Friday, March 8, 2024

DIW-Konjunkturprognose: „Die Stimmung in Deutschland ist deutlich schlechter als in vielen anderen Ländern“

Handelsblatt DIW-Konjunkturprognose: „Die Stimmung in Deutschland ist deutlich schlechter als in vielen anderen Ländern“ von Schug, Sebastian • 53 Mio. • 5 Minuten Lesezeit Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sitzt in seinem Büro. Die Wirtschaftsforscher vom DIW rechnen für 2024 mit Stagnation in Deutschland. Präsident Marcel Fratzscher erklärt, wieso auch das mangelnde Vertrauen der Unternehmen in den Standort dafür mitverantwortlich ist. WirtschaftsWoche: Herr Fratzscher, das DIW rechnet für 2024 nur mit einer Stagnation der deutschen Wirtschaft, im vergangenen Jahr waren die Ökonomen noch optimistischer. Was hat sich geändert? Marcel Fratzscher: Wir merken, dass die Stimmung in Deutschland extrem schlecht ist. Vor allem bei den Unternehmen, aber auch bei den privaten Haushalten, bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Ein Teil dieser Schwäche hat sicherlich etwas mit Psychologie zu tun, mit der Stimmung, die in Deutschland deutlich schlechter ist als in vielen anderen Volkswirtschaften. Das ist auch historisch so, im Vergleich zu anderen Schwächephasen. Haupttreiber der schlechten Entwicklung sind die Investitionen, die Unternehmen halten sich mit Investitionen im Inland stark zurück und investieren stattdessen kräftig im Ausland. Das spiegelt sich in der Leistungsbilanz wider, deren Überschuss nach unserer Prognose in diesem Jahr bei über 300 Milliarden Euro liegen wird, das sind 7,1 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das zeigt, es mangelt nicht an Ressourcen, an Kapital in Deutschland, auch nicht bei den Unternehmen, sondern viele Unternehmen wenden sich von Deutschland ab und eher dem Ausland zu. Auch die Finanzpolitik spielt eine wichtige Rolle, sie wird im kommenden Jahr kaum zur wirtschaftlichen Dynamik beitragen. Angesichts der Haushaltslage und der Schuldenbremse ist von der Bundesregierung hier wenig zu erwarten, oder? Realistisch sehe ich wenig Hilfe, zu wenig Hilfe. Die Fiskalpolitik ist angesichts der wirtschaftlichen Probleme zu restriktiv, sie müsste deutlich expansiver sein. In einem doppelten Sinne, zum einen konjunkturell, also um kurzfristig die Nachfrage anzukurbeln und damit die Wirtschaft in diesen schwierigen Zeiten zu stützen, aber vor allem auch langfristig, um die Angebotsseite zu stützen, also den Unternehmen bei der Transformation zu helfen. Infrastruktur in den Bereichen Digitales, Energie, Verkehr und Bürokratieabbau sind die Felder, in denen der Staat mehr tun muss. Realistischerweise wird das aber ein langsamer Prozess sein. Das wird also nicht schnell helfen. Darüber hinaus brauchen wir einen massiven Schub an privaten Investitionen. Die Investitionsschwäche der Unternehmen hat viele Ursachen, eine davon ist der Fachkräftemangel. Wir haben heute 1,8 Millionen offene Stellen, in den nächsten zehn Jahren werden es fünf Millionen mehr sein, und wenn die Unternehmen nicht die Mitarbeiter haben oder bekommen, die sie brauchen, können sie auch nicht investieren. Darf man hoffen, dass die Investitionsschwäche im Inland durch Geldgeber im Ausland ausgeglichen wird, oder ist das Wunschdenken? Nein, das ist kein Wunschdenken und wir sehen das auch punktuell. Die ausländischen Investitionen in Deutschland sind nicht gering. Wir haben gigantische Projekte wie Intel in Magdeburg, TSMC in Dresden und auch Tesla in Grünheide. Hier gibt es große Auslandsinvestitionen, Deutschland ist nach wie vor attraktiv. Ich sehe die ausländischen Investitionen nicht als die Achillesferse. Die eigentliche Achillesferse ist, dass die deutschen Unternehmen, die schon hier sind, viel zu wenig in Deutschland investieren. Das lässt sich nur zum Teil mit dem Aufbau alternativer Lieferketten begründen, um von China unabhängig zu werden. 