Thursday, March 21, 2024

Bürgergeld-Stopp für wehrpflichtige Ukrainer: So will die CDU/CSU Soldaten an die Front drängen

Berliner Zeitung Bürgergeld-Stopp für wehrpflichtige Ukrainer: So will die CDU/CSU Soldaten an die Front drängen Maximilian Beer • 7 Std. • 4 Minuten Lesezeit Die ukrainischen Streitkräfte stehen massiv unter Druck, an der Kriegsfront im Osten scheint Russland zunehmend die Oberhand zu gewinnen. Zwar konnte zuletzt keine Armee bedeutende Gebietsgewinne erzielen. Doch Militärexperten warnen: Sollte die Ukraine nicht bald mehr westliche Waffensysteme und vor allem Munition erhalten, droht sie weiter ins Hintertreffen zu geraten. Weil auch Soldaten fehlen, diskutiert Kiew seit Monaten über eine mögliche Mobilisierung wehrpflichtiger Ukrainer im Ausland. Hunderttausende haben das Land in den vergangenen zwei Jahren verlassen. Ein großer Teil von ihnen hält sich in Deutschland auf. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs sind laut Ausländerzentralregister (AZR) 252.692 männliche Ukrainer nach Deutschland eingereist, die zum Stichtag 31. Januar 2024 im wehrfähigen Alter waren. Sie sind also zwischen 18 und 60 Jahre alt. „Von diesen hielten sich nach Angaben des AZR zum 31. Januar 2024 noch 209.842 Personen in Deutschland auf“, antwortete nun das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Petr Bystron. Das Schreiben liegt der Berliner Zeitung vor. Aktuellere Zahlen gibt es demnach nicht. Laut einem Bericht der Welt waren davon Ende Februar 159.512 Männer zwischen 27 und 60 Jahre alt und somit wehrpflichtig in der Ukraine. Das teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Zeitung mit. Der Ukraine fehlt es an Soldaten. Die Ukraine hatte im Jahr 2022 eine Mobilmachung ausgerufen. Bis auf einige Ausnahmen dürfen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren das Land nicht verlassen. Trotzdem flohen zahlreiche Wehrfähige: In der EU, der Schweiz, Norwegen oder Liechtenstein halten sich 650.000 Ukrainer dieses Alters auf. Im Dezember rief der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow wehrfähige Ukrainer in Deutschland auf, zurückzukehren und ihr Land zu verteidigen. Berichten zufolge sollen sich insbesondere Soldaten im Donbass über das Wegbleiben etlicher Wehrfähiger beschweren. Die Kampfmoral sinke, heißt es. Zwangsmaßnahmen seien jedoch nicht geplant, betonte die ukrainische Regierung im Nachhinein. Es handle sich um eine „Einladung“. Derweil wird in der Ukraine über mögliche Rückholaktionen diskutiert, Opposition und Militär machen Druck auf die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Im Dezember hatte Estland angekündigt, dass es wehrpflichtige Ukrainer ausliefern würde, sollte Kiew darum bitten. „Wenn die Ukraine es braucht, kann Estland diese Personen finden und sie an die Ukraine ausliefern. Im Allgemeinen wissen wir, wo diese Menschen sind und was sie tun. Die meisten von ihnen gehen zur Arbeit und haben einen Wohnsitz in Estland“, sagte Innenminister Lauri Läänemets. Die Bundesregierung äußerte sich bislang zurückhaltend: „Dass wir nun Menschen gegen ihren Willen zu einer Wehrpflicht oder zu einem Kriegsdienst zwingen, das wird nicht der Fall sein“, sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) im Dezember der Deutschen Presse-Agentur. Ähnlich sieht es Buschmanns Parteikollege Alexander Müller, der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Ukraine neue Soldaten benötige und an ihre geflohenen Landsleute appelliere, sagt Müller der Berliner Zeitung. Doch in Deutschland dürfe laut Grundgesetz niemand gegen seinen Willen Dienst an der Waffe verrichten. „Es wäre unmenschlich, Menschen aus anderen Ländern dann dazu zu zwingen. Auch darf keine Diskriminierung männlicher Flüchtlinge zugelassen werden.“ Doch es gibt in Deutschland auch andere Stimmen. Die ukrainische Regierung habe wehrfähige Männer zur Rückkehr aufgerufen, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, der Berliner Zeitung. „Gleichzeitig haben die wehrfähigen Ukrainer in Deutschland vollständigen Anspruch auf Bürgergeld und über 125.000 beziehen dieses.“ Der CSU-Abgeordnete meint: „Diese Bürgergeldzahlungen konterkarieren indirekt die ukrainischen Verteidigungsanstrengungen und befinden sich auch mit unserem Verständnis von Wehrpflicht und Verteidigung des eigenen Landes nicht im Einklang.“ Für ukrainische Kriegsflüchtlinge gilt in der Europäischen Union die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie: Sie genießen „vorübergehenden Schutz“, müssen also kein Asylverfahren durchlaufen und erhalten direkt einen Aufenthaltstitel. Damit einher geht der Anspruch auf Bürgergeld. „Nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es im November 2023 rund 126.000 männliche Regelleistungsberechtigte nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Alter von 18 bis unter 60 Jahren mit ukrainischer Staatsangehörigkeit“, teilt das Arbeits- und Sozialministerium auf Anfrage des Abgeordneten Bystron mit. Der AfD-Politiker hält es für „bezeichnend“, dass der französische Präsident eine Debatte über westliche Soldaten in der Ukraine ausgelöst habe, aber niemand die „Rückführung“ wehrpflichtiger Ukrainer in Deutschland fordere. Im Januar hatte ein Berater des ukrainischen Präsidenten ausländische Regierungen aufgefordert, die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge zu streichen. Damit sie heimkehren und das Land als Steuerzahler oder Soldaten unterstützen. „Die Signalwirkung an die kämpfenden Ukrainer und auch nach innen ist schlecht, wenn wir auf der einen Seite von Kriegstüchtigkeit reden, andererseits aber den Wehrwillen indirekt beschädigen“, sagt der CSU-Verteidigungspolitiker Hahn. Deshalb spreche er sich dafür aus, die Bürgergeldzahlungen an wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland auszusetzen. Auch erwartet Hahn von der Bundesregierung „in Abstimmung mit der ukrainischen Regierung eine schnelle Umsetzung und fortgesetzte Unterstützung, unter anderem durch Amtshilfeleistungen bei der Zustellung der Einberufungsbescheide“. Die Ampel-Regierung spricht sich bislang gegen einen Bürgergeldentzug bei männlichen Ukrainern aus. „Alle Flüchtlinge mit einem Aufenthaltsrecht in Deutschland sollten unabhängig von ihrer Herkunft gleiche Leistungen erhalten“, sagt auch der FDP-Politiker Müller. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales teilt auf Anfrage mit, der Anspruch auf Bürgergeld bestehe, sofern die Personen „über ein Aufenthaltsrecht verfügen, ihren gewöhnlichen Aufenthalt (weiterhin) in Deutschland haben, ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen bestreiten können, grundsätzlich dem Jobcenter zur Integration in Arbeit zur Verfügung stehen und auch die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen“. Dazu eine Sprecherin des Ministeriums: „Die entsprechenden Lebensunterhaltsleistungen sind verfassungsrechtlich geboten.“