Saturday, March 23, 2024
Papst gesundheitlich angeschlagen – doch seine Gegner bereiten sich auf das nächste Konklave vor
Merkur
Papst gesundheitlich angeschlagen – doch seine Gegner bereiten sich auf das nächste Konklave vor
1Tage • 6 Minuten Lesezeit
Katholische Kirche
An Rücktritt will Papst Franziskus nicht denken. In seiner Autobiografie widmet er sich auch der Kritik an seinem Pontifikat.
Rom – Links neben dem Sessel steht ein Rollator. Das Gehen macht Franziskus zu schaffen. Der Papst sitzt, empfängt freundlich seinen Besucher. Er ist schwerer geworden, schwerfälliger. Vor einer Woche, nach der Generalaudienz, schaffte Franziskus nicht einmal den Schritt hinauf auf das Papamobil. Das Oberhaupt der katholischen Kirche wurde im Rollstuhl davongeschoben.
Es ist ein Dienstag im März 2024. Der Besucher, der später unter vier Augen von der Begegnung erzählen wird, ist vom Papst persönlich ins vatikanische Gästehaus Santa Marta bestellt worden. Das Thema der Besprechung ist ernst. Es geht um Missbrauch, eine katholische Sekte in Lateinamerika. Eigentlich sollten die zuständigen Vatikanbeamten sich der Sache widmen. Doch alles verlief im Sand, mal wieder. Erst als Franziskus persönlich informiert wird, kommt Schwung in die Sache.
Rücktritt von Papst Franziskus wäre vorbereitet
An der Wand im Besprechungssaal im Vatikan-Gästehaus Santa Marta, wo Franziskus lebt, arbeitet und empfängt, hängt das Gemälde der Maria Knotenlöserin, eine Kopie des Augsburger Originals. Die Knotenlöserin ist das Sinnbild seines Pontifikats. Der Papst, körperlich angeschlagen, versucht immer noch persönlich die unzähligen Fragen im Dickicht der katholischen Kirche zu klären. Manchmal sorgt er auch selbst für Missverständnisse.
Neulich erst: Eigentlich wollte er sagen, der Krieg in der Ukraine solle endlich aufhören, die Konfliktparteien sollten Verhandlungen aufnehmen. Weil der Papst mit dem lockeren Mundwerk aber das Bild von der „weißen Fahne“ gebrauchte, gab es einen Proteststurm. Franziskus habe die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert, hieß es. Es mag sein, dass das Pontifikat zu Ende geht. Ruhig geworden ist es nicht um den Papst.
Seine Autobiografie kann man durchaus als eine Art Vermächtnis lesen. „Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“ heißt das gerade erschienene Buch, das der Papst mit dem Vatikanjournalisten Fabio Marchese Ragona verfasst hat. Franziskus ist 87, gerade hat das zwölfte Jahr seines Pontifikats begonnen, von dem er einmal sagte, dass es „eher kurz“ sein würde. Zeit für Rückblicke, Zeit für Einordnungen. Endzeitstimmung im Vatikan?
Papst Franziskus sieht keinen Grund, von seinem Amt zurückzutreten
Wer Franziskus sieht, mag zu dem Schluss kommen, dass es bald vorbei sein könnte. Seit Jahren plagt ihn der Ischias, 2023 zwang ihn eine Divertikulitis ins Krankenhaus. Das Knie schmerzt, Franziskus braucht Rollstuhl und Rollator. Ständig erkältet er sich, leidet immer wieder an Bronchitis. Öffentliche Ansprachen, etwa bei der Generalaudienz, halten andere für ihn. Franziskus liebt Süßigkeiten, kann sich nur noch wenig bewegen. Sein Bauch ist sichtbar gewachsen.
Einen Grund, das Amt niederzulegen, sehe er nicht, schreibt der Papst jedoch in seiner Autobiografie. „Die Dinge würden sich ändern, wenn eine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung einträte.“ So schwerwiegend sind seine Beschwerden derzeit nicht. „Es kann schon noch ein paar Jahre so weitergehen“, sagt ein kundiger Vatikanbeobachter.
Für den Fall des Falles hat Franziskus seine Rücktrittserklärung unterschrieben „und im Staatssekretariat hinterlegen lassen“, wie er schreibt. „Sollte dies jemals eintreten, würde ich mich nicht emeritierter Papst, sondern einfach emeritierter Bischof von Rom nennen lassen und nach Santa Maria Maggiore umziehen, um wieder die Beichte abzunehmen und den Kranken die Heilige Kommunion zu spenden.“ So kann man es nun nachlesen.
Im Zwiegespräch, so berichten diejenigen, die ihn kürzlich persönlich getroffen haben, wirkt Jorge Bergoglio so einnehmend und energisch wie eh und je. Er kümmert sich persönlich um komplexe Fragen, macht Witze, benutzt Kraftausdrücke. „Es un desgraciado“, das ist ein Mistkerl, sagt der Papst unter vier Augen über einen spanischsprachigen Bischof, von dem er sich verraten fühlt. Gut vorstellbar, dass Franziskus genug hat von den Hofintrigen, Auseinandersetzungen, Demütigungen. Aber nein. So ist es offenbar nicht. Das Petrusamt sei „auf Lebenszeit“, schreibt er, abgehärtet von tausenden Disputen. „Dieser Mann hat eine Nilpferdhaut“, sagt ein Argentinier in Rom, der ihm nahesteht.
Papst Franziskus erzählt seine eigene Geschichte und sein eigenes Denken an Weltereignissen entlang.
Im Buch geht es ausführlich um die Familie Bergoglio und ihre piemontesischen Wurzeln. Franziskus erzählt seine eigene Geschichte und sein eigenes Denken an Weltereignissen entlang. Es geht um den Zweiten Weltkrieg, die Kubakrise, die Militärdiktatur in Argentinien, die Fußball-WM 1986. Damals war der 49 Jahre alte Bergoglio zu Gast bei einer Familie Schmidt in Boppard bei Bonn. Er schrieb seine Doktorarbeit, lernte Deutsch am Goethe-Institut, schaute Fußball und vertiefte seine Hingabe an das Bildnis der Maria Knotenlöserin, die ihm half, „alle meine Knoten zu lösen“.
Der Fall der Berliner Mauer spielt im Buch eine Rolle, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Weltwirtschaftskrise 2008 sowie der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 – und wie Bergoglio seine eigene Wahl im folgenden Konklave lange nicht kommen sah. Als es die neuen Kleider anzulegen galt, will Franziskus in der Sixtinischen Kapelle gesagt haben: „Ich werde nur die weiße Soutane tragen und das Brustkreuz, das mich, seit ich Erzbischof bin, begleitet, und meine orthopädischen Schuhe werde ich behalten!“
Aus dem Leben Jorge Bergoglios erfährt der Leser, wie es ist, wenn sich ein späterer Papst und damaliger Seminarist verliebt in „ein Mädchen, dessen Schönheit und Intelligenz mir den Kopf verdrehten“. Eine der prägenden Figuren für den jungen Bergoglio ist außerdem die Leiterin eines biochemischen Labors, Esther Ballestrino, eine überzeugte Kommunistin. In den 1950ern liest Bergoglio kommunistische Zeitschriften, die sie ihm gibt. Von Ballestrino habe er viel über Politik gelernt. „Dennoch habe ich die kommunistische Ideologie nicht übernommen.“
Doch die Gerüchte halten sich bis heute. „Selbst ein mit mir befreundeter Kardinal erzählte mir einmal, eine sehr gläubige Katholikin habe ihm anvertraut, ich sei der Antichrist. Und warum? Weil ich keine roten Schuhe trage! Doch wer über die Armen spricht, ist nicht automatisch Kommunist.“
Papst Franziskus hat viele Kritiker
Aufschlussreich ist auch der Abschnitt über Bergoglios Zeit im argentinischen Córdoba, 1990 bis 1992. Zuvor hatte er die argentinische Provinz der Jesuiten geleitet, nun schickten ihn die Ordensoberen in die „Verbannung“. „In diesen knapp zwei Jahren“, schreibt der Papst, „dachte ich viel über meine Vergangenheit nach, über meine Zeit als Provinzial, über die Entscheidungen, die ich egoistisch und aus dem Bauch heraus getroffen hatte, über die Irrtümer, die ich wegen meines autoritären Gehabes begangen hatte, sodass man mir schließlich vorgeworfen hatte, ultrakonservativ zu sein.“ Ultrakonservativ, Kommunist, Antichrist? Was nun? Wer ist Franziskus?
Auch heute hat der Papst viele Kritiker, auf allen Seiten. Die Links-Katholiken in Deutschland sind verbittert, dass er die Reformen des Synodalen Wegs ausbremst. Die Traditionalisten in Rom werfen Franziskus vor, das Papsttum zu zerstören. Seine Gegner bereiten sich bereits auf das nächste Konklave vor, mögliche Kandidaten werden geprüft. Doch alle Kritiker wirken machtlos gegenüber diesem scheinbar schwächelnden Papst. Abwarten ist die große Devise. „Die Mao-Tse-Tung-Taktik“, nennt das der Buchautor und Vatikan-Beobachter Marco Politi („Im Auge des Sturms“). „Sie warten am Ufer, bis der Leichnam des Feindes vorübertreibt.“
Der nächste Papst: eine schwere Wahl
Die finale Abrechnung lieferte jüngst ein anonymer Kardinal auf der Webseite der konservativen „Nuova bussola quotidiana“. Dort schimpft er gegen den „autokratischen, zuweilen nachtragend wirkenden Regierungsstil; eine Nachlässigkeit in Fragen des Rechts; eine Intoleranz selbst gegenüber respektvoll geäußerten Differenzen, und – was am schwersten wiegt – ein Muster der Mehrdeutigkeit in Fragen des Glaubens und der Moral“. Auch dieser Affront ließ Franziskus kalt. Er bräuchte „einmal die Woche einen Psychologen (…), wenn ich all dem nachgehen würde, was über mich gesagt und geschrieben wurde!“, schreibt er in der Biografie.
Immer noch bringt Franziskus die Kraft auf für das eine oder andere Revolutiönchen. Die Erklärung Fiducia Supplicans vom Dezember, die die Segnung homosexueller Partner erlaubt, ist ein Beispiel. Undenkbar unter Johannes Paul II. oder Benedikt. Franziskus duldet sogar, dass die afrikanischen Bischöfe die Erklärung beinahe geschlossen ablehnen. Man müsse die Kultur jener Länder verstehen.
Franziskus hat der Kirche viel zugemutet. Sie wird sich wohl erst erholen müssen von jenem Schwung. Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen für das nächste Konklave. Ob es nach vorne gehen wird, zurück oder die Kirche auf der Stelle tritt, ist ungewiss. Einig sind sich die Kenner nur darin, dass es die schwierigste Papst-Wahl seit Langem werden könnte. (Julius Müller-Meiningen)