Sunday, April 21, 2024
Meinungsfreiheit: Die Regierung geht autoritär gegen Kritiker vor
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Meinungsfreiheit: Die Regierung geht autoritär gegen Kritiker vor
Jochen Buchsteiner • 14 Std. • 2 Minuten Lesezeit
Zog wegen Kritik an ihrem Haus vor Gericht: Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze, hier nach einer Kabinettssitzung in Berlin
Das Kaiserreich galt Grünen und Sozialdemokraten nie als Vorbild, und doch wirken sie eigentümlich fasziniert von den wilhelminischen Zensurgesetzen, die das Behaupten „entstellter Thatsachen“ mit zwei Jahren Gefängnis ahndeten und Beleidigungen des Kaisers mit Festungshaft. Unlängst stellte Außenministerin Baerbock Strafantrag gegen einen bayerischen Unternehmer, weil der in seinem Garten satirische Plakate über die Grünen aufgestellt hatte. Er wurde freigesprochen, von einem Amtsgericht, das nicht nur dessen Recht auf freie Meinungsäußerung hervorhob, sondern festhielt, dass Politiker mehr hinnehmen müssten als Normalbürger.
Eine weitere Lektion – diesmal aus Karlsruhe – erhielt jetzt Entwicklungshilfeministerin Schulze, die einem Journalisten Kritik an ihrem Haus verbieten wollte. Der Schutz des Staates vor verbalen Angriffen dürfe nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, urteilten die Richter.
Der letzte Fall lohnt einen genaueren Blick, denn viel fehlte nicht, und das SPD-geführte Ministerium hätte eine bisher übliche demokratische Praxis außer Kraft gesetzt: dass auf zugespitzte Regierungskritik mit öffentlicher Zurückweisung (oder souveränem Schweigen) des betroffenen Ministers reagiert wird und nicht mit einer gerichtlichen Klage. Was war geschehen?
Ein Journalist, der schon lange gegen die Ampelregierung polemisiert, hatte auf der Plattform X geschrieben: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro (!!!) Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus.“ Das war nicht Publizistik der subtilen Art, aber in der Sache vertretbar, jedenfalls wenn man den mit dem Post verlinkten Bericht hinzuzieht, aus dem herauszulesen war, dass die deutsche Entwicklungshilfe zwar nicht direkt, aber doch indirekt den Taliban zugutekommt.
Demokratie-Nachhilfe für die Ministerin
Die zuständige Ministerin zog vor Gericht, um die „unwahre Tatsachenbehauptung“ zu unterbinden, und ließ zur Begründung anführen, dass ihr Ehrenschutz verletzt sei und der Post das öffentliche Vertrauen in die Arbeit des Ministeriums erschüttere, mithin seine Funktionsfähigkeit beeinträchtige.
Die gleichsam staatsgefährdende Bedrohung, die Schulze dem einsamen Post eines Boulevardjournalisten zuschrieb, wirkt grotesk, erklärt sich aber aus dem Denken der sozialdemokratischen Innenministerin und ihres Verfassungsschutzpräsidenten. Danach gilt es, allen Meinungsäußerungen den Kampf anzusagen, die den Staat delegitimieren oder verhöhnen; selbst wenn sie sich unterhalb der Strafbarkeitsschwelle befinden.
Nachdem der Fall durch die Berliner Instanzen gegangen war, rückten die Karlsruher Verfassungsrichter nun die Grenzen zurecht und gaben der Ministerin (und dem Berliner Kammergericht) Demokratie-Nachhilfe. Sie erinnerten daran, dass das für die freiheitlich-demokratische Ordnung schlechthin konstitutive Grundrecht der Meinungsfreiheit aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen sei. So wurde in nüchternen Worten eine Regierung bloßgestellt, die sich in der Pose des Demokratieretters inszeniert, aber autoritären Instinkten folgt, sobald sie von der falschen Seite kritisiert wird.