Friday, March 1, 2024

Nawalny-Beerdigung: Was erwarten die Moskauer und wie reagiert der Kreml?

Berliner Zeitung Nawalny-Beerdigung: Was erwarten die Moskauer und wie reagiert der Kreml? von Nicolas Butylin • 4 Std. Die zentrale Frage unter Nawalny-Anhängern: Wie viele trauen sich am Freitag zur Bestattung zu kommen? Eine eher triste Gegend umgibt den Borissow-Friedhof im Süden Moskaus: Eine graue Shoppingmall mit Supermärkten und Fitness-Studio, eine Autowaschanlage, weiß-graue 15-etagige Hochhäuser wohin das Auge reicht. Dazu eine stark befahrene Straße in unmittelbarer Nähe, immerhin ist der Moskwa-Fluss nicht weit weg. Eigentlich keine besondere Wohngegend in der russischen Metropole. Außer: Alexej Nawalny lebte in der Gegend. In diesem Bezirk wird der Oppositionspolitiker auch seine letzte Ruhe finden. Zunächst wird am frühen Freitagnachmittag Moskauer Zeit ein Trauergottesdienst in einer Kirche ganz in der Nähe der Metro-Station Marijno stattfinden. Das teilte Kira Jarmysch, die Pressesprecherin des verstorbenen Oppositionspolitikers auf X, ehemals Twitter, mit. „Wenn euch Alexejs politische Arbeit etwas bedeutet hat, bitte ich euch zu kommen“, sagt sie in einer Videobotschaft. Später, etwa gegen 16 Uhr Moskauer Zeit, soll der wohl berühmteste russische Oppositionspolitiker des vergangenen Jahrzehnts im Borissow-Friedhof bestattet werden. Zwischen der Kirche und dem Friedhof liegen etwas mehr als zwei Kilometer – also ein Fußmarsch von circa 28 Minuten, wie Nawalnys Sprecherin in ihrem Video ankündigt. Bietet sich da die Möglichkeit eines politischen Protests? Derzeit unklar. Der russische Staat scheint sich einen Tag nach Putins Rede zur Lage der Nation vorzubereiten, jedweden politischen Akt mit aller Härte zu unterbinden. Russische Exilmedien berichten schon am Donnerstagabend von ersten Patrouillen vor dem Friedhof, Polizeigitter sind sichtbar aufgestellt worden, Beamte installieren provisorische Überwachungskameras an Straßenlaternen. Auch in der Nähe der U-Bahn-Stationen Borisowo und Marijno kontrollieren Polizeikräfte mehrere Passanten. Darüber hinaus sollen Polizisten am Friedhofseingang Besucher auffordern, ihre Pässe zu zeigen und den Zweck des Grabstättenbesuchs erläutern. Das Durchsuchen der persönlichen Gegenstände wird laut einem russischen Telegram-Kanal mit dem „Verhindern von terroristischen Operationen“ begründet. Es wird – für viele Nawalny-Anhänger erwartungsgemäß – keine „normale“ Trauerfeier sein. Doch wie genau werden Nawalnys Freunde, Bekannte und einfache Fans des Kreml-Kritikers den Tag begehen? Schließlich drohe die Festnahme, wenn Beamte die Trauerfeier als eine politische Kundgebung interpretieren. Es herrsche Angst: „Ich werde nicht zur Beerdigung gehen, da ich befürchte, die Polizei wird viele Leute auf dem Nachhauseweg festnehmen“, sagt ein in Moskau lebender Nawalny-Anhänger der Berliner Zeitung, der aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden kann. „Vor allem Männer mittleren Alters werden im Visier der Staatsmacht sein.“ Auch Alexej Nawalnys Witwe, Julia, die erst kürzlich vor dem EU-Parlament sprach und „Putin persönlich zur Verantwortung ziehen“ will, befürchtet ein großes Polizeiaufgebot im Süden Moskaus. „Ich kann nicht garantieren, ob es friedlich verlaufen oder ob die Polizei diejenigen verhaften wird, die gekommen sind, um sich von meinem Mann zu verabschieden.“ Schon kurz nach den ersten Todesmeldungen vor zwei Wochen, als mehrere Moskauer Blumen in Andenken an Nawalny niederlegten, kam es zu zahlreichen Festnahmen. Ein gemeinsames Trauern fand bisher stets im Verborgenen statt. Der Nawalny-Unterstützer, der mit der Berliner Zeitung spricht, denkt, die Polizei werde nicht nur am Freitag Menschen festnehmen, sondern besonders in den Folgetagen. „Deshalb auch die Überwachungskameras, deshalb die Gesichtserkennungen an den Ein-und-Ausgängen der Metro, deshalb die Abfrage der Pässe am Friedhofseingang“, sagt er. Mit einer Gefährderansprache wie in Deutschland oder ähnlichem habe das jedoch nichts zu tun. Der Kreml werde demnach ein „ausuferndes Trauern“ als politischen Akt verstehen – im schlimmsten Falle drohen dann „nicht mehr nur ein paar Nächte in U-Haft“. Selbst Solidaritätspostings auf VKontakte (Anm. d. Red.: ein russisches Facebook-Pendant) oder Instagram müssen vorsichtig geschrieben werden, sonst drohen Strafen à la „Diskreditierung gegenüber Staatsbediensteten, Extremismus oder Gewaltverherrlichung“, sagt der Moskauer. Er kenne Freunde, denen mit der Exmatrikulation aus der Universität gedroht wurde, sollten sie zur Nawalny-Beerdigung gehen. Am 16. Februar berichtete der Föderale Strafvollzugsdienst im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen, dass Nawalny in der sogenannten Polarwolf-Kolonie gestorben sei. Neun Tage später wurde die Leiche des Oppositionellen seiner Mutter übergeben. Diese sagte während einer Videoansprache, sie sei unter Druck gesetzt worden, ihren Sohn heimlich und ohne mediale Öffentlichkeit zu begraben. Sie weigerte sich jedoch, diesen Forderungen nachzukommen. Nawalnys Team will live von der Trauerfeier berichten.