Wednesday, March 20, 2024

„Da bin ich gescheitert“: Der Einfrierer Mützenich über seine Haltung zum Ukraine-Krieg

Merkur „Da bin ich gescheitert“: Der Einfrierer Mützenich über seine Haltung zum Ukraine-Krieg Christian Deutschländer • 14 Std. • 3 Minuten Lesezeit SPD-Fraktionschef will über Frieden sprechen Rolf Mützenich redet über ein Ende des Ukraine-Kriegs. Verrennt sich der SPD-Fraktionschef – oder bleibt er sich einfach treu? München/Berlin – Im Mai 2022 saß ein frustrierter Rolf Mützenich in einem kalten Büro. Es ist ein paar Wochen nach der „Zeitenwende“-Rede seines Kanzlers. Er hat sie mitgetragen, auch die Pläne zum Sondervermögen der Bundeswehr, zu Waffenlieferungen an die Ukraine. Aber nicht aus Überzeugung. „Ich bedaure sehr, dass wir den nachfolgenden Generationen keine bessere Welt hinterlassen“, sagt er. „Ja, das nagt an mir. Ist ja klar.“ Über sein Lebensthema Abrüstung erklärt er: „Da bin ich gescheitert.“ Friedenspolitiker Mützenich will über Frieden in der Ukraine sprechen Der Frust des Friedenspolitikers, protokolliert in einem bemerkenswerten Spiegel-Porträt: Damals klang es so, als habe Mützenich sich irgendwie abgefunden mit einer neuen Weltlage eskalierender Konflikte, in der er zum Sonderling wird. Jetzt, zwei Jahre später, scheint sich das Blatt zu wenden. Mützenich, mächtiger Fraktionschef im Bundestag, rückt plötzlich ins Zentrum einer Art neuen Friedensbewegung in der SPD. Er fordert das „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs, nimmt den Kampf auf gegen Taurus-Lieferungen – und hat den Kanzler nun wohl doch auf seiner Seite. Mützenich hat es am Donnerstag im Bundestag als Frage formuliert. „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Man sieht die grüne Außenministerin irritiert den Kopf schütteln. Der rote Verteidigungsminister distanziert sich von den Worten. Die FDP rückt ab. Und der ukrainische Ex-Botschafter Andrej Melnyk, eine Art Tourette-Diplomat, nennt ihn den „widerlichsten deutschen Politiker“. SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich sorgte mit Aussagen zum „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs für Aufsehen. Beharrlich, nachdenklich, leise: Mützenich gilt als vorsichtiger SPD-Politiker Eigentlich hat Mützenich nur aufgenommen, was er sein Leben lang tat. Er, politisch sozialisiert unter anderem in der Friedensbewegung der 70er und 80er, notfalls auch gegen SPD-Kanzler Helmut Schmidt, hängt der Hoffnung nach, eine Welt ohne Waffen wäre friedvoller. Der Arbeitersohn aus Köln, der sich von der Hauptschule bis zur Uni durchkämpfte, Promotion über „atomwaffenfreie Zonen“, machte das in der Politik zu einem Leitmotiv. Gegen bewaffnete Drohnen. Gegen US-Atomwaffen in Deutschland. Oft auch überholt von der Realität: In der Koalition mit der Union setzte er etwa durch, keine Waffen an Saudi-Arabien zu liefern. Hielt nicht lang. In der SPD, in die er mit 16 eintrat, steht er damit im linken Flügel. Gleichzeitig führt er aber seit 2019 die Bundestagsfraktion. Das Erbe nach dem Andrea-Nahles-Rücktritt trat er mit einem Wahlergebnis von über 95 Prozent an, bei den Wiederwahlen 2021 und 2023 ähnlich. Oft wird er als Einzelgänger beschrieben, beharrlich, nachdenklich, leise. Als einer, der Außenpolitik knapp vermitteln kann. „Mütze, erklär uns das mal“, soll der legendäre Fraktionschef Peter Struck gern gebellt haben, wenn Komplexes zu besprechen war. Wohlwollende Parteifreunde beschreiben den 64-Jährigen anders, als er in der Ukraine-Debatte nun wirkt. „Ich erlebe ihn sehr verständnisvoll, auf Ausgleich bedacht. Er gibt jedem seinen Raum, auch wenn man öffentlich eine andere Meinung vertritt“, sagt der Münchner Abgeordnete Sebastian Roloff. „Am Ende versucht er, das zusammenzubinden.“ Kritik an Mützenich und der SPD: Keine Rückkehr zu „russlandfreundlichen“ Politik Weniger zugetane Parteifreunde reagieren genervt, erinnern an heute irritierend russlandfreundliche Äußerungen bis kurz vor dem Überfall 2022. Ein gedehntes „Puuh“ ist von Verteidigungsminister Boris Pistorius bald nach der „Einfrieren“-Rede zu hören. Mützenich und der Minister, der die Bundeswehr „kriegstüchtig“ machen will, sind in der SPD voneinander himmelweit entfernt. Man könne nicht „einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird“, sagt Pistorius. Was die Debatte spannend macht: Steht Mützenich für einen neuen Kurs von Scholz, auch mit Blick auf die nächsten Wahltermine? An der Seite eines Papstes, der von „weißen Fahnen“ spricht, an der Seite auch einer zumindest bei Taurus-Lieferungen mehrheitlich skeptischen deutschen Wählerschaft? „Mütze“ als „Vorauskommando“, so ist vielerorts zu lesen. Oder musste er einfach zwischendurch nur Dampf ablassen? Roloff sieht keinen Kurswechsel, sondern nur den Hinweis, dass auch über diplomatische Ansätze eine Debatte möglich sein muss. Mützenich selbst bleibt bei seinem Begriff. „Einfrieren“ stehe dafür, „zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen“, sagt er. Diese könnten dann mit Zustimmung beider Kriegsparteien überführt werden „in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt“. (Christian Deutschländer)