Monday, July 10, 2023
Nato-Beitritt Schwedens: Jetzt muss die Nato zeigen, was Unterstützung heißt
ZEIT ONLINE
Nato-Beitritt Schwedens: Jetzt muss die Nato zeigen, was Unterstützung heißt
Artikel von Rieke Havertz • Vor 3 Std.
Nach Erdoğans Zustimmung kann Schweden endlich der Nato beitreten. Doch damit der Gipfel in Vilnius auch im Sinne der Ukraine ein Erfolg wird, braucht es mehr als das.
Die schwedische Begrüßung dürfte nicht nur bei dem norwegischen Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sitzen. Mehr als ein Jahr lang hatte das Bündnis unfreiwillig Zeit, sich auf das 32. Mitgliedsland einzustellen. So lange ließ sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan um seine Stimme bitten. Am Montagabend war es dann wieder einmal Stoltenberg, der in einem trilateralen Gespräch mit Erdoğan und dem schwedischen Premierminister Ulf Kristersson schließlich erreichte, was noch am Montagmittag in pessimistisch weite Ferne gerückt schien: Erdoğan gab seine Blockade auf und unterstützt nunmehr den Nato-Beitritt Schwedens.
Nur wenige Stunden zuvor hatte er genau diese Unterstützung an die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen seines Landes geknüpft. Womit niemand so wirklich gerechnet hatte, weil es auch zwei Sachverhalte sind, die nichts miteinander zu tun haben. Dass EU-Ratspräsident Charles Michel in Vilnius mit Erdoğan, wie er es auf Twitter schrieb, Möglichkeiten ausgelotet hat, wie die Kooperation zwischen EU und der Türkei wieder mehr in den Vordergrund rücken könne, wird nicht geschadet haben. Und wer weiß, was US-Präsident Joe Biden noch an konkreteren F16-Kampfjet-Verbindlichkeiten mit dabei hat.
Ein eindeutiges Signal an Wladimir Putin
Klar ist, dass es das Militärbündnis geschafft hat, schon vor Beginn des an diesem Dienstag beginnenden zweitägigen Treffens eines der Erfolgsbilder des Gipfels zu produzieren. Auf ihm sieht man einen lächelnden Stoltenberg in der Mitte zwischen einem ebenfalls heiteren Kristersson und einem, freundlich interpretiert, neutral blickenden Erdoğan. Doch sein Lächeln braucht die Nato nicht, sie braucht für ihre innere Geschlossenheit und die äußere Symbolik, die davon ausgeht, nur ein knappes "Ja". Schwedens Beitritt – sobald die formale Ratifizierung abgeschlossen ist – schließt die wichtige nordöstliche Erweiterung der Nato ab. Schweden hatte gemeinsam mit Finnland im Angesicht des russischen Angriffskriegs in der Ukraine seine jahrzehntelange Büdnisneutralität aufgegeben. Schweden und Finnland stärken die Nato militärisch, es ist aber vor allem auch ein eindeutiges Signal an Wladimir Putin, der wiederholt vor einem Beitritt der beiden Länder in die Nato gewarnt hatte. Die Nato hat sich davon zu Recht nicht beeindrucken lassen. Allein, das Symbol der Stärke und Geschlossenheit, das von der Büdniserweiterung ausgehen soll, drohte durch Erdoğans (und auch Ungarns) Widerstand zum Symbol der Krise zu werden. Eine Allianz, die es nicht schafft, einstimmig über neue Mitglieder zu befinden – das wiederum ist genau das, was man Putin nicht zeigen will.
Die Schweden-Krise ist also abgewendet, der Gipfel damit gerettet? Nein. Es ist gut und wichtig, dass das Thema abgeräumt wurde und somit Erdoğan die Agenda der kommenden zwei Tage nicht immer wieder dominieren kann. Denn soll der Gipfel auch im Sinne der Ukraine ein Erfolg werden, braucht es mehr als das.
"As long as it takes" ist eine von Joe Biden immer und immer wieder gebrauchte Redewendung, die sich auf den globalen Gipfeln dieser Zeit unter den Unterstützern der Ukraine durchsetzt hat: So lange, wie es nötig ist, wird die Ukraine im Kampf gegen Russland unterstützt. Doch fast eineinhalb Jahre nach Beginn des Krieges zeigen sich Risse in der bis dahin fast undurchdringlichen Wand der Solidarität. Über die Nato-Beitrittsperspektive für die Ukraine wird seit Wochen diskutiert, noch ist völlig unklar, wie dieser Punkt in die Gipfelerklärung überhaupt einfließen soll. Unter denjenigen Ländern, die in Vilnius keine klare Einladung an die Ukraine aussprechen wollen, die mit konkreten Schritten für einen Beitritt verbunden ist, sind Deutschland und die USA. Andere Länder, darunter die baltischen und nordischen Staaten, drängen wiederum auf genau die konkreten Schritte, die der Ukraine Verbindlichkeit in der Nato-Frage bringen.
Die Nato darf bei diesem Gipfel nicht im Vagen bleiben
Biden wiederum ist mit seinem Israel-Modell (und der umstrittenen Streumunition-Entscheidung) nach Europa aufgebrochen: die USA als Schutzmacht für die Ukraine, sobald der Krieg beendet ist. Dazu würde die Idee passen, die in Vilnius weiter ausgebaut werden soll, eine Art Zusammenschluss der Ukraine-Unterstützer zu bilden, um dem Land die Unterstützung auf allen Ebenen zuzusichern, "as long as it takes" – aber bitte ohne roadmap für eine Nato-Mitgliedschaft. Dass die in einer fernen Zukunft sicher ist, das war der Ukraine ja ohnehin schon 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest zugesagt worden und war kein magischer Zaubermantel, der das Land schützte. 15 Jahre und einen Angriffskrieg später muss nun zwingend mehr kommen. Dass über dieses "mehr" keine Einigkeit besteht und das unter Diplomaten so eingeübte Feilschen um Worte sehr öffentlich ausgetragen wird, ist nicht nur nicht hilfreich, es ist auch fahrlässig.
Die Nato darf bei diesem Gipfel in Vilnius nicht im Vagen bleiben, sich nicht darauf ausruhen, mit Schweden ja schon ein Signal gesetzt zu haben. "As long as it takes", das muss auch für die Geschlossenheit der Nato-Unterstützer gelten, denn es ist auch eine der starken Botschaften Richtung Kreml, dass dieser Krieg für ihn nicht auszusitzen ist. Und nicht zuletzt hat Erdoğans Schweden-Manöver gerade gezeigt, wie fragil die Allianz in ihrem Inneren ist. Ein Mitglied kann mit seinem Veto das Bündnis lähmen. Die Ukraine aber braucht keine gelähmten Verbündeten, sie braucht konkrete Zusagen.