Monday, April 4, 2022

Krieg in der Ukraine: "Schnell, noch diese Woche"

SZ.de Krieg in der Ukraine: "Schnell, noch diese Woche" Von Stefan Braun, Paul-Anton Krüger und Kassian Stroh - Vor 4 Std. Die EU wird wohl rasch neue Sanktionen beschließen - vermutlich gegen die russische Elite, Industrie und Banken. Der Ukraine reicht das nicht aus, in Berlin bröckelt der Widerstand gegen ein Energieembargo. Doch das ist nur eine von sechs Optionen. "Schnell, noch diese Woche" Der Ruf nach neuen Sanktionen kam schnell: Wenige Stunden alt waren die ersten öffentlichen Berichte über mögliche Gräueltaten russischer Truppen in Butscha bei Kiew, da gab EU-Ratspräsident Charles Michel schon die Richtung vor: Weitere Sanktionen der EU gegen Russland seien unterwegs, verkündete er am Sonntag um elf Uhr via Twitter. Doch was das genau heißt, ist am Montag noch unklar. Nur dass es rasch gehen soll: "Schnell, noch diese Woche" werde ein neues Paket kommen, kündigte Robert Habeck (Grüne) an, der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler. "In den nächsten Tagen", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD). Schon vor Beginn der russischen Invasion der Ukraine hatten die EU und ihre Partner wie die USA stets betont, diverse Bündel an möglichen Sanktionen und Verschärfungen vorbereitet zu haben, um auf eine Eskalation des Konflikts reagieren zu können. Ein weiteres soll nun offenbar in Kraft gesetzt werden, ein "fünftes Sanktionspaket", wie Scholz und Habeck am Sonntagabend sagten. Über den Inhalt machen sie bislang aber nur vage Andeutungen: Es gehe um Maßnahmen "in der ganzen Bandbreite von persönlichen Sanktionen gegen weitere Menschen aus dem Putin-Regime über technische Güter", sagt Habeck. Auch Scholz geht in diese Richtung: "Putin und seine Unterstützer werden die Folgen spüren", heißt es in seiner Erklärung vom Sonntagnachmittag. Zudem deutet Habeck weitere Restriktionen für Banken an: "Den Finanzmarkt werden wir uns auch noch einmal anschauen." Optionen: Spione, Finanzen, Energieembargo Und was kann das nun heißen? Mindestens sechs Möglichkeiten für Sanktionen sind derzeit in der Debatte: Erstens könnte die Bundesregierung das tun, was andere EU-Staaten längst getan haben: Sie könnte eine ganze Reihe von Russen ausweisen, die als Spione gelten und in der russischen Botschaft in Berlin arbeiten. Der Verfassungsschutz drängt darauf, der Bundesnachrichtendienst fürchtet um seine eigenen Leute in Moskau. Und die Politik wägt bislang ab. Andere EU-Staaten wie die Balten oder die Niederlande sind diesen Schritt längst gegangen. Trotzdem wäre die Bedeutung einer solchen Maßnahmen am größten, wenn auch Berlin nachzöge. Zweitens könnten (und werden wohl auch) die Exportverbote für Technologie und Konsumgüter verschärft werden. Nach wie vor gibt es mehrere hundert Unternehmen, die weiter in Russland agieren. Eine entsprechende Liste gibt es natürlich, hinter verschlossenen Türen. Es ist durchaus möglich, dass die Bundesregierung an dieser Stelle alsbald handelt. Drittens haben Experten längst Schlupflöcher ausgemacht, wie russische Unternehmen und Behörden die bisherigen Sanktionen umgehen. Insbesondere bei Finanztransaktionen. Hier heißt es, dass man selbstverständlich nachschärfen könne, ja müsse. Insofern gilt es als durchaus wahrscheinlich, dass Schritte zum nächsten Sanktionspaket gehören. Das gilt viertens auch für die sogenannte Listung von Personen und Behörden, die innerhalb der EU oder auch darüber hinaus nicht mehr einreisen, nicht mehr wirtschaftlich agieren oder anderes tun dürfen. Zuletzt hat das vor allem sehr einflussreiche russische Oligarchen getroffen. Doch da gebe es noch weitergehende Möglichkeiten, heißt es. Konkrete Namen oder Institutionen, die mit Sanktionen belegt werden könnten, sind aber - noch - keine bekannt. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki hat zudem vorgeschlagen, dass russische Bürger keine Visa mehr für die EU erhalten sollten. Dieser Schritt sei "unverzichtbar". Fünftens ist auch beim Thema Swift noch nicht alles ausgereizt. Das heißt vor allem: Bislang sind eben nicht alle russischen Banken vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Das, was manche prominente Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz als "Atombombe" der Sanktionen bezeichnet haben, ist also noch möglich. Ganz konkret könnte das bedeuten, ausgerechnet die Gazprombank in ihren Aktionen einzuschränken. Sie wurde bislang davon ausgenommen, um die Öl- und Gasgeschäfte mit Russland weiter möglich zu machen. Wie wichtig diese Bank ist, zeigte sich in der v ergangenen Woche, als Kreml-Chef Wladimir Putin sie zum entscheidenden Instrument für den Wechsel von Euro- in Rubel-Zahlungen machte. So gesehen wäre eine Einschränkung oder komplette Blockade dieser Bank fast gleichbedeutend mit einem Energie-Embargo. Sechstens und schlussendlich wäre ebendieses die wohl weitreichendste Maßnahme gegen Russland. Die Bundesregierung hat dies bislang aus Sorge vor den negativen Folgen für die deutsche Wirtschaft und die Versorgungssicherheit in Deutschland abgelehnt. Zuletzt am Montagmorgen ist Wirtschaftsminister Habeck in dieser Frage noch einmal hart geblieben. Allerdings gibt es mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) inzwischen ein erstes prominentes Mitglied aus dem Kabinett von Kanzler Scholz, das am Sonntagabend in der ARD erklärt hat, nach den Ereignissen von Butscha müsse im Kreise der EU-Minister auch über das Thema Stopp von Gaslieferungen aus Russland gesprochen werden. Allerdings betonte sie auch, dass es keinen Alleingang Berlins geben solle. "Das war bisher unsere Stärke, dass nicht einzelne Länder vorgeprescht sind, sondern dass man miteinander abgestimmt hat, was ist durchhaltbar, und genau so muss es jetzt auch in den nächsten Stunden erfolgen." Neben Deutschland sperrte sich bislang auch Italien dagegen. Allerdings sagte Italiens Außenminister Luigi Di Maio nun dem italienischen Fernsehsender Rai 3, die Ereignisse in Butscha würden "eine Welle der Empörung auslösen, die zu neuen Sanktionen führen wird". Er schloss nicht aus, "dass es in den nächsten Stunden eine Debatte über die Frage der Einfuhr von Brennstoffen aus Russland geben könnte " - und fügte hinzu, Italien werde kein Veto gegen ein fünftes Sanktionspaket einlegen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich am Montag für weitere Sanktionen ausgesprochen, die auf Kohle und Öl abzielten. Der Ukraine reicht das alles nicht Doch so entschlossen sich die Akteure geben: Der Regierung in Kiew ist das offenkundig nicht genug. Insbesondere weil ein Energieembargo immer noch sehr unwahrscheinlich bleibt. So sagte der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba, er kenne die aktuellen Entwürfe für das geplante fünfte Paket mit Strafmaßnahmen schon. Er äußerte sich in einer am Sonntagabend auf Twitter veröffentlichten, in Englisch gehaltenen Videobotschaft. Außerdem forderte Kuleba erneut weitere Lieferungen auch schwerer Waffen, von Panzern und Flugzeugen. Und nötig sei jetzt, alle russischen Banken aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift auszuschließen sowie alle Häfen für russische Schiffe und Waren zu schließen. Und nicht zuletzt ein Öl-, Gas- und Kohle-Embargo gegen Russland.