Thursday, April 7, 2022

Die Sängerin, die aus Angst vor dem Töten aus der Ukraine flüchtete

Berliner Zeitung Die Sängerin, die aus Angst vor dem Töten aus der Ukraine flüchtete Joane Studnik - Gestern um 22:16 Alle wollen gerade mit Zi reden: Reporter vom US-Sender CBS, dem Rolling Stone, Sat.1. Wollen erfahren, wie sie im Grenzgebiet zwischen der südlichen Ukraine und Rumänien fast ertrunken wäre, als sie gegen die Strömung ankämpfte. Wie sie zuvor mehrfach an ukrainischen Checkpoints angehalten und um ein Haar für das Militär zwangsrekrutiert worden wäre. Doch wer ist Zi Faámelu überhaupt? Bis zu ihrer Flucht kannte sie in Deutschland so gut wie niemand. Anders in der Ukraine: Dort hatte es die Sängerin unter dem Namen Ziandzha 2018 bis ins Finale der ukrainischen Version von „The Voice“ geschafft, Begeisterungsstürme bei Jury und Publikum ausgelöst. Schon zehn Jahre zuvor hatte sie gefeierte Auftritte in Talentshows, allerdings unter einem männlichen Namen, den sie inzwischen abgelegt hat. Musikvideos aus der Zeit zeigen einen androgynen Popstar, der wie David Bowie spielerisch die Geschlechterrollen wechselt. Zi trat mit ihrem tanzbaren Synthie-Pop in osteuropäischen Clubs von Moskau bis Kiew auf. Bis heute steht in Zis Pass ein männlicher Vorname, doch wer sie vor sich hat, ihre zurückliegenden TV-Auftritte und selbst die älteren Musikclips vor ihrer Transition anschaut, sieht eine Frau vor sich, hört eine zarte, präzise und ergreifende Stimme. Rasch wurde die inzwischen 31-Jährige zum gefundenen Fressen für einen der führenden TV-Komiker der Ukraine – Wolodymyr Selenskyj, der das Land nunmehr als Präsident gegen den russischen Einmarsch verteidigt. Ohne dessen Verdienste um die Verteidigung der Ukraine in Abrede zu stellen: Ein irritierendes Bild des früheren Comedy-Stars zeigt sich in den TV-Shows, in denen dieser Zi Faámelu zur Lachnummer herabwürdigt. „Es“ nennt Selenskyj die Sängerin unter dem feixenden Gelächter des Publikums. Zuvor wurde ihm eine blonde Witzfigur vorgeführt, die Zi Faámelu verkörpern sollte. Parodien gehören zum Comedy-Handwerk, mit trans- oder homophoben Witzchen ist die unterste Schublade gefüllt. In einer in großen Teilen konservativen Gesellschaft wie der Ukraine gelten noch andere Maßstäbe, vor allem haben derlei beleidigende Scherze spürbare Auswirkungen. Zi, so sieht sie es rückblickend, wurde durch ihre Zurschaustellung zur Unperson, die trotz ihres offenkundigen Talents immer seltener in Shows eingeladen wurde und die man gesellschaftlich mied. Mehrfach flüchtete sie schon damals vor öffentlichen Demütigungen. Eine Zeitlang lebte und arbeitete sie als Songwriterin in Moskau, unerkannt und irgendwie akzeptiert als großgewachsene Frau, deren Identität jedenfalls niemand anzweifelte. Für sechs Monate war sie in Los Angeles, kehrte später wieder nach Kiew zurück und startete als Zi Faámelu neu durch. Egal, wo sie ist, in Kiew, Moskau oder jetzt in Magdeburg: „Ich habe mich schon immer als Alien gefühlt“, sagt sie. Einen weiblichen Namen in ihrem Pass zu sehen, verunmöglicht ihr eine nach EU-Standards rückschrittliche Gesetzgebung in der Ukraine: Für die Änderung des Geschlechtseintrags gelten nahezu unerfüllbare Voraussetzungen. Von ihren deutschen Freunden weiß Zi, dass auch das hier geltende sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) Transpersonen erschwert, Geschlecht und Vornamen zu korrigieren. Die Bundesregierung will das teils verfassungswidrige Gesetz abschaffen – und Zi hat sich inzwischen dem Kampf angeschlossen, die Gesetzesreform zu beschleunigen. Der ungewollt männliche Geschlechtseintrag in ihrem Pass und ihre Bekanntheit sind ihr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fast zum Verhängnis geworden. Die Panik, die Zi beim Einschlag der ersten Bomben erfasste, löste alte Ängste aus: Vor allem davor, zum Dienst an der Waffe gezwungen zu werden. Zi erklärt, das Militär habe Transfrauen früher mit einem Trick zwangsrekrutiert. Sie sollten sich melden, um sich vom Militärdienst befreien zu lassen. Tatsächlich seien sie dann aber eingezogen worden. Die Generalmobilmachung nach dem russischen Angriff zwang dann alle männlichen Personen zwischen 18 und 60 Jahren, der Armee zur Verfügung zu stehen. Auch Ukrainerinnen greifen freiwillig zur Waffe, doch Millionen ergreifen die Flucht. Als Mann einsortiert zu werden, um zu töten: Die Angst davor versetzte Zi in Schockstarre. „Ich würde eher sterben, als andere Menschen zu töten.“ Sie schloss sich zu Hause ein, ein Messer griffbereit an ihrer Seite, tagelang, bis sie schließlich nichts mehr zu essen hatte. Anders als die Millionen anderer flüchtender Frauen hätte sie nicht durch eine offizielle Grenze etwa über Lwiw nach Polen ausreisen können. Sie wäre zum Dienst an der Waffe zwangsverpflichtet worden. Ein Freund erklärte sich schließlich bereit, sie im Auto an die Grenze zu fahren, doch bereits am ersten Checkpoint an den Stadtgrenzen Kiews wurde sie erkannt und zurückgeschickt. Beim zweiten Versuch gelang es den beiden, Kiew hinter sich zu lassen. Dann wurde sie erneut angehalten, eine Sicherheitskraft habe ihr beim Durchwinken zugerufen: „Fahr weiter, aber wir mögen Leute wie dich nicht.“ Auf einem Instagram-Video aus jenen Tagen ist Zi verzweifelt und in Tränen aufgelöst zu sehen: „Kann mir irgendjemand helfen?“ Tatsächlich kamen ihr Freundinnen aus Deutschland zu Hilfe, die sich organisierten, um Zi auf der anderen Seite zu empfangen. Doch an der Grenze zu Rumänien wäre sie um ein Haar erneut gefasst worden. Ihr Fahrer habe sie dann gefragt: „Kannst du schwimmen?“ Es schien die einzige verbliebene Möglichkeit in der verzweifelten Situation, durch den Fluss zu schwimmen und am gegenüberliegenden Ufer die rumänische Kleinstadt Sighetu zu erreichen. Den in eine Plastiktüte gehüllten Ausweis im BH, sprang Zi ins Wasser. Von hinten habe sie Soldaten gehört, die ihren Namen geschrien hätten. „Als wäre ich eine Verbrecherin.“ Mit letzter Kraft habe sie das rettende Ufer erreicht. Rumänische Polizisten brachten Zi nach einer Befragung in ein Geflüchtetenlager. Am 10. März erreichte sie Deutschland und lebt nun bei einer liebevollen Familie in Magdeburg, in einem Zimmer neben vierjährigen Zwillingen. Zi ist neugierig auf das nahe Berlin, die Musikszene, die Clubs – aber immer noch viel zu erschöpft, um sich auf die Hektik der Großstadt einzulassen.