Saturday, April 30, 2022
Gegenentwurf zu Boris Becker: Das skandalfreie Leben der Steffi Graf
Gegenentwurf zu Boris Becker: Das skandalfreie Leben der Steffi Graf
Katrin Schulze - Vor 1 Std.
Sie ist einen anderen Weg gegangen als die nun verurteilte Tennis-Ikone Boris Becker: Steffi Graf hat es geschafft, sich der Öffentlichkeit zu entziehen.
In der Öffentlichkeit taucht Steffi Graf meist nur im Zusammenhang mit ihrer Stiftung auf.
Es ist ihnen einfach zu viel geworden. Welches Paar benötigt schon mehrere Häuser, wenn keiner der anderen Familienmitglieder mehr darin wohnt und auch die Kinder erwachsen geworden sind? Also hat man sich verkleinert und große Teile des Anwesens verkauft. Nur eine Art Nebengebäude soll den beiden jetzt in Las Vegas noch gehören, nebst Tennisplatz versteht sich. Bis zuletzt, so geht die Erzählung, haben Steffi Graf und ihr Mann Andre Agassi dort hin und wieder ein Ründchen gespielt. Bis zuletzt hat sie ihn dann übers Feld gescheucht. Und bis zuletzt hat ihm ihre Vorhand zu schaffen gemacht.
Diese Anekdote ist eine der wenigen, die überhaupt überliefert ist aus dem Leben der Steffi Graf nach ihrer einmaligen Karriere. Anders als ihr männliches Pendant Boris Becker, der beinahe omnipräsent ist und wegen Insolvenzverschleppung am Freitag zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verdonnert wurde, hat es die heute 52 Jahre alte Deutsche geschafft, zurückgezogen zu leben.
Zwei völlig unterschiedliche Leben nach einer ziemlich parallelen Karriere. Unvergessen, wie die beiden aus Deutschland ein Tennisland machten mit ihren Erfolgen auf den Plätzen dieser Welt - spätestens nachdem Becker und Graf 1989 am selben Tag in Wimbledon siegten, gab es kein Halten mehr. Doch während Becker nach seiner Karriere mit Frauengeschichten, Geldproblemen und Fernsehauftritten immer im Gespräch blieb, zog sich Steffi Graf komplett zurück.
Eine ganz bewusste Entscheidung. Graf war noch nie jemand, der den Rummel um ihre Person genossen hat, selbst nach ihren größten Erfolgen wirkte sie fast ein bisschen verloren auf dem Platz, wenn die Kameras um sie herum blitzten.
Und offenbar hat sie sich auch so gefühlt. „Wenn man das alles einmal hinter sich hat, stellt man fest, dass man oft allein auf dem Platz gestanden hat, allein gelassen in dieser Welt“, sagte sie einmal in einem ihrer seltenen Interviews. „Wir haben viel darüber geredet, ob wir unseren Kindern dieses Leben wünschen sollen.“
Familienleben so normal wie eben möglich
Vielleicht haben sich Agassi und seine Frau deshalb dazu entschieden, die beiden Kinder so normal wie möglich aufwachsen zu lassen – sofern das bei der Popularität von Mama und Papa überhaupt möglich ist.
Der Alltag im Hause Agassi/Graf klang jedenfalls nicht großartig anders als bei jeder anderen amerikanischen Familie. Morgens machte sie den Kleinen Frühstück, fuhr sie zur Schule und holte sie nachmittags dort wieder ab. Hier wurde sie oft einfach nur als Frau Agassi angesehen und angesprochen – und nicht als der berühmte Tennisstar aus Deutschland.
Gerüchten zufolge war sie die strengere der beiden und extrem darauf bedacht, die Kinder vor der Öffentlichkeit zu schützen. Fotos von Jaden Gil und Jaz Elle aus Kinder- und Jugendzeiten existierten für alle Welt praktisch nicht. Letztlich war sie sogar glücklich darüber, in der Einöde von Nevada gelandet zu sein, wo sie eigentlich nie hin wollte. Agassi war es, der seine Frau überredete, in seine Heimatstadt Las Vegas zu ziehen.
Graf hätte lieber in New York gewohnt, aber wichtiger als alles andere war ihr die Nähe zu ihren Liebsten. In den anderen Häusern ihres Anwesens, das fast wie ein kleines Dorf daherkam, lebten ihre Mutter und ihr Bruder mit Familie sowie Teile von Agassis Familie. Über die Jahre ist es leerer geworden, unter anderem, weil Grafs Mutter ausgezogen und Agassis Vater gestorben ist. Und die Kinder?
Die beiden Kinder sind inzwischen volljährig
Jaden Gil (20) und Jaz Elle (18) können sich mittlerweile selbst beschützen und selbst entscheiden, ob sie in der Öffentlichkeit auftreten wollen. Bei Jaden Gil lässt sich das kaum vermeiden, ist er doch auf dem Weg zum Baseball-Star. Nach seiner Vertragsunterzeichnung bei der University of Southern California postete er bei Instagram eines der seltenen Familienbilder mit den stolzen Eltern. Jaz Elle zeigt sich noch öfter dort als ihr Bruder – mal beim Skifahren, mal beim Barbecue mit Freunden, mal im Fitnessstudio.
Bleibt das Ehepaar Graf/Agassi allein zu Haus. Natürlich wäre es illusorisch zu glauben, dass das immer total harmonisch zugeht oder sich alle Probleme durch ein gemeinsames Tennismatch lösen ließen. Bei wem ist das schon so? Auch zuletzt meldete eine Zeitschrift mal wieder, dass es Eheprobleme gäbe, weil Steffi öfter nach Deutschland reiste.
Wenn es nach diesen Geschichten ginge, wären die beiden allerdings schon zig mal geschieden oder mindestens getrennt. Jedes Mal, wenn das Gerücht die Runde machte, dass es nicht mehr laufe zwischen Andre Agassi und Steffi Graf, lächelten sie das beim nächsten gemeinsamen Auftritt einfach weg. 20 Jahre geht das nun schon so.
Ein scheinbar ungleiches Paar
Und irgendwie nimmt man es Graf ab, wie sie über ihre Ehe spricht. „Andre und ich, wir tauschen uns ständig über alles aus“, sagte sie der „Gala“ im letzten größeren Interview. „Wir sind auf einer Wellenlänge und unterstützen uns gegenseitig.“
Dass sie so einen Satz mal äußern würde, daran hätte sie noch während ihrer aktiven Karriere im Traum nicht gedacht. Sie und dieser verrückte US-Amerikaner mit den damals noch langen Haaren, um die er sich meist ein buntes Stirnband wickelte? Sie, die zurückhaltende, ordentliche, sortierte. Er, der extrovertierte, chaotische, spontane.
André Agassi hingegen hatte diesen Traum von einer Beziehung mit Steffi Graf schon lange. In seiner Biografie erzählt er davon, wie hingerissen er bereits von ihr war, als er sie zuerst sah, mit „ihrer bescheidenen Anmut, ihrer natürlichen Schönheit“.
Sie machte es ihm nicht leicht, überhaupt an sie heranzukommen, aber er gab einfach nicht auf. Bis Steffi Graf irgendwann – Ende der 1990er Jahre muss es gewesen sein – überzeugt war, dass er vielleicht doch der Richtige sein könnte. Danach ging es ganz schnell. Umzug, Hochzeit, Kinder.
Lang ist's her. Doch wann immer er auch Jahre später davon erzählt hat, glänzten seine Augen. Er, der nah dran war, sich mit Drogen zu ruinieren, hat gar nicht erst versucht zu verheimlichen, dass sie so etwas wie seine Rettung war, eine Rettung in die Normalität.
Heute haben die beiden tatsächlich viel gemeinsam – nicht zuletzt ihr soziales Engagement. Während er in Las Vegas eine Schule errichtet hat, in der benachteiligte Kinder kostenlos unterrichtet werden, unterstützt sie mit einer Stiftung, die in Hamburg angesiedelt ist, Projekte für Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten.
Öffentlich tritt Steffi Graf fast ausschließlich im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit in Erscheinung. Andere würden ihr Leben vermutlich als langweilig beschreiben, sie selbst würde es wohl eher bescheiden nennen. Sie kümmere sich um die Haustiere und mache viel Sport, sagte sie der „Gala“. Lieber als zu einem Tennismatch fordert sie ihren Mann inzwischen jedoch beim Pickleball heraus – einer Mischung aus Badminton, Tennis und Tischtennis. Das sei leichter, „wenn der Körper mal wieder zwickt“. Dass Andre Agassi es in diesem Spiel leichter gegen sie hat, davon ist nicht auszugehen.