Monday, June 10, 2024

Analyse von Ulrich Reitz - Und plötzlich sind die Grünen out - ihre Niederlage haben sie sich redlich verdient

FOCUS online Analyse von Ulrich Reitz - Und plötzlich sind die Grünen out - ihre Niederlage haben sie sich redlich verdient Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • 1 Std. • 4 Minuten Lesezeit Sie sind die Wahlverlierer schlechthin: Zweieinhalb Jahre grünes Regieren haben die rabiate Ökopartei von einer Fortschritts- in eine Belastungspartei verwandelt. Der Megatrend heißt: Anti-Grün. Diese Niederlage haben sich die Grünen hart erarbeitet. Grün war die Hoffnung. Aus der Hoffnung wurde Ernüchterung. Und das nicht nur in Deutschland, wo die Grünen Rekordverluste bei der Europawahl einfuhren. In Frankreich haben sich die Grünen halbiert. Kerneuropa wird anti-grün. Das ist der Megatrend. Und der könnte tiefgreifende Folgen haben. Konkret: Der Green Deal der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – einer im Herzen Grünen mit merkelfarbenem CDU-Parteibuch. Ist er noch, bevor dieses Megaprojekt praktische Zukunft werden kann, zur Vergangenheit geworden an diesem Sonntagabend? Damit nicht genug: Kehrt jetzt, nach dieser anti-grünen Zäsur, die Pro-Auto-Politik zurück? Bevor wir zum Ergebnis der Grünen in Deutschland kommen: Die rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien stellen im nächsten Europaparlament rund ein Drittel der Sitze. Eine Mehrheit für die amtierende Kommissionspräsidentin ist mehr als ungewiss. Von der Leyen liebäugelt mit den Stimmen der französischen und italienischen Rechten, die, anders als die AfD, deutlich auf dem Weg in die politische Mitte sind. Was macht jetzt von der Leyen? Sucht sie ihr Heil in der Allparteien-Koalition der Mitte-Parteien von Grünen über Sozialdemokraten, Liberale und Union? Oder versucht sie es mit den Rechten – was, mit Ausnahme der Union, dann eine europäische Koalition der Wahlverlierer wäre – mit entsprechendem Legitimationsdefizit? Doch nun zu den Grünen, dem großen Verlierer dieser europäischen Wahl. Von einer Zeitgeist-Verheißung zur Bedrohung Entscheidend ist der Mentalitätswandel bei den Wählern: Die Grünen mögen nach wie vor für einen gesellschaftspolitischen Fortschritt stehen – allerdings für die Sorte Fortschritt, die immer weniger Menschen wollen. Grün wandelt sich: von einer Zeitgeist-Verheißung zu einer Bedrohung für den ökonomischen Wohlstand wie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Hält sich dieser Trend, dann ist die von grünen Themen dominierte Ampel-Koalition Geschichte. Sie hätte es dann sich selbst zu verdanken: gewogen – und für zu leicht befunden. Es liegt vor allem an den Grünen. Es handelt sich um eine drastische Niederlage – mit klarer Ansage. Der sozialdemokratische Bundeskanzler und sein grüner Vize – das waren die beiden dominierenden Gesichter im roten und grünen Europawahlkampf. SPD und Grüne wurden abgestraft – und mit ihren Parteien auch deren wichtigste Repräsentanten: Olaf Scholz und Robert Habeck. Braucht es überhaupt noch einen grünen Kanzlerkandidaten? Für die Grünen liegt damit die Frage aller Fragen auf dem Tisch: Ist Robert Habeck jetzt als Kanzlerkandidat an der Reihe, nachdem Annalena Baerbock ihre Chance hatte und sie so überzeugend nicht nutzte? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Grünen sich lächerlich machten, gingen sie überhaupt mit einem Kanzlerkandidaten in die Bundestagswahl in gut einem Jahr? Für die Grünen ist es bitter: Sie wollten Volkspartei sein, daher auch der Anspruch mit dem Kanzlerkandidaten. Nach zweieinhalb Jahren an der Regierung in Berlin haben sie sich in den Augen der meisten Wähler marginalisiert: Zu einer Partei für gesellschaftspolitische Nischenthemen mit Transpolitik. Zu einer Partei, die sich mit einer offensiven Migrationspolitik mehr und mehr von der Bevölkerung entfernt. Die Grünen waren einmal eine linke Frauenpartei. Wie verträgt es sich mit diesem feministischen Anspruch, zugunsten biologischer Männer, die als Frauen „gelesen“ werden wollen, weibliche Schutzräume zur Disposition zu stellen? Wie verträgt es sich mit dem feministischen Anspruch, eine Ausländerpolitik zu machen, die die Augen verschließt vor den rapide zunehmenden sexuellen Übergriffen durch junge Männer aus einem männlich-patriarchalischen Kulturraum? Diese im Gestus der Besserwisserei oder wahlweise mit der Behauptung von Wissenschaftlichkeit in einer demutsfreien Attitüde struktureller Überlegenheit daherkommende Politik findet gerade ihr Ende. Die grüne Arroganz, es unterhalb einer Weltverbesserung – beim Klimaschutz und in der Außenpolitik – gar nicht erst angehen zu wollen, ist perdu. Die meisten Wähler haben die Nase voll davon. Die Art des grünen Regierens ist nicht mehr gewünscht Der offenkundig luftige Umgang mit der Wahrheit beim Atomausstieg – einer ökonomischen Eselei, grüner Geschichte und der Befindlichkeit grüner Brokdorf-Opas geschuldet –hat die Grünen und deren wichtigsten Vormann Kredit gekostet. Die Eierei der Außenministerin bei der Israel-Palästina-Politik – zwischen „Staatsräson“ und der angeblich angebrachten Humanität einer Gaza-Bevölkerung gegenüber, die sich zumindest teilweise augenfällig bereitwillig von einer Terror-Organisation als Schutzschild hat missbrauchen lassen: Wen soll das überzeugen? Und wem soll man Deutschlands im europäischen Vergleich bemerkenswerte ökonomische Misserfolge ankreiden – wenn nicht einem grünen Bundeswirtschaftsminister? Der beispiellose und selbstverschuldete Niedergang der Grünen wird Folgen haben. Kurzum: Friedrich Merz wird es sich von nun an drei Mal überlegen, ob er die Grünen als denkbaren Koalitionspartner der Union ins Spiel bringt. Die Art des grünen Regierens ist von einer sehr großen Mehrheit der Wähler nicht mehr gewünscht. Die Grünen haben sich, das ist die Botschaft der Wähler, eine Zeit des In-Sich-Gehens in der Opposition redlich verdient.