Monday, April 15, 2024

„Naiv“ – ARD-Journalistin kritisiert Aussage von Außenministerin Baerbock

WELT „Naiv“ – ARD-Journalistin kritisiert Aussage von Außenministerin Baerbock Geschichte von Dominik Lippe • 47 Mio. • 4 Minuten Lesezeit Bei Caren Miosga geht es um die Luftangriffe Teherans auf Israel. ARD-Moderatorin Natalie Amiri spricht von einem „Tabubruch“. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai urteilt scharf über den „komplett verfehlten“ Umgang Europas mit dem Iran. Eine mögliche Eskalation steht im Raum. Als Vergeltung für den israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus hat die Islamische Revolutionsgarde in der Nacht zum Sonntag erstmals Ziele in Israel angegriffen. Ein Großteil der mehr als 300 Drohnen und ballistischen Raketen konnten abgefangen werden, doch nun drängt sich die Frage nach israelischen Reaktionen auf. Aus aktuellem Anlass hat auch Caren Miosga am Sonntagabend ihre Sendung kurzfristig umdisponiert. „Iran greift Israel an – Eskaliert die Lage im Nahen Osten?“, fragte sie den FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, die deutsch-iranische ARD-Journalistin Natalie Amiri sowie den Nahost-Experten und Islamwissenschaftler Guido Steinberg. Der erste direkte Angriff auf Israel sei ein „Tabubruch“, erklärte Natalie Amiri einleitend. Zugleich passe er in die „Zermürbungstaktik“ des Irans, die eine „große Eskalation“ unbedingt vermeiden wolle. Während das Staatsfernsehen die Attacken auf die jüdische Republik feiere, spielen Armee- und Regierungsvertreter sie herunter. So habe etwa der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian deutlich gemacht, 72 Stunden zuvor gewarnt zu haben, führte die Journalistin aus. Mohammed Bagheri, Chef der iranischen Streitkräfte, wiederum habe die Angelegenheit für erledigt erklärt, sofern Israel auf eine Reaktion verzichte. "Wir wollen keinen Krieg mit dem Iran" - Anwohner in Jerusalem „Miosga“: Was war das Ziel des Iran? Guido Steinberg bestätigte das Kalkül des iranischen Regimes, mit den Drohnenangriffen keinen Schaden anrichten zu wollen. Vielmehr sei es der Führung darum gegangen, den Hardlinern der Revolutionsgarde eine „entschlossene Reaktion“ zu zeigen. Nach außen laute die Botschaft hingegen, „keinen großen Krieg“ zu wollen. „Wenn die Iraner wirklich Schaden hätten anrichten wollen, hätten sie durchaus die Hisbollah im Libanon losschicken können“, gab der Islamwissenschaftler zu bedenken. Darauf haben sie aber verzichtet. „Das ist ein Signal an die Israelis und an die Amerikaner“. Eine israelische Vergeltung erachtete Steinberg für unnötig. „Es ist nichts passiert, was die Regierung Netanjahu zwingen würde, nun die Iraner direkt anzugreifen.“ „Ich bin mir nicht sicher, dass die Iraner keinen Schaden anrichten wollten“, entgegnete Bijan Djir-Sarai zweifelnd. Die iranische Führung habe ein Bild davon, was passieren könnte, doch zugleich habe sie die „strategischen Abwehrfähigkeiten“ Israels testen wollen. Aus Sicht des FDP-Generalsekretärs handele es sich um „eine neue Dimension“ in einem Konflikt, der bislang indirekt über pro-iranische Milizen wie der Hamas geführt worden sei. Die jetzigen Probleme seien auch Ausdruck einer „komplett verfehlten Iran-Strategie“. Europa und Deutschland hätten das Raketenprogramm des Iran ignoriert und sich auf das Atomabkommen fokussiert, das er selbst „ab einem gewissen Zeitpunkt sogar für einen großen Fehler gehalten“ habe. Er sagte: „Die Iran-Strategie der letzten Jahre war außerordentlich naiv“. „Es hat zumindest Zeit verschafft“, erwiderte Steinberg mit Blick auf das iranische Atomabkommen. Was das Atomprogramm der Republik betrifft, machte er sich allerdings keinerlei Illusionen. „Ich gehe davon aus, dass der Iran ein nuklearer Schwellenstaat ist“, gestand er sich ein. Innerhalb weniger Wochen sei der Staat dazu in der Lage, das spaltbare Material für eine Waffe herzustellen. ARD-Journalistin kritisiert Baerbock-Äußerung „Das ist noch nicht so ganz besorgniserregend, weil die Herstellung der Sprengköpfe etwas dauert“, schränkte der Nahost-Experte ein, doch nach den Angriffen von Samstagnacht werde sich der Blick auf das Atomprogramm „etwas schärfen“. Auch Journalistin Amiri kritisierte die Iran-Politik Deutschlands der vergangenen Jahre scharf. „Konsequenz haben die Mullahs und die Revolutionsgarde nie erfahren“, sagte sie und verwies auf die hohe Zahl der Hinrichtungen im Iran und die gewalttätige Niederschlagung von Demonstrationen. „Es passiert nichts. Der iranische Botschafter wird nicht ausgewiesen. Iranische Banken haben hier immer noch guten Handelsverkehr.“ Es gebe keine neue Iran-Politik, obwohl sich das Regime in Teheran von Jahr zu Jahr radikalisiert habe. In diesem Zusammenhang kritisierte Amiri später in der Sendung auch eine Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zum Gaza-Krieg. „Wenn Außenministerin Baerbock in einem Interview sagt, die Hamas müsste die Waffen niederlegen und dann könnten wir in einen Friedensprozess eintreten, dann sehe ich das als naiv an.“ Der Friedensprozess beginne nicht, wenn die Hamas die Waffen niederlege, sondern wenn Teheran eingedämmt werde. „Und das ist bisher überhaupt nicht vonstattengegangen.“ Guido Steinberg warf zudem einen Blick auf die Vereinigten Staaten, deren Bedeutung als Akteur in der Region zu schwinden beginnt. Sowohl Israel als auch der Iran übergehen Warnungen der Regierung Joe Bidens, „weil sie wissen, dass die USA keinen größeren Konflikt wollen“. Aus der Sicht von Riad, Tel Aviv und Teheran wollen sich die Vereinigten Staaten eher sogar aus der Region zurückziehen. „Alleine diese Wahrnehmung verändert die Stellung der Amerikaner und hat ihre Postion enorm geschwächt“, beurteilte der Islamwissenschaftler. Es sei ein Zeichen dafür, dass „gerade die Epoche der amerikanischen Hegemonie im Nahen Osten“ und vielleicht sogar die „amerikanische Identität als Supermacht“ zu Ende gehe. Den entmutigenden Aussichten der Gesprächsrunde stellte Djir-Sarai schließlich noch eine Spur Optimismus entgegen. „Im Iran gibt es eine aktive Zivilgesellschaft“, betonte der FDP-Politiker, „Das sind Menschen, die Demokratie und ein Leben in Freiheit wollen“. Er sei „fest davon überzeugt“, dass die jüngsten Angriffe des Staates auf Israel von 90 Prozent der iranischen Bevölkerung abgelehnt würden. Vor allem die von Frauen getragenen Proteste der vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass das System der Islamischen Republik „auf Dauer nicht erfolgreich“ sein werde. Vielmehr bestehe die Hoffnung, dass es „sehr bald“ scheitere.