Sunday, April 10, 2022

Der eisige Krieg: Putin drosselt Kontakte in die EU und Freiheiten in Russland

Der eisige Krieg: Putin drosselt Kontakte in die EU und Freiheiten in Russland Berliner Zeitung Alexander Dubowy - Vor 6 Std. Die schockierenden Ereignisse der vergangenen Woche sowie die immer aggressivere offizielle Rhetorik schränken die Handlungsoptionen Russlands zunehmend auf ein Minimum ein. Moskau benötigt dringend einen klaren militärischen Erfolg zum Erreichen seiner politischen Zielsetzungen oder wenigstens etwas, was sich als ein militärischer Sieg darstellen ließe. Parallel zur Umgruppierung der Truppen sowie Vorbereitung von Offensivoperationen im Donbas und – nach Informationen der Ukraine – auch im Norden und Süden des Landes erfährt die russische Innenpolitik eine grundlegende autoritäre Neuformatierung und durchläuft eine repressive Transformationsetappe, die das Antlitz des politischen Systems bis zur Unkenntlichkeit verändern dürfte. Gerade angesichts der unzweifelhaft zahlreichen militärischen Fehlplanungen in der Ukraine und des wachsenden äußeren Drucks durch die internationalen Sanktionen begibt sich das politische Regime Russlands in die Untiefen des tosenden Strudels autoritärer Entartung und geht umso entschlossener gegen die angeblichen externen Interventionsversuche, die allerletzten Reste an freien Medien, die ohnehin massiv geschwächter Zivilgesellschaft sowie die sogenannten Systemliberalen innerhalb der russischen Eliten vor. Bald dürften die Repressionen ein weiteres Ziel anvisieren und sich gegen die nach wie vor treuen innenpolitischen Verbündeten richten – die sogenannte systemische Opposition. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine brachte neben nachhaltigen außenpolitischen Folgen auch tiefgreifende innenpolitische Entwicklungsprozesse ins Rollen, die das bislang bekannte Machtsystem Wladimir Putins unwiederbringlich verändern dürften. Das Machtsystem Wladimir Putins fußt im Gegensatz zur politischen Ära des ersten Präsidenten der Russischen Föderation Boris Jelzin unter anderem auf der de facto ungeteilten Kontrolle des Gesetzgebungsprozesses durch den Kreml. Die regierende Partei „Einiges Russland“ hat zwar eine privilegierte Stellung als dominante Partei der Macht und ein zentraler Stützpfeiler des Kremls sowohl auf der föderalen Ebene als auch in den Regionen inne, agiert jedoch im politischen Alltag sowie im Gesetzgebungsprozess neben und gemeinsam mit anderen Parteien. Zur Stärkung der Legitimität und der Stabilität des gesamten politischen Systems galt bisher ein begrenzte Kontrolle über die im Parlament vertretenen Oppositionsparteien (die wesentlichen Partei sind: Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und „Gerechtes Russland“) als eines der Stabilitätsanker des Machtsystems Putin. Diese Parteien bilden in Abgrenzung zur außerparlamentarischen Opposition die sogenannte „systemische Opposition“, tragen die außenpolitischen Prioritäten des Präsidenten mit und arbeiten vor allem in den Bereichen der nationalen Sicherheit sowie der Verteidigungspolitik mit der Regierung eng zusammen. Abseits der genannten Fragen im Abtausch für ihre Loyalität in den zentralen machtpolitischen Fragen und zur Wahrung der Anscheinsoppositionsstellung gegenüber den jeweiligen Wählergruppen durfte die systemische Opposition an der Politik der Kremlpartei „Einiges Russland“, der Gouverneure und Regionalpolitiker sowie der Regierung offen Kritik üben. Auch kleinere Protestkundgebungen waren der systemischen Opposition erlaubt, selbst einzelne, vorsichtig-begrenzte Kritik am Machtsystem an sich wurde geduldet, eine persönliche Kritik gegenüber dem Präsidenten war dagegen freilich stets tabuisiert. Somit waren – ungeachtet der grundsätzlichen Abhängigkeit vom Wohlwollen des Kremls – jedenfalls die beiden ältesten Oppositionsparteien Russland – die im Jahr 1992 gegründete Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR) und die im Jahr 1993 gegründete Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) – mit ihren teils starken regionalen Vertretungen, auch nach der vollen Etablierung des Machtsystems Putin nicht ganz und gar machtlos. Vor allem die Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) bleibt nach wie vor die einzige echte politische Partei Russlands mit – insbesondere für russische parteipolitische Verhältnisse – echtem Parteiprogramm, definierbarer Ideologie und einer großen Gruppen an Kernwählern. Mit dem Tod von Wladimir Schirinowski am 6. April (mutmaßlich bereits am 25. März), des mit Abstand umstrittensten und schillerndsten Politikers Russlands, des dienstältesten Oppositionspolitikers und langjährigen Obmannes der von ihm gegründeten rechtspopulistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR) dürfte auch die Epoche der systemischen Opposition in Russland – in der bislang bekannten Ausprägung – auf ihr ruhmloses faktisches Ende und die völlige öffentliche Marginalisierung zugehen. Die Steuerung des komplexen Verhältnisses zwischen den Machthabern und der Opposition dürfte allerspätestens seit Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine endgültig zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit geworden sein, die ausschließlich durch die Vertreter der Gruppe der sogenannten Silowiki (Geheim- und Sicherheitsdiensteliten) geregelt werden darf. Zu groß dürfte aus der Sicht dieser Gruppe die Angst davor sein, dass nach dem – durch den unentrinnbaren Lauf der Zeit erzwungenen – Generationenwechsel an der Spitze der systemischen Opposition aus der Sicht des Kremls die bisherige Loyalität der parlamentarischen Opposition nicht mehr vorbehaltlos gesichert werden könnte; letzteres auch angesichts des durch die internationalen Sanktionen rapide absinkenden Lebensstandards der Bevölkerung. Denn selbst für eine nur im begrenzten Ausmaße kritikfähige systemische Opposition scheint im heutigen Russland kein Platz mehr zu sein. Absolute Gleichschaltung ist das Gebot der Stunde. Diese simple Botschaft dürfte auch Gennadi Sjuganow, dem langjährigen Obmann der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) zugetragen worden sein. Sich gegen diese Entwicklung über einen längeren Zeitraum zu wehren, ist Sjuganow freilich weder im Stande noch Willens. Mit Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine sind die allerletzten Masken gefallen. Die Zeit für blühende Komplexität, unzählige Zwischentöne und polittechnologische Spiele ist für Putins Russland endgültig vorbei. Das ausschließliche Motto der Kremlführung dürfte nunmehr lauten: „Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns.“ Auch die letzten noch verbleibenden Verbindungen zum Westen werden rücksichtslos abgetragen. Am Abend des 8. April gab das russische Justizministerium bekannt, 15 namhafte internationale Organisationen, darunter Human Rights Watch, Amnesty International, Carnegie Endowment for International Peace sowie alle in Russland tätigen deutschen parteinahen Stiftungen, aus dem offiziellen Register ausländischer Nichtregierungsorganisationen zu streichen. Letzteres verdrängt die Tätigkeit dieser Strukturen aus dem legalen Tätigkeitsbereich und kommt einer de facto Schließung gleich. Weiters dürfte demnächst auch die Liste unerwünschter ausländischer Organisationen deutlich erweitert werden, was jedwede Kooperationen und Kontakte für russische Organisationen und Privatpersonen unter Strafdrohung stellen würde. Schließlich sind mittlerweile die ersten noch zarten Stimmen zu hören, die zu einer radikalen Abkehr von Europa in allen Bereichen aufrufen. Nach sehr treffender Anmerkung von einem der führenden Soziologen Russlands Greg Yudin mögen die aktuellen und die noch kommenden Ereignisse aus der Sicht der EU sowie des gesamten Westens eine Zeitenwende darstellen, für das uns bekannte Russland breche jedoch die Endzeit ein.