Thursday, April 25, 2024
Macron warnt vor Europas Untergang
Emmanuel Macron spricht am Donnerstag in der Pariser Universität Sorbonne.
Frankreichs Präsident hat eine Rede als Weckruf an die ganze Europäische Union formuliert. Dabei wird die Kluft zwischen ihm und dem Kanzler Scholz in wesentlichen Politikfeldern deutlich.
Macron warnt vor Europas Untergang
Sieben Jahre nach seiner Europa-Rede in der Sorbonne hat der französische Präsident Emmanuel Macron am selben Ort seinen Appell für mehr Eigenständigkeit und Wehrhaftigkeit in dramatischer Weise erneuert. Die Rede war als Weckruf an die ganze Europäische Union konzipiert, besonders herausgefordert fühlen darf sich aber Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Macron lobte zwar mehrfach die deutsch-französische Zusammenarbeit, überdeutlich wurde aber die Kluft zwischen ihm und dem Kanzler in wesentlichen Politikfeldern. "Es besteht die Gefahr, dass unser Europa sterben könnte", warnte Macron. Mehrfach sprach er von einem notwendigen Paradigmenwechsel und machte deutlich, dass ein "Europa der Stärke, des Wohlstands und des Humanismus" sehr viel robuster für die eigenen Interessen eintreten müsse - insbesondere gegenüber den USA und China.
Europa müsse sich aus seiner "strategischen Unmündigkeit" befreien, forderte Macron. Traditionell habe es sich auf Energie aus Russland, Rohstoffe aus China und Sicherheit aus den USA verlassen. Der Präsident sprach sich dafür aus, den "europäischen Pfeiler" der Nato zu stärken. Ähnlich hat sich wiederholt auch Scholz geäußert. Deutlich wurde aber, dass Macron eine sehr viel stärkere Abnabelung von den USA vorschwebt. "Wir brauchen eine strategische Glaubwürdigkeit Europas", verlangte er. Zwingend sei die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie. Es müsse die Devise gelten: "Europe first", Europa zuerst. Auch hier sei ein Paradigmenwechsel nötig. Deutsche Waffenkäufe in den USA hatten in Frankreich wiederholt Verstimmung ausgelöst. Europa müsse überdies eine Macht werden, die sich gegen eine amerikanisch-chinesische Bipolarität wende. Mehrfach beschrieb Macron die USA und China als Konkurrenten Europas.
"Gute Impulse", kommentierte Olaf Scholz
"Frankreich und Deutschland wollen gemeinsam, dass Europa stark bleibt", schrieb Scholz in einer ersten Reaktion im Kurznachrichtendienst X. Macrons Rede enthalte "gute Impulse, wie uns das gelingen kann". Tiefgreifende Differenzen mit Macron hatte Scholz auch in der Vergangenheit stets in Abrede gestellt. Diese zeigen sich aber besonders deutlich im Umgang mit den USA. Scholz setzt ungeachtet der drohenden Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus auf den Fortbestand des transatlantischen Bündnisses und die Verlässlichkeit der USA. "Ich glaube, wir müssen darauf vertrauen, dass das eine langfristige Partnerschaft ist", sagte er am Mittwoch beim Besuch des britischen Premierministers Rishi Sunak in Berlin. Er sei "ganz zuversichtlich, dass sich daran über die vielen Jahre, die wir jetzt vor uns haben, über die nächsten Jahrzehnte nichts ändern wird". Es werde "ja immer wieder einmal neue Präsidenten geben".
Deutlich wurden auch die unverändert großen Differenzen über die richtige Strategie gegenüber Russland. Macron verteidigte seine Forderung, die Entsendung von Bodentruppen in die von Russland überfallene Ukraine nicht auszuschließen. Er stehe zu seiner Forderung nach "strategischer Ambiguität", sagte Macron. Scholz hatte sich im Februar scharf von diesen Überlegungen abgegrenzt und klargestellt, die Entsendung von Nato-Truppen in die Ukraine komme nicht infrage. Russland dürfe seinen Angriffskrieg unter keinen Umständen gewinnen, bekräftigte Macron nun noch einmal. Für die Sicherheit Europas sei das eine Bedingung "sine qua non". Damit setzt Macron einen deutlich anderen Akzent als Scholz, der ebenfalls die Unterstützung der Ukraine betont, aber zugleich vor einem Krieg zwischen Russland und der Nato warnt.
Vorbehalte dürfte es in Berlin auch beim Thema Handelspolitik geben
Auch in der Handels- und Industriepolitik müsse sich Europa selbstbewusster behaupten gegen China und die USA und seine Interessen "klarer schützen", appellierte Macron. Es sei nötig, die eigene Wirtschaft vor unlauterem Wettbewerb zu schützen und die eigene Industrie durch gezielte Investitionen und auch durch erhebliche Kreditaufnahme zu stärken. Auch hier sind massive Vorbehalte der Bundesregierung zu erwarten. Zwar habe sich die Europäische Union während der Corona-Pandemie gut behauptet und auch geschlossen auf den russischen Angriffskrieg reagiert, sagte Macron. Es gelte aber: "Die Schlacht ist noch nicht gewonnen." Es bestehe das "große Risiko, dass wir in den nächsten zehn Jahren abgehängt werden".
Macrons Rede sei ein "berechtigter Weckruf", sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), der Süddeutschen Zeitung. "Es braucht jetzt eine europäische Zeitenwende. Kanzler Scholz muss eine adäquate Antwort auf die Rede finden", forderte Hofreiter. Er erwarte von der Bundesregierung, dass sie gemeinsam mit Frankreich und im Weimarer Dreieck mit Polen "diese Ideen mit Leben füllt. Dazu müssen auch die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, um in den entscheidenden Bereichen zu investieren". Nach seiner ersten Europa-Rede an der Sorbonne 2017, in der er sich für mehr europäische "Souveränität" ausgesprochen hatte, war die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Macron eine inhaltliche Antwort schuldig geblieben.