Monday, April 15, 2024

Claudia Roths Amtsversagen: Eine Aktivistin im Porzellanladen der Kulturpolitik

Frankfurter Allgemeine Zeitung Claudia Roths Amtsversagen: Eine Aktivistin im Porzellanladen der Kulturpolitik Geschichte von Andreas Kilb • 3 Std. • 3 Minuten Lesezeit Ihr Politikverständnis schadet ihrem Amt: Claudia Roth Gleich mehrfach hat Claudia Roth in den vergangenen Wochen mit ihrer Politik und ihrer Person Anstoß erregt. Zuerst gab es Kritik und Rücktrittsforderungen wegen ihres Verhaltens bei der Berlinale-Preisverleihung, als sie nicht protestiert, sondern geschwiegen oder gar applaudiert hatte, während Filmregisseure auf der Bühne ein Ende deutscher Waffenlieferungen an Israel forderten und von Apartheid und Genozid an den Palästinensern sprachen. Dann erhoben die deutschen Gedenkstättenverbände Einspruch ge­gen das Konzept der Kulturstaatsministerin zur staatlichen Erinnerungskultur, weil darin die Verbrechen des Nationalsozialismus und der DDR in eine Reihe mit Themen wie Kolonialismus, Demokratie- und Einwanderungsgeschichte gestellt werden. Und schließlich sorgte Roths Antwort auf eine Anfrage der CDU-Bundestagsfraktion zur Streichung des nationalen Bezugs aus dem Namen des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte Osteuropas für Unmut bei Politikern und Vertriebenenverbänden. Doch das sind nur die offensichtlichen Patzer einer Amtsführung, die man inzwischen als umfassendes kulturpolitisches Versagen bezeichnen muss. Auch bei Themen, die weniger spektakulär, dafür langfristig oft folgenreicher sind, hat Claudia Roth keine glückliche Hand. Die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der größten deutschen Kulturinstitution, droht an ihrem Unwillen zu scheitern, die Gesetzgebung gemeinsam mit den Ländern voranzutreiben und der Stiftung die niedrige zweistellige Millionensumme zu geben, die sie braucht, um den aus eigener Kraft begonnenen Reformprozess fortzusetzen. Das Filmförderungsgesetz steht vor dem Scheitern Zum Filmförderungsgesetz, das in diesem Jahr zwingend neu aufgelegt werden muss, hat sie kürzlich einen Entwurf vorgestellt, der weder mit den Ländern noch mit den Fernsehsendern und Streamingdiensten, die davon besonders betroffen sind, abgestimmt ist und dessen unmittelbarer Effekt darin bestünde, dass der Bund die Förderung künstlerisch anspruchsvoller Filme künftig ganz aus der Hand gibt. Der Widerstand aus der Branche dürfte den ohnehin knappen Zeitplan der Novellierung zum Einsturz bringen. Liegt aber im nächsten Jahr kein neues Gesetz vor, verliert die deutsche Filmförderung ihr Standbein, sie könnte ihre Mittel nur noch unter Vorbehalt vergeben. Die Misere der Rothschen Kulturpolitik, die sich bislang vor allem in Debatten wie über die Documenta und die Erinnerungspolitik zeigt, würde eklatant. Manche führen diese Misere auf die fehlende Nähe der Kulturstaatsministerin zum Kanzler zurück. Tatsächlich hat Olaf Scholz Claudia Roth jüngst bei einer Veranstaltung im Kanzleramt, die eigentlich ihrer Rehabilitierung nach dem Berlinale-Eklat dienen sollte, öffentlichkeitswirksam im Stich gelassen. Roths Vorgänger hatten dagegen meist einen direkten Draht ins Kanzlerbüro. Monika Grütters konnte sich auf die Unterstützung Angela Merkels verlassen; Michael Naumann, der allererste „Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien“, war ein Duzfreund Gerhard Schröders. Die politische Kärrnerarbeit ist ihr fremd Aber der eigentliche Grund für die Pannenserie von Claudia Roth liegt in ihrem Politikverständnis. Die frühere Parteichefin der Grünen sieht das Amt, das sie vor zweieinhalb Jahren angetreten hat, offenbar nicht als kulturpolitische, sondern als aktivistische Aufgabe an. Sie genießt es, vor Publikum über Kunst und Kultur, Demokratie und Vielfalt zu reden, doch die politische Kärrnerarbeit, die solche Predigten erst plausibel macht, ist ihr fremd. „Wie ei­ne Löwin“ wolle sie für ihre Klientel kämpfen, hat Roth gelegentlich erklärt. Aber Kulturpolitik ist nicht die Serengeti, sondern ein Handwerk. Statt Gebrüll verlangt es Geduld und Verhandlungstalent, damit jene Großprojekte nicht entgleisen, die, einmal in Gang gebracht, nur schwer zu stoppen sind. Claudia Roth indes scheint mehr Freude am Pro­jek­te­schmie­den zu haben als an den Mühseligkeiten der Durchführung. Deshalb hat sie etwa zusätzlich zu dem Monumentalvorhaben eines Dokumentationszentrums zur deutschen Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg, das sie von ihrer Vorgängerin geerbt hat, ein „Deutsch-Pol­nisches Haus“ angekündigt, das sich der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte widmen soll. Für keins der beiden Projekte gibt es bislang ein Budget oder einen Bauplatz, nur Expertisen und Kommissionen, die weitere Expertisen verfassen werden. So vergrößern sie den Scherbenhaufen des Unvollendeten, den Claudia Roth nach ihrer Amtszeit hinterlassen wird. Dass diese Ägide früher endet, hätte man sich vor einem Jahr wünschen können. Jetzt ist es zu spät. Die Film- und die Museumsbranche, die Gedenkstätten und die Preußenstiftung werden sich mit Claudia Roth irgendwie bis zur nächsten Wahl durchmogeln müssen. Dann kann ein Nachfolger die Scherben aufkehren. Der Schaden, den die Kulturpolitik des Bundes durch dieses Intermezzo davonträgt, ist nicht absehbar. Aber seine Folgen wird die Kultur noch lange spüren. Lange nach Claudia Roth.