Friday, March 1, 2024
Nun erntet die deutsche Hochschulpolitik die Früchte ihres Versagens
WELT
Nun erntet die deutsche Hochschulpolitik die Früchte ihres Versagens
Geschichte von Hannah Bethke • 5 Std.
Wenige Akademiker streben eine Professur an der Universität an. Das ist alarmierend – aber wenig überraschend: Seit der Bologna-Reform wird die humanistische Bildungstradition in Deutschland systematisch zerstört. Auch in der Gesellschaft gehört Unkenntnis fast zum guten Ton.
Nun hat Deutschland es geschafft: Der Bildungsnotstand gehört nicht bloß zur traurigen Realität der Schulen, er ist auch an den Universitäten ausgebrochen. Die Nachwuchswissenschaftler sind endgültig vergrault: 71 Prozent der befristet arbeitenden Postdocs denken über einen Ausstieg aus der Wissenschaft nach, erstmals ist für sie eine Professur nicht mehr „das primäre Karriereziel“, und unter den Doktoranden streben nur noch 16 Prozent eine Professur an. Das ergibt eine aktuelle Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, über die zuerst die „Zeit“ berichtet hat. Die Zahlen sind alarmierend – aber nicht überraschend.
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Seit Jahren schlägt die deutsche Hochschulpolitik einen grundlegend falschen Kurs ein und erntet nun die Früchte ihres Versagens. Seit der Bologna-Reform vor mehr als zwei Jahrzehnten wird die humanistische Bildungstradition, auf die Deutschland lange Zeit mit Stolz blicken konnte, systematisch zerstört. Der bildungsferne Geist von Bologna hat die intrinsische Motivation, die sich aus der Freude am Lernen, Lesen und Forschen speist, durch eine bezifferte Welt ersetzt, die den Zweck des Studierens nicht in sich selbst sieht, sondern im Verteilen von Leistungspunkten.
Eine ganze Denkungsart wurde auf diese Weise zersetzt, ökonomisiert, inhaltlich ausgehöhlt. Der Niveauverfall, der aus solchen Standardisierungen folgt, erregt nur deshalb kaum Aufmerksamkeit, weil die Gesellschaft sich auch außerhalb der Hochschulen in einer tiefen Bildungskrise befindet und fehlende Kenntnis fast zum guten Ton gehört.
Wer gute Leuten will, muss gute Bedingungen schaffen
Der Zersetzungsprozess des Denkens aber geht seit Jahren Hand in Hand mit einer desaströsen Anstellungspolitik für den akademischen Mittelbau, der unter prekären Bedingungen und permanenter Befristung arbeiten muss, ohne irgendeine gesicherte Perspektive zu haben. Das elende Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das noch immer nicht vom Tisch ist und die Anstellungszeit von Postdocs auf empörende Weise reglementiert, tut sein Übriges, um den Nachwuchs zu vertreiben.
Wer sehenden Auges in die Katastrophe rennt, darf sich über die Folgen nicht wundern: Denn jetzt bekommen die Universitäten offenbar ein Nachwuchsproblem – bis hin zur Besetzung von Professuren. Wo die Besten das Weite suchen, weil sie leicht etwas Besseres finden, als sich den zermürbenden Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems auszusetzen, leidet die Qualität.
Seitdem das Regiment des antiintellektuellen „Wissenschaftsmanagements“ herrscht, wird die Aufgabe einer Universität allzu gern mit den Belangen eines Unternehmens verwechselt. Ausgerechnet dort aber, wo die Universität wirklich aus der freien Wirtschaft lernen könnte, schaut die Politik nicht hin: Wer gute Leute haben will, muss für gute Bedingungen sorgen. Ganz einfach.