Wednesday, December 29, 2021

Schrippenmutti ist tot – jetzt schmiert sie im Himmel Stullen

Berliner Kurier Schrippenmutti ist tot – jetzt schmiert sie im Himmel Stullen Vor 3 Std. Das Berliner Nachtleben kannte und liebte sie. In Schwulenbars, Puffs und Kneipen war die „Schrippen-Mutti“ zu Hause. Mit üppig bepackten Tabletts voller Schrippen und Bouletten ging sie bis sie fast 80 Jahre alt war, ihre Runden. „Ick komm überall rin“, sagte sie immer stolz. Und so sah das aus, wenn die Schrippenmutti in ihrem Element war und tagsüber massenhaft Schrippen für die Nachtschwärmer der Stadt schmierte: Eine Ladung Schrippen liegt schon in der Küche bereit, die Eier sind gekocht und Inge Schulze springt vom Sofa auf, als ihr die Würstchen auf dem Herd einfallen. „Ein paar sind zerplatzt“, ruft sie, als sie über den dicken Teppichboden zurück in ihr „Musikzimmer“ getrippelt kommt. Die Stube der Inge Schulze war ein kleiner Altbau-Palast, in dem sie seit über 60 Jahren wohnte. Jedes Zimmer prachtvoll dekoriert, hier ein Baldachin, da Blumendeko, der Charme der alten Dame war Programm. Ihre liebenswerte Art hat sie zeitlebens durch alle Widrigkeiten als stadtbekannte „Schrippen-Mutti“ getragen. Man nahm ihr den Führerschein weg, konfiszierte ihre Piaggio, öfter sah sie fast das Ende ihrer Tour-Karriere mit den belegten Brötchen durchs Berliner Nachtleben, deren Erlös sie an Obdachlose spendet. Doch immer ging es irgendwie weiter für das Berliner Original. Bis am Ende die Hüfte nicht mehr mitmachte. 2019 fährt Inge Schulze ihre letzte Tour. Inge Schulze blühte auf, wenn die Lichter ausgingen. Sie schäkerte wie keine andere mit den Nachtgewächsen der Stadt, kannte Hinz und herzte Kunz. Die Schrippenmutti gehörte zu einer Art von Ur-Berlinern die selten geworden sind, die mit sehr viel Herz und noch mehr Schnauze. In ihrer palastartigen 300 Quadratmeter-Wohnung sammelte Inge Schulze Engel. „Engel sind für mich wundervolle Wesen“, sagte die Schrippen-Mutti. Insgesamt hatte sie bei einem Besuch des KURIER vor einigen Jahren rund 250 Stück in der ganzen Wohnung zusammengetragen – inklusive der Engel an den Stuck-Decken. „Als wir eingezogen sind, waren die aber alle mit Farbe übermalt. Wir haben wochenlang in Kleinarbeit alles abkratzen müssen“, sagte sie damals. Was sie an Miete bezahle? „Ein Witz.“ Auch die Plüschtiere, die sie von ihren Kunden geschenkt bekam, hatte sie alle aufgehoben. Einmal gab es sogar ein Diadem für dir ungekrönte Königin der Kreuzberger und Schöneberger und Weddinger ach der Berliner Nächte. Und in der Küche hing eine Postkarte: „Mutti ist großes Kino!“, stand da und es stimmte. Inge Schulze liebte ihre Katzen. Da war Katerchen mit den drei Beinen. Zeitweise bevölkerten bis zu zehn Katzen die Riesenwohnung in Wedding in der sie erst mit den Eltern, dann mit Mann und Töchtern und zuletzt allein lebte. Inge Schulze hatte ein großes Herz für die, die es nicht so gut hatten. An einen erinnerte sich die Schrippenmutti bei einem KURIER- Besuch besonders gern: Ehemann Reinhard. Nach einer Tanzparty lernten sie sich 1958 kennen. Er gabelte die junge Inge an der Straße auf, bot an, sie nach Hause zu fahren. Der Beginn einer großen Liebe! 1984 starb er an Krebs. „Wir waren viele Jahre verheiratet – und jeder Tag war schön!“, sagte die Schrippenmutti, deren Arbeit auch ihr Leben war: „Ich hatte zwei Träume: Stewardess in Kanada oder Krankenschwester.“ Nach Lehre und Arbeit in einer Fleischerei lernte sie mit 31 in einem Krankenhaus in Zehlendorf, arbeitete dort. Um den Tod ihres Mannes zu verarbeiten fuhr sie später im Auto zwei Jahre durch die Welt, 75.000 Kilometer durch die Schweiz, Bulgarien, Türkei. „Ich lernte viele arme Leute kennen, dachte: Inge, dir geht's gut, werd' mal normal.“ Zurück in der Heimat kam der neue Job. Erst Fleischverkäuferin in einem Wagen in Treptow, später Schrippen-Mutti. Mit ihrer Piaggio wollte sie noch durch Berlin knattern, solange die Gesundheit hält. Doch 2019 war Schluss. Auch Corona hat das Nachtleben, das sie so liebte, stillgelegt. Zu ihren besten Zeiten hat die Schrippenmutti 120 Schrippen, 40 Stullen und 140 Buletten in einer Nacht verkauft. Was sie in den Kneipen nicht loswurde, brachte Inge Schulze den Obdachlosen am Bahnhof Zoo. „Ick bin Kriegskind“, hat sie immer gesagt. „Wegjeworfen wird nüscht.“ Die Schrippenmutti wurde 81 Jahre alt. Berlin verneigt sich vor einer echten Berlinerin, die die Stadt in jeder Nacht ein Stückchen besser machte.