Thursday, December 5, 2024

Kommentar - NULL Flüge seit August: Bei Afghanistan-Abschiebungen zeigt Faeser zwei Gesichter

Kommentar - NULL Flüge seit August: Bei Afghanistan-Abschiebungen zeigt Faeser zwei Gesichter FOCUS-online-Redakteur Sebastian Scheffel (Berlin) • 17 Std. • 3 Minuten Lesezeit In der Migrationspolitik zeigt Innenministerin Faeser ein doppeltes Gesicht: Im Sommer feierte sie sich noch für eine Abschiebung nach Afghanistan – jetzt, da weitere ausbleiben, reicht sie Kritik an die Bundesländer weiter. Innenministerin Nancy Faeser hat keine Lust auf „Scheindebatten“ über die Asylpolitik. Bei der Konferenz mit ihren Länderkollegen will die SPD -Politikerin stattdessen lieber über von ihr vorgelegte Gesetze sprechen. Dabei gäbe es reichlich Gesprächsbedarf über ganz konkrete Asylfragen. Zum Beispiel, wann die nächsten Abschiebeflüge nach Afghanistan und Syrien abheben, wie viele Landesminister es fordern. FOCUS online hatte über Unmut berichtet , weil nach einer Afghanistan-Rückführung im August keine weiteren folgten. Eine Anfrage dazu ließ das Bundesinnenministerium innerhalb der gesetzten Frist unbeantwortet – erst deutlich später äußerte sich Faesers Pressestelle. Dabei wird deutlich, dass Faeser die Themen sich so dreht, wie es ihr gerade passt. Zwei Themen, zweimal verweist Faeser auf die Länder Konkrete Antworten findet man in dem Statement des Innenministeriums nicht. Stattdessen schiebt die Ministerin die Verantwortung von sich weg. Zum Thema Afghanistan heißt es: „Der Vollzug des Aufenthaltsrechts und damit die Durchführung von Abschiebungen liegt in der Zuständigkeit der Länder.“ Immerhin gesteht man ein, „fortlaufend“ zu prüfen, wie man die Bundesländer unterstützen kann. Eine fast exakt gleiche Begründung liefert Faeser übrigens auch beim Thema Türkei. Im September hatte sie einen Abschiebe-Deal mit Ankara angekündigt. 500 Staatsbürger würde die Türkei pro Woche zurücknehmen, hieß es damals aus Regierungskreisen. Allerdings wurden im ganzen Jahr bis einschließlich Oktober lediglich 885 Türken abgeschoben, wie das FOCUS Magazin berichtet . Im August feierte Faeser sich noch selbst Formal liegt das Bundesinnenministerium richtig: Abschiebungen sind Ländersache. Doch in der Praxis geht ohne den Bund wenig, vor allem im Fall von Afghanistan. Denn die dort herrschenden Taliban nehmen Bürger nicht einfach so zurück. Vor dem bislang einzigen Abschiebeflug im August trat die Bundesregierung über Mittelsmänner mit ihnen in Kontakt. So müsste es auch bei weiteren Rückführungen laufen. Dass 16 Bundesländer einzeln verhandeln, wäre undenkbar. Das gilt auch für den Flug selbst. Nach Kabul gibt es keine Linienverbindungen. Dass 16 Bundesländer jeweils eigene Maschinen chartern, wäre unpraktikabel. Schon allein deshalb sind die Aussagen des Innenministeriums fragwürdig. Noch seltsamer wirken sie allerdings, wenn man sie mit Aussagen aus dem August vergleicht. Nach dem damaligen Abschiebeflug nach Afghanistan feierte Faeser nämlich vor allem ihre eigene Leistung – nicht die der Länder. „In den letzten Monaten haben wir als Bundesregierung viel dafür getan, damit die Rückführung in diesen Fällen wieder möglich wird“, sagte sie zum Beispiel. Lob abgreifen, Kritik weiterreichen Doch schon damals fuhr die Ministerin ihre Strategie: Das Lob abgreifen, die Kritik weiterreichen. Letzteres geschah in der Debatte um die 1000 Euro Handgeld, das die meisten Abgeschobenen erhielten. „Das führen die Länder durch“, erklärte Faeser im August lapidar. Auch das stimmt zwar formal. FOCUS online enthüllte aber damals , dass der Vorschlag für das Handgeld von einer Bund-Länder-Stelle unter Aufsicht des Bundesinnenministeriums kam. Bei der aktuellen Anfrage an das Innenministerium hält Faeser trotzdem an ihrer kommunikativen Linie fest. Aus der Pressestelle heißt es: „Die Zuständigkeit für das Handgeld liegt bei den Ländern. Bitte richten Sie Fragen dazu an die zuständigen Stellen der Länder.“ Dort nachgefragt, wundert man sich über diese Aussage. Man warte für künftige Afghanistan-Abschiebungen auf einen Vorschlag des Bundes, der sei bislang nicht gekommen. „Wir haben keine große Migrationskrise“ – oder doch? Auch bei der Gesamteinschätzung der Lage in der Migrationspolitik zeigt Faeser zwei Gesichter. „Wir haben keine große Migrationskrise“, erklärte die Ministerin vor fast genau zwei Jahren im Bundestag entgegen dem Gefühl sehr vieler Menschen in Deutschland. FOCUS online wollte wissen: Wie steht sie heute zu dem Satz? Die Antwort aus dem Innenministerium ist ausweichend, aber vielsagend. Denn wieder feiert Faeser ihre angeblichen Verdienste: „Durch die Maßnahmen der Bundesregierung konnte die irreguläre Migration nach Deutschland erheblich begrenzt werden. Die Zahl der Asylgesuche liegt aktuell um ca. 40 Prozent unter denen des Vorjahres, die Zahl der Abschiebungen um ca. 20 Prozent über denen des Vorjahres.“ Zudem seien durch die Binnengrenzkontrollen 1600 Schleuser festgenommen und 37.000 Personen zurückgewiesen worden. „Das zeigt, dass die Maßnahmen der Bundesregierung wirken.“ Das mag tatsächlich ein Erfolg sein, aber warum waren diese Maßnahmen überhaupt notwendig, wenn es doch nie eine Migrationskrise gab? Offenbar muss Faeser nun doch leise eingestehen, mit ihrem Satz vor zwei Jahren einen Fehler begangen zu haben. Mit Selbstlob fällt ihr das offenbar leichter als mit einem Eingeständnis.