Thursday, December 2, 2021
Zapfenstreich der Bundeskanzlerin: Und alles tut so weh
Sie liebt es schrill, aber auch demütig: der Ohrenmensch Angela Merkel.
SZ.de
Zapfenstreich der Bundeskanzlerin: Und alles tut so weh
Von Cornelius Pollmer - Vor 11 Std.
Zum Großen Zapfenstreich der Bundeswehr wünscht sich Angela Merkel Hildegard Knef, Nina Hagen und ein Kirchenlied. Die Überraschung ist ihr geglückt.
Und alles tut so weh
Wo Politik und Musik aufeinandertreffen, da geht man besser schnell in Deckung. Von der Ära Merkel werden diesbezüglich allen voran die Minister Guttenberg und Scheuer in Erinnerung bleiben. Dass Guttenberg seine spätere Frau auf der Loveparade kennenlernte, kann man beiden nicht vorwerfen - dass er sich später T-Shirts von AC/DC oder sich selbst ("KrisenbewälTiger") übers gekrempelte weiße Hemd streifte, schon. Dass der Bundesverkehrsandi in der Nähe von Passau mal als Deutschlandjockey auftrat, ist noch heute als Video im Netz dokumentiert, Titel: "Andreas Scheuer eröffnet Disco und geht richtig ab!"
So richtig ab geht es in der Kategorie Musik aber selbst bei jenen Politikern nicht, die sonst als cool gelten. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Musikgeschmack doch eher etwas Privates ist. Der Amtsvorvorgänger von Joe Biden war jemand, dem fast alle große Lässigkeit unterstellten. Jetzt muss er auf radiohamburg.de ein Stück in Cringe-Dur über sich lesen, Titel: " Zu diesen Sommerhits chillt Barack Obama".
Obama ist selbst schuld. Er veröffentlicht wirklich eifrig alle möglichen Playlists. Von Angela Merkel ist dies nicht zu erwarten. An diesem Donnerstag wird sie mit einem Großen Zapfenstreich von der Bundeswehr verabschiedet. Merkel hat dafür folgende drei Musikwünsche eingereicht: das ökumenische deutsche Kirchenlied "Großer Gott, wir loben dich" sowie die modernen Klassiker "Für mich soll's rote Rosen regnen" (Hildegard Knef) und "Du hast den Farbfilm vergessen" (Nina Hagen).
Die Auswahl ist im besten Sinne überraschend. Im Ohr lärmt der Grölschaden "Life is Life" nach vom Großen Zapfenstreich für Thomas de Maizière. Auf dem Speicher für audiovisuelle Medien wiederum läuft noch immer der leicht ins Dietlhafte gehende Film mit dem weinenden Gerhard Schröder, der Sinatras "My Way" spielen ließ - diesen tückischen Überklassiker, den viele als passgenaue Spezialanfertigung für ihr (Berufs)leben missverstehen, obwohl er das geschickte Gegenteil ist: one size fits all.
Bei Merkel war man jetzt natürlich neugierig. Vieles wäre vorstellbar gewesen. Zum Beispiel die mit den Regeln brechende Hinzunahme eines Sängers, der einen Corona-Warnsatzklassiker Merkels aufführt: "Uns ist das Ding entglitten", vorgetragen vielleicht auf die Melodie von "Es ist ein Ros entsprungen"? Weil doch bald Weihnachten ist. Stattdessen also die Knef, die Hagen, der Herr im Himmel. West, Ost, oben. Rührend, schrill, demütig.
Es ist eine Auswahl, die ein letztes Mal zeigt, dass Angela Merkel ihre Botschaften über Gesten in der Regel besser aussenden konnte als mit Worten. Besonders das Lied von Hagen ist in diesem Sinne eine schöne letzte Aufnahme im Farbfilm dieser Kanzlerschaft. Demnächst wird Merkel dann also mit dem Pritt-Stift loslegen: "Nun sitz ich wieder bei dir und mir zu Haus / Und such die Fotos für's Fotoalbum aus".