Thursday, March 14, 2024

Macron, Scholz und die Ukraine: „Frankreich hat Schwierigkeiten mit der Teamarbeit“

Tagesspiegel Macron, Scholz und die Ukraine: „Frankreich hat Schwierigkeiten mit der Teamarbeit“ Geschichte von Andrea Nüsse • 10 Std. • 4 Minuten Lesezeit Macron hat Kanzler Scholz mit seinem Bodentruppen-Vorstoß aufgeschreckt. Jetzt kommt der Präsident nach Berlin. Experten über den Wandel der französischen Ukraine-Politik. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, geben sich nach einer Pressekonferenz im Elysee-Palast die Hand. Sein eigenmächtiger Vorstoß, die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht auszuschließen, hatte auch Bundeskanzler Scholz aufgeschreckt. Die Verstimmung schien groß. An diesem Freitag kommt der französische Präsident Emmanuel Macron nun zu Gesprächen nach Berlin. Zusammen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk will man im Rahmen des Weimarer Dreiecks (Frankreich, Deutschland, Polen) die westliche Politik koordinieren. Während Polen schon immer eine harte Position gegenüber Russland vertrat, hat die Haltung Macrons gegenüber Wladimir Putin eine deutliche Entwicklung durchlaufen. Hatte er noch im Juni 2022 dafür plädiert, Russland „nicht zu demütigen“ und sich mit seinen besonderen Telefonkontakten gebrüstet, präsentiert sich der französische Präsident nun als der Verfechter einer „unbegrenzten Unterstützung“ der Ukraine. Wie kam es zu dem Kurswechsel? Was will Macron jetzt genau? Der dreifache Fehler Macrons Der französische Sicherheitsexperte Jonathan Guiffard sieht in Macrons jüngstem Vorstoß „eher eine Verschiebung von Nuancen als einen Kurswechsel“. Macron habe bei der Ukraine-Konferenz vor zwei Wochen klarmachen wollen, dass die Europäer „alles tun, damit Russland als Verliererin aus dem Konflikt hervorgeht“. Das habe er illustriert mit der Ankündigung, „notfalls auch Soldaten zu schicken“. Eine Arbeitshypothese, die dem Wunsch entspringe, Russland die „Machtverhältnisse“ aufzuzeigen. Allerdings habe Macron diesen Vorstoß offensichtlich ohne Absprache mit den europäischen Partnern vorgenommen. „Das ist ein dreifacher Fehler“, analysiert Guiffard. Es zeige zum einen, dass Frankreich „Schwierigkeiten mit der Teamarbeit hat“. Zudem sei der Effekt von Macrons Kraftdemonstration durch die Kritik von Verbündeten wie Deutschland „abgeschwächt“. Und nicht zuletzt habe Macron damit „eine Flanke für innenpolitische Kritik an seiner Ukraine-Politik eröffnet“, sagt Guiffard dem Tagesspiegel. Der Direktor des französischen Thinktanks Europe Creative, Romain Le Quiniou, spricht von einem „schärferen Ton“ bei Macron. Er erklärt dies damit, dass die Ukraine sich in einer „delikaten Lage“ befinde und Russland seine Aggressionauch gegen den Westen verstärke – in Form von Desinformation und hybriden Angriffen. Am 12. Februar hatte Paris ein russisches Netz aufgedeckt, das auf Französisch Falschinformationen zur Ukraine im Netz verbreitet. Der trilaterale Austausch im Rahmen des Weimarer Dreiecks am Freitag in Berlin sei für Macron „offensichtlich von großem Interesse“ angesichts der „immer komplizierteren Beziehungen mit Berlin und insbesondere zwischen Macron und Scholz“, sagt Le Quiniou dem Tagesspiegel. In Paris glaubten viele, dass dies das richtige Format für „ein strategisches europäisches Erwachen“ ist im Hinblick auf Industriepolitik, Verteidigung und EU-Erweiterung – gerade nach dem Machtwechsel in Polen. Die Genese von Macrons Ukraine-Politik Damit hat die Osteuropa-Politik Macrons seit seiner ersten Wahl zum Präsidenten 2017 aber doch eine weite Strecke zurückgelegt. In seiner ersten Amtszeit habe Macron zwei Wege verfolgt, sagt der Sicherheitsexperte Guiffard vom Institut Montaigne. Zusammen mit Deutschland wollte er im Rahmen der Minsker Verhandlungen mit Russland und der Ukraine eine Lösung zu finden. Gleichzeitig machte er den Versuch, die diplomatischen Beziehungen zum russischen Präsidenten zu verbessern. Die Einsicht in die ideologische Realität in Russland hat gefehlt. Jonathan Guiffard, französischer Sicherheitsexperte Doch habe es Macron an „Einsicht in die ideologische Realität in Russland gefehlt“, sagt Guiffard. Er habe auch nicht die Lehren aus dem gescheiterten Versuch von US-Präsident Barack Obama 2009 gezogen, der die Beziehungen zu Russland neu aufstellen und verbessern wollte. Rücksicht auf „gedemütigtes“ Russland Wie viele französische Politiker sei Macron ein Anhänger des strategischen Denkens gewesen, das Russland nach dem Ende des Kalten Krieges als „gedemütigt“ einstufte. Man habe daran geglaubt, dass Russland dem Rest Europas dennoch nahe sei und man daher pragmatisch die Beziehungen nur „beruhigen“ müsse, sagt Guiffard. Immer wieder habe Macron nach seinen Telefonaten mit Putin intern erklärt, er lasse sich nicht täuschen, berichtet die französische Zeitung „Le Monde“ unter Berufung auf einen Teilnehmer. Dann habe er aber festgestellt, dass Putin keine strategischen Ziele mehr formuliere, und die Gespräche ins Leere laufen. Letztes Telefonat im September 2022 Nach der Entdeckung der Massaker in Butscha im März 2022 seien die Abstände der Telefonate größer geworden, schreibt „Le Monde“ unter Berufung auf Quellen im Élysée. Seine Rolle als Vermittler habe Macron dann endgültig im September 2022 aufgegeben, nach einem letzten Gespräch über die Sicherheit des von der russischen Armee besetzten Atomkraftwerkes Saporischschja. Macron fühlte sich persönlich getäuscht von Putin Die Wandlung vom Vermittler zum wortstarken Widersacher bezeichnete ein Ex-Minister in „Le Monde“ als „Radikalisierung durch Enttäuschung“. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj interpretierte die Wandlung der Haltung Macrons ähnlich: Macron habe verstanden, dass „Putin ihn persönlich getäuscht“ habe, sagte Selenskyi am 11. März in einem Interview, es habe einige Zeit gebraucht, „aber das Resultat sind da“. Seine neue Einschätzung wurde öffentlich deutlich, als sich Macron am 1. Juni 2023 in Bratislava für einen schnellen Nato-Beitritt der Ukraine aussprach. Seither soll eine mögliche Entsendung von Bodentruppen in Frankreich geprüft worden sein – am 12. Juni 2023 sei sie Thema im Verteidigungsrat gewesen sein, schreibt „Le Monde“. In seiner großen Pressekonferenz am 16. Januar spricht Macron von einer „zivilen Aufrüstung“ der französischen Gesellschaft – dazu gehört unter anderem das Auswendiglernen der Nationalhymne in den Schulen. Der französische Präsident habe „zu großes Vertrauen“ in Putin gehabt, stellt auch der Sicherheitsexperte Jonathan Guiffard fest. Damit stand Macron zwar nicht allein in der westlichen Politik. Aber er scheint die größten Konsequenzen aus den strategischen Fehlern der Vergangenheit ziehen zu wollen. Mit dem trilateralen Treffen in Berlin aber vielleicht nicht mehr im Alleingang.