Monday, January 31, 2022
Großbritannien: Katerstimmung in 10 Downing Street
SZ.de
Großbritannien: Katerstimmung in 10 Downing Street
Von Alexander Mühlauer, London - Gestern um 22:57
"Versäumnisse in der Führung und im Urteilsvermögen": Der Untersuchungsbericht zur Partygate-Affäre bringt den britischen Premier in Bedrängnis. Johnson sagt "Sorry".
Katerstimmung in 10 Downing Street
Der Montag ging für Boris Johnson ganz gut los, aber das sollte sich dann doch recht schnell ändern. Am frühen Morgen war der Premierminister zum Hafen von Tilbury gefahren, um dort an den zweiten Jahrestag des britischen EU-Austritts zu erinnern. Johnson zog eine orangefarbene Hafenarbeiterjacke an und versprach, dass Großbritannien "die Nummer eins" für Investitionen von Unternehmen werde. Und zwar dank eines Gesetzes, das die neu gewonnen Freiheiten materialisieren werde, Johnson nennt es "Brexit Freedoms Bill".
Der Premier war an diesem Montagmorgen in seinem Element. Er spulte Wahlkampf-Slogans herunter und versprach, was er seit dem Brexit immer wieder versprochen hatte. Ob das wirklich so kommt, ist offen. Und so wurde Johnson im Hafen nach etwas gefragt, das am Montagnachmittag zu einem offenen Schlagabtausch im britischen Unterhaus führen sollte: der Untersuchungsbericht zur Partygate-Affäre. Doch an diesem Morgen im Hafen wiegelte Johnson nur ab und sagte, dass er zu all dem stehe, was er bislang zu dem Thema gesagt habe. Dabei sollte es nicht bleiben.
"Business as usual" also? Davon konnte am Montag keine Rede sein
Denn zur Mittagszeit wurde bekannt, dass "ein Update" des Berichts der Regierungsbeamtin Sue Gray an 10 Downing Street übergeben worden war. Um so etwas wie "business as usual" auszustrahlen, teilte die Regierung am frühen Nachmittag mit, dass der Premier am Dienstag in die Ukraine reisen werde. In Johnsons Agenda stand für den Montagnachmittag außerdem noch ein Telefonat mit Wladimir Putin.
"Business as usual" also? Davon konnte am Montag keine Rede sein. Weder der versuchte Befreiungsschlag mit dem neuen Brexit-Gesetz (inklusive eines mehr als 100-seitigen Papiers mit dem Titel "The Benefits of Brexit") noch die Bemühungen in Sachen Ukraine konnten in London das Thema verdrängen, das Johnson womöglich sein Amt kosten könnte: Partygate.
Gray schreibt allerdings, dass sie nur "sehr eingeschränkt" etwas über die Ereignisse sagen könne
Am Nachmittag, eine gute Stunde vor Johnsons Aufritt im Parlament, war es so weit: Der vorläufige Bericht von Gray wurde veröffentlicht. Auf zwölf Seiten werden insgesamt 16 Partys aufgelistet. Das Fazit des Berichts ist eindeutig: Es habe "Versäumnisse in der Führung und im Urteilsvermögen" gegeben.
Gray schreibt allerdings, dass sie leider nur "sehr eingeschränkt" etwas über die Ereignisse sagen könne. Der Grund dafür seien die noch laufenden Ermittlungen der Metropolitan Police. Die Polizei habe ihr mitgeteilt, dass es angemessen wäre, auf die Zusammenkünfte an jenen Tagen "nur minimal einzugehen", die polizeilich untersucht würden. Es sei, so Gray, deshalb "nicht möglich, einen aussagekräftigen Bericht zu erstellen, in dem die umfangreichen Fakten, die ich sammeln konnte, dargelegt und analysiert werden".
Die Beamtin stellt lediglich fest, dass "einige der Zusammenkünfte" nicht hätten stattfinden oder sich nicht so entwickeln dürfen, wie sie es getan hätten. Gray forderte die Regierung auf, "wichtige Lehren" aus diesen Ereignissen zu ziehen. So sei "der übermäßige Konsum von Alkohol" am Arbeitsplatz "zu keiner Zeit angebracht". Es müssten Schritte unternommen werden, die sicherstellten, dass jedes Ministerium über "eine klare und solide Politik bezüglich des Alkoholkonsums am Arbeitsplatz verfügt".
Ausweislich des Berichts von Gray untersucht die Metropolitan Police derzeit zwölf Partys, bei denen es mögliche Verstöße gegen die Corona-Regeln gegeben haben könnte. Die Polizei hatte nach der Einleitung ihrer Ermittlungen am 25. Januar mitgeteilt, Gray könne ihren Bericht unabhängig vom Ermittlungsergebnis der Behörden publizieren, allerdings ohne Hinweise auf jene Versammlungen, die auch von der Polizei untersucht werden. Sonst bestünde die Gefahr einer "Vorverurteilung". Und so war der Bericht, der Johnson überreicht wurde, fürs Erste nur ein "Update".
Gegen 15.30 Uhr Londoner Zeit trat der Premier schließlich an das Rednerpult des Unterhauses und sagte "Sorry." Eine Entschuldigung sei aber nicht genug, da die Menschen in der Pandemie große Opfer gebracht und sich an die Regeln gehalten hätten, erklärte Johnson. Man müsse deshalb in den Spiegel schauen und Lehren ziehen. Johnson kündigte Umstrukturierungen in seinem Amtssitz an. "Ich verstehe es und ich werde es in Ordnung bringen", sagte er. Ansonsten solle man die Ermittlungen der Polizei abwarten.
Labour-Chef Keir Starmer rief Johnson erneut zum Rücktritt auf. Auch von konservativer Seite kam Kritik. So meldete sich etwa Johnsons Vorgängerin in 10 Downing Street, Theresa May, zu Wort: "Entweder hat mein ehrenwerter Freund die Regeln nicht gelesen oder er und die Menschen um ihn herum haben nicht verstanden, was sie bedeuteten oder sie dachten, die Regeln gälten nicht für 10 Downing Street. Was davon war es?"