Wednesday, April 6, 2022
Ukraine bittet Scholz direkt um Panzer, doch dieser zögert
WELT
Ukraine bittet Scholz direkt um Panzer, doch dieser zögert
Robin Alexander - Gestern um 07:30
Nachdem das deutsche Verteidigungsministerium einer ukrainischen Anfrage auf Lieferung von 100 Marder-Schützenpanzern nicht entsprochen hatte, hat Kiew die entsprechende Bitte Ende vergangener Woche direkt im Kanzleramt vorgebracht. Bis zum Dienstagabend gab es von dort jedoch kein Signal, ob eine Genehmigung erteilt wird. Dies erfuhr WELT aus ukrainischen Regierungskreisen.
Eine Delegation unter Leitung von Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko hatte die Forderung demnach in einem Gespräch mit einem außenpolitischen Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgebracht. Die dreiköpfige Delegation war am vergangenen Donnerstag und Freitag in Berlin, um von Deutschland eine entschiedenere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland zu erbitten.
Am Freitag war sie im Kanzleramt zu Besuch, wo Klitschko auch Einzelgespräche mit Kanzler Scholz und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt führte. Die ukrainische Seite habe dabei klargemacht, dass die Marder-Lieferung aktuell oberste ukrainische Priorität sei.
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hatte bereits zwei Tage zuvor in einem Brief und einem anschließenden Telefonat mit seiner deutschen Kollegin Christine Lambrecht (SPD) um die Marder-Panzer gebeten. Lambrecht hatte ukrainischen Quellen zufolge jedoch abgelehnt und argumentiert, dass die Panzer in Nato-Aufgaben gebunden seien.
Scholz: Waffenlieferungen nur im Gleichschritt mit den Verbündeten
WELT gegenüber verwies das Ministerium jedoch auf das Kanzleramt: Die Scholz-Behörde koordiniere den Bundessicherheitsrat, in dem die Entscheidung letztlich falle.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat intern nach WELT-Informationen die Linie ausgegeben, dass Waffenlieferungen nur im Gleichschritt mit den Verbündeten geleistet werden. So haben die USA bisher keine Lieferung eigener Panzer zugesagt. Allerdings kündigten die Vereinigten Staaten am vergangenen Freitag an, der Ukraine ehemalige sowjetische Panzer im Besitz osteuropäischer Staaten zu vermitteln. Am selben Tag gab auch Deutschland grünes Licht für die Weitergabe von 56 BMP-1-Schützenpanzern, die aus Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR stammen und zuletzt in tschechischem Besitz waren.
Die von der Ukraine erbetenen 100 Marder-Panzer hatte der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall bereits am 28. Februar der Bundesregierung angeboten. Pro Fahrzeug veranschlagt der Konzern dabei 940.000 Euro, 100 Panzer kosteten also 94 Millionen Euro. Die Fahrzeuge stehen derzeit bei Rheinmetall, weil die Bundeswehr sie ausgemustert hatte. Die Panzer müssten für einen Einsatz in der Ukraine generalüberholt werden. Dies würde bis ins nächste Jahr dauern.
Marder-Panzer abgeben, alte generalüberholen
Die Idee ist deshalb, dass die Bundeswehr eigene Marder-Panzer an die Ukraine abgibt – und die entstehenden Lücken dann im kommenden Jahr mit den generalüberholten Mardern wieder auffüllt. Solange die russische Armee in der Ukraine gebunden sei, sei ein Angriff auf die Nato unwahrscheinlich, so die Überlegung. Eine kurzzeitige Verminderung der Zahl der Marder-Panzer bei der Bundeswehr wiederum werde die deutsche Armee nicht erheblich schwächen, da man ja generalüberholte Fahrzeuge nachgeschoben bekäme.
Die Bundesregierung hatte bereits am 28. Februar bei der deutschen Rüstungsindustrie in einem Geheimtreffen die Verfügbarkeit von Waffen für die Ukraine abgefragt. Seither wurden aber keine dieser angebotenen Produkte an Kiew geliefert. Bisher erhielt die Ukraine von der Bundesregierung nur Waffen aus Bