Saturday, March 9, 2024
Finnland verschärft Grenzregime mit Pushbacks – Ampel empört
WELT
Finnland verschärft Grenzregime mit Pushbacks – Ampel empört
von Marcel Leubecher, Klaus Geiger, Marc Pfitzenmaier, Tim Röhn • 14 Std. • 3 Minuten Lesezeit
Finnlands Regierung will Migranten nicht von der russischen Seite hereinlassen, auch wenn sie um Asyl bitten. Befürchtet wird eine Instrumentalisierung der Zuwanderer als Teil von Russlands hybrider Kriegsführung. SPD und Grüne halten Finnlands Plan für gesetzeswidrig – und bekommen Widerspruch.
Finnische Grenzschützer eskortieren im November 2023 Migranten, die an der Grenzübergangsstation zu Russland angekommen sind
Die Pläne Finnlands zur Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze zu Russland lösen eine Debatte über die Einschränkung des EU-Asylrechts aus. Nächste Woche will Finnlands Innenministerin Mari Rantanen einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen.
Im Gespräch mit WELT AM SONNTAG weist sie den Vorwurf zurück, ihr Land verstoße mit der Legalisierung sogenannter Pushbacks gegen EU-Recht. Es gehe um die Wahrung der nationalen Sicherheit. „Diese hat immer Priorität, und das ist auch mit EU-Recht vereinbar“. Rantanen plädiert für eine europäische Neubewertung des Zurückweisungsverbots. „Wir müssen die entsprechenden internationalen Abkommen ändern und das muss auch auf EU-Ebene geschehen.“ Nur auf diese Weise könne Europa das Grundrecht auf Asyl wirklich schützen.
Die Fraktionen der Ampel-Koalition lehnen das Vorhaben ab: SPD-Migrationsexperte Lars Castellucci sagte WELT AM SONNTAG: „Wer europäische Grenzen erreicht, hat ein Recht auf anständige Behandlung. Es muss möglich sein, Asylanträge zu stellen. Dieser Grundsatz wird heute schon verletzt, man denke an die Zustände in Ceuta und Melilla.“
Die finnische Regierung fürchtet eine zunehmende Instrumentalisierung von Asylsuchenden durch Russland, indem diese gezielt bei der Einreise in die EU über die finnische Grenze unterstützt werden. Deshalb soll die Zurückweisung von Migranten auch dann ermöglicht werden, wenn diese um Schutz bitten. Laut Castellucci werde die EU-Asylreform in der Krisenverordnung klären, dass Grenzposten erreichbar bleiben müssen. Zurückweisungen ohne Anhörung blieben auch künftig „nicht vereinbar mit europäischem Recht“.
Julian Pahlke, asylpolitischer Sprecher der Grünen, sagt: „Schutzsuchende dürfen grundsätzlich nicht ohne Prüfung des Asylgesuchs an den EU-Außengrenzen zurückgewiesen werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Entscheidungen immer wieder klargemacht. Auch mit der Reform des europäischen Asylsystems und den Regelungen zur Instrumentalisierung ist das nicht möglich. Asylanträge müssen an der finnisch-russischen Grenze bearbeitet werden.“
Amthor sieht „instrumentalisierte Migration“
Anders sieht es die Union. Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP im EU-Parlament erklärt: „Wir unterstützen Finnlands Regierungschef Petteri Orpo, der auf diese Bedrohung der Sicherheit Finnlands und der gesamten EU sehr konsequent reagiert. Wir stehen zum Asylrecht und zum internationalen Recht. Die EU darf sich von Putin aber nicht erpressen lassen und muss ihm dies entschlossen zeigen.“ Putin führe gegen die EU-Staaten einen hybriden Krieg. „Sein Versuch, Migranten im großen Stil über die russisch-finnische Grenze in die EU zu lassen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir mitten in diesem Konflikt sind.“
Philipp Amthor (CDU), Asylexperte der Unionsfraktion, sagt: „Was für ungesteuerte Migration ohnehin gelten sollte, muss für eine durch fremde Staaten instrumentalisierte Migration erst recht gelten: Eine Überwindung von Staatsgrenzen darf nicht allein unter dem Vorbehalt eines Asylantrages stehen, sondern muss auch durch Vorbehalte staatlicher Interessen begrenzt werden.“ Für Amthor sind „die finnischen Erwägungen nicht nur plausibel, sondern ausdrücklich unterstützenswert – auch für den Fall, dass Bedenkenträger eine EU-Rechtsänderung für erforderlich halten.“
Für den ehemaligen Chef der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, ist Finnlands nationales Vorgehen falsch, aber nachvollziehbar: „Die EU-Außengrenzen sind in den letzten vier Jahren politisch abgerüstet worden. Kein Wunder, dass die Mitgliedstaaten ohne Brüssel nationale Maßnahmen jetzt einseitig treffen wollen“.
Der Franzose, der inzwischen für die Le-Pen-Partei RN für das EU-Parlament kandidiert, fordert eine Reform des Unionsrechts: „Im Allgemeinen sollte die EU-Asylpolitik die schutzbedürftigen Ausländer verpflichten, ihren Asylantrag in einem Konsulat eines Mitgliedstaats zu stellen. Damit könnten die Staaten Asylanträge an den EU-Außengrenzen ablehnen.“
Laut dem Asylrechtler Ulrich Birk von der Universität Bamberg wären „Zurückweisungen direkt an der Grenze europarechtlich zulässig, sofern Finnland plausible Argumente vorbringen kann, dass es sich um eine hybride Kriegsführung Russlands handelt, um mit illegaler Asyleinwanderung Finnland zu destabilisieren“.