2025 soll das Bruttoinlandsprodukt endlich wieder wachsen, um 1,2 Prozent, getrieben vom Konsum. Wie kommen Sie zu dieser optimistischen Prognose angesichts der großen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Risiken? Die Prognose ist nicht unbedingt optimistisch, denn wir dürfen nicht vergessen, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr 1,4 Prozent unter ihrem Potenzial produzieren wird. Das ist die Produktionslücke zu dem, was wir theoretisch produzieren könnten. Auch mit 1,2 Prozent Wachstum ist die Lücke nicht geschlossen, sondern erst 2028. Und das ist erst einmal eine sehr schlechte Botschaft, denn es ist ungewöhnlich, dass eine Volkswirtschaft so lange braucht, um wieder ihr Potenzial auszuschöpfen. Es ist richtig, dass die Risiken, die wir sowohl für dieses als auch für das nächste Jahr sehen, eindeutig nach unten gerichtet sind. Das heißt, es besteht eher die Gefahr, dass wir die Prognosen nach unten korrigieren müssen. Das hat verschiedene Gründe, einer ist die mögliche erneute Präsidentschaft von Donald Trump. Er hat bereits angekündigt, dass er, wenn er wieder ins Amt kommt, Strafzölle von 60 Prozent auf chinesische Produkte und Importzölle von zehn Prozent auf alle Produkte weltweit verhängen wird, auch auf deutsche Exportprodukte. Deutschland war schon während seiner letzten Präsidentschaft aus seiner Sicht ein Gegner in der Handelspolitik. Weitere Risiken sind die Abhängigkeit von China und geopolitische Konflikte wie in der Ukraine und möglicherweise im Nahen Osten. Über eine mögliche Zinswende in den USA und Europa wird jetzt schon einige Zeit diskutiert. Kommt die Zinswende wirklich bald, oder ist das – mit Blick auf die weiterhin erhöhte Inflation - eher ein frommer Wunsch? Es gibt einen großen Unterschied zwischen den USA und der Eurozone. Die US-Wirtschaft ist ein Lichtblick in den Konjunkturprognosen, weil sie sich immer wieder als robust erwiesen hat und sich besser entwickelt hat, als wir gedacht haben. Es ist verständlich, dass die amerikanische Notenbank den ersten Lockerungsschritt verschoben hat. Aber die Eurozone ist in einer ganz anderen Situation. 0,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr sind schwach. Selbst ohne Deutschland würde die Eurozone nur um ein Prozent wachsen. Meiner Meinung nach sollte die EZB sehr bald mit Zinssenkungen beginnen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Geldpolitik mit einer sehr großen Verzögerung reagiert. Das heißt, eine Zinssenkung jetzt wird erst in knapp eineinhalb bis zwei Jahren ihre volle Wirkung entfalten. Derzeit liegt der Leitzins bei viereinhalb Prozent. Der neutrale Leitzins liegt nach unseren Schätzungen zwischen 2,5 und 2,75 Prozent. Die große Differenz zeigt, wie restriktiv die Geldpolitik derzeit ist und wie lange es dauern wird, wieder in den neutralen Bereich zu kommen. Die Erholung des Welthandels scheint nach der DIW-Prognose eher zögerlich Gestalt anzunehmen. Kann Deutschland zumindest hoffen, von dieser Erholung so zu profitieren, wie es durch den Abschwung gelitten hat? Deutschland wird von einer anziehenden Weltwirtschaft profitieren, keine Frage. Aber es gibt einen Verzögerungseffekt, weil im Moment im Welthandel eher die Vorleistungen anspringen, bei denen Deutschland nicht so stark ist. Deshalb wird der positive Effekt auf Export und Handel für Deutschland erst ab 2026 richtig spürbar. Diese Prognose beruht allerdings auf der Annahme, dass Donald Trump nicht an die Macht kommt und seine Wirtschaftspolitik umsetzt, dass es nicht zu Handelskonflikten zwischen China und den USA oder China und Europa kommt, da diese auch Deutschland wieder stärker treffen würden. Darüber hinaus sind die Auswirkungen des geopolitischen Konflikts in der Ukraine überhaupt nicht abzuschätzen.