Demokraten, die ihre Anhänger nur „AOC“ nennen. Als er in Denver den Arm der 35-jährigen Abgeordneten hoch reißt und sie als „Inspiration für Millionen junger Menschen“ anpreist, wirkt das fast wie eine Staffelübergabe im progressiven Lager. Die Stadt am Fuße der Rocky Mountains ist eine der Hochburgen dieser Wählerklientel. Entsprechend begeistert fällt der Beifall aus.
Die Demokraten in Washington sind verstörend ruhig
Auch ansonsten ist der Auftritt bemerkenswert. Seit zwei Monaten feuert Trump quasi im Minutentakt irgendein Dekret ab, das die Hälfte des Landes in Angst und Schrecken versetzt. Doch von den Demokraten in Washington ist wenig zu hören. Sie haben dem Präsidenten sogar bei der Verabschiedung eines Übergangshaushalts geholfen. Auch sonst wirkt das Land verstörend ruhig. „Die ganze Welt möchte wissen, wann Amerika endlich gegen Trumpismus, Oligarchie und Autokratie aufsteht“, ruft Sanders aus. Der 83-Jährige, der im hohen Alter noch mehr Feuer als mancher Zwanzigjährige versprüht, will dazu den Anstoß geben.
Die Agenda, mit der Sanders und Ocasio-Cortez für den Wandel in den USA kämpfen, klingt geradezu altbacken. Da ist viel von der Arbeiterklasse, von Gewerkschaften und Solidarität die Rede. Beide Politiker konzentrieren sich weitgehend auf soziale Fragen: das Auseinanderklaffen der Gesellschaft, die „Gier der Reichen“, die hohen Mieten, die schlechte Gesundheitsversorgung. Ihre Antworten sind ebenfalls nicht neu: eine Krankenversicherung für alle, ein höherer Mindestlohn, ein gerechteres Steuersystem. Zwischendurch verfällt Sanders kurz in den Duktus seiner vergangenen Wahlkampfreden und verspricht, er werde die Arzneimittelkosten senken.
Bei den vergangenen Wahlen gab es für diese Positionen in den USA keine Mehrheit. Die beiden Politiker setzen offenbar darauf, dass unter dem Eindruck von Massenkündigungen und massiven Einschnitten bei den Sozialversicherungen die Bereitschaft der Bevölkerung für eine radikale Abkehr vom Kapitalismus wächst. Dem nationalistischen Rechtspopulismus der Trump-Regierung setzen sie einen empathischen linken Populismus entgegen. Ihre Attacken richten sich vor allem gegen „die Oligarchen“ und Musk (wofür es den meisten Beifall gibt). Trump spielt bei ihnen nicht die Hauptrolle.
„Es ist nicht Bernie. Es seid Ihr!“
„Ich habe eine schlechte Nachricht für Euch“, ruft Sanders der Menge einmal zu, als sie ihn mit „Bernie“- Rufen anfeuert: „Es ist nicht Bernie. Es seid ihr!“ Seine Zuhörer fordert er zum Engagement in Graswurzelbewegungen, Gewerkschaften und Elternbeiräten auf. Der Weckruf gilt nicht nur einzelnen Bürgern: „Die Demokraten müssen härter für uns kämpfen“, kritisiert Ocasio-Cortez die ängstliche Zurückhaltung ihrer Partei.
Die Menge jubelt. Laurie McKenney sieht das ähnlich. Die ehemalige Luftwaffen-Soldatin ist mit ihrem Mann eine Autostunde von Colorado Springs zur Kundgebung in Denver gefahren. Sie macht sich große Sorgen wegen der angekündigten Einschnitte in der Veteranenversorgung. Viele Amerikaner hätten noch gar nicht verstanden, was auf sie zukomme, glaubt McKenney. Und auch die demokratischen Politiker in Washington würden die Lage verkennen. „Sie verhalten sich so, als hätten wir eine traditionelle Regierung. Aber die Zeiten sind vorbei“, urteilt die Demokraten-Wählerin. Dem müsse sich die Opposition anpassen: „Wir brauchen mehr Bernie und AOC!“