Thursday, April 7, 2022

Chronik eines Scheiterns: Bundestag stimmt deutlich gegen Impfpflicht

Handelsblatt Chronik eines Scheiterns: Bundestag stimmt deutlich gegen Impfpflicht Klöckner, Jürgen Die Impfpflicht sorgte schon vor der Abstimmung für hitzige Debatten. Nun ist der Vorschlag der Ampel gescheitert. Die Niederlage hat einen monatelangen Vorlauf. Bis zuletzt versuchten die Unterstützer der Impfpflicht, ihr Scheitern zu verhindern. Kanzler Olaf Scholz (SPD) beorderte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vom Nato-Treffen in Brüssel in den Bundestag, um mitstimmen zu können. Auch der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Grüne), war zu einer Veranstaltung am Vormittag lediglich zugeschaltet, um an der Abstimmung teilzunehmen. Optimieren Sie Ihr Vermögen mit dem Robo-Advisor von quirion Gereicht hat das bei Weitem nicht. Der Bundestag lehnte mit einer deutlichen Mehrheit den Gesetzesentwurf für eine Impfpflicht ab. 296 Abgeordnete stimmten für den Vorschlag, der eine solche Regel für Menschen ab 60 Jahren und eine Beratungspflicht vorsah. 378 stimmten dagegen. Dass es knapp werden würde, hatten viele erwartet – eine so deutliche Niederlage hingegen nicht. Mit dem Ergebnis scheitert ein Projekt, für das sich nicht nur Kanzler Scholz seit Monaten einsetzt, sondern auch die 16 Ministerpräsidenten der Bundesländer und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Schon länger war klar: So, wie sich der Kanzler die Maßnahme gewünscht hatte, nämlich als Impfpflicht für alle Erwachsenen, wird sie nicht kommen. Nun ist das Vorhaben komplett gescheitert, und die Frage stellt sich: Wie konnte es dazu kommen? „Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen“, schrieb Minister Lauterbach auf Twitter, nachdem das Ergebnis im Bundestag verlesen war. „Wir machen weiter.“ Es sei eine sehr wichtige Entscheidung, jetzt werde die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer werden. Auch der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann will noch nicht aufgeben. „Der Gesprächsfaden dürfe nun nicht abreißen“, sagte Ullmann dem Sender Phoenix. Es handle sich um einen demokratischen Prozess. Der Liberale hatte, wie Lauterbach, den Antrag für eine Impfpflicht unterstützt. So versöhnlich war die vorangegangene Bundestagsdebatte jedoch nicht, im Gegenteil. Stellenweise hatten Beobachter den Eindruck, als würden sie Zeuge eines Blame-Games, also eines Hin- und Herschiebens von Verantwortung. Auch Lauterbach klang da noch anders. In Richtung der Union sagte er: „Sie können der Verantwortung nicht ausweichen, indem Sie sagen, Sie sind gesprächsbereit.“ Die Verhandlungen seien lange geführt worden. „Wir brauchen heute einmal ihre staatstragende Unterstützung, um im Herbst anders dazustehen, als wir jetzt dastehen.“ Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge warf der Ampel hingegen vor, nicht ernsthaft auf die Union zugegangen zu sein. Der Vorschlag von CDU und CSU sei ausgewogen. Die Union hatte einen „Impfvorsorgemechanismus“ vorgeschlagen. Dieser könnte zwar theoretisch auch eine Impfpflicht vorsehen, aber nur für bestimmte, besonders gefährdete Bevölkerungs- und Berufsgruppen. „Wir strecken Ihnen die Hand entgegen“, sagte Sorge in der Debatte an die Fraktionen der Ampelkoalition gerichtet. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der mit anderen Abgeordneten einen Antrag zur Erhöhung der Impfbereitschaft ohne allgemeine Impfpflicht vorgelegt hatte, argumentierte gegen die Pflicht. So werde durch Impfung keine Herdenimmunität erreicht, und eine Überlastung des Gesundheitswesens werde es voraussichtlich nicht geben – eine deutlich gefährlichere Variante im Herbst sei „nicht das wahrscheinlichste Szenario“. Lauterbach gab daraufhin zurück, dass gefährlichere Varianten im Herbst nicht unwahrscheinlich seien. Kubicki sagte weiter, es sei nicht die Aufgabe des Staates, erwachsene Menschen gegen ihren Willen zum Selbstschutz zu verpflichten. Bundesregierung entschied sich gegen eigenen Entwurf Grund für das Scheitern dürfte auch die Reihenfolge sein, über die der Bundestag über die verschiedenen Initiativen abstimmte. Überraschend kam der Gesetzentwurf für eine Impfpflicht als erstes dran. Die Befürworter hatten gehofft, diesen als letztes zur Abstimmung stellen zu können, um mögliche Stimmen aus anderen Gruppen zu erhalten, deren Anträge zuvor abgelehnt worden wären. Der Grund für die vertrackte Lage bereits vor der Abstimmung war auch eine Entscheidung, die Scholz und die maßgeblichen Ampelpolitiker vor Monaten trafen. Da eine Mehrheit von SPD, Grünen und FDP wegen Bedenken bei Teilen der Liberalen von Anfang an fraglich war, entschied sich die Bundesregierung dagegen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Stattdessen wählte die Ampel den Weg über Gruppenanträge von Abgeordneten verschiedener Fraktionen. Das machte aber die Mehrheitsfindung und Verhandlungen schwierig, wie sich in den vergangenen Tagen besonders zeigte. Die meisten Unterstützer hatte zwar von Beginn der Überlegungen für eine Impfpflicht an ein Antrag einer Gruppe von Politikern von SPD, Grünen und FDP, der eine Impfpflicht ab 18 Jahren vorsah. Eine Mehrheit blieb aber immer außer Reichweite. Vergangene Woche bat Kanzler Scholz dann die Union zu Gesprächen, um einen möglichen Kompromiss auszuhandeln. Ohne Stimmen von CDU und CSU hätte kein Vorschlag für eine Impfpflicht eine Chance gehabt. Das Treffen aber blieb ergebnislos – und so begannen die Spitzen des Antrags für eine Impfpflicht ab 18 Jahren mit Plan B, nämlich der Mehrheitsfindung in der Ampel. Sie schwächten ihren Vorschlag zu Beginn der Woche weiter ab, nun sollte es eine Impfpflicht ab 50 Jahren geben. Das zielte auf die zweite Gruppe der Impfpflicht-Befürworter um den FDP-Gesundheitspolitiker Ullmann ab. Der hatte eine Beratungspflicht für alle Erwachsenen vorgeschlagen, die in eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren münden könnte. Ullmann aber winkte den Vorschlag der ersten Gruppe ab – in der SPD erzählt man sich, dass es eigentlich anders verabredet war. Ullmanns Nein zwang die Ampel zu weiteren Gesprächen. Als Kompromiss schlugen die beiden Gruppen vor, dass Menschen ab 60 ab dem 15. Oktober in der Lage sein müssen, nachzuweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Je nach Pandemie-Lage, Erkenntnissen über Virusvarianten und Impfquote könnte der Bundestag diese Pflicht aber vorher auch wieder aussetzen. Mit einem Beschluss frühestens im September hätte der Bundestag die Pflicht aber auch auf Personen ab 18 ausweiten können. Der Gesetzentwurf der Gruppe sah außerdem eine Beratungspflicht und den Aufbau eines Impfregisters vor. Dieser Antrag lag als einzig ausgearbeiteter Gesetzentwurf vor. Doch der kurzfristig verabredete Kompromiss hatte gleich zwei Probleme. Nicht alle aus der Gruppe um Ullmann trugen den neuen Vorschlag mit. Dazu zählt unter anderem FDP-Fraktionschef Christian Dürr. „Ich war geneigt, dem Antrag zur Beratungspflicht zuzustimmen, weil ich das Prozedere durchaus sinnvoll gefunden hätte“, sagte Dürr dem Handelsblatt. „Da dieser Vorschlag zurückgezogen wurde, kann ich keinem der vorliegenden Anträge zustimmen. Dazu werde ich eine Erklärung zu Protokoll geben.“ Das zweite Problem: Den Impfpflicht-Befürwortern der Ampel war es bis zuletzt nicht gelungen, Abgeordnete der Union für ihren Antrag zu gewinnen. Zwar hatten sie Forderungen von CDU und CSU wie ein Impfregister aufgenommen. Doch bis zuletzt hielt die Union an ihrem eigenen Vorschlag fest. „Die SPD versucht offenbar, Stimmen von der Union durch deren Beschimpfung zu erreichen. Bemerkenswerte Strategie“, zitierte der CDU-Abgeordnete Johannes Steiniger in einem Tweet eine SMS, die er während der Debatte erhielt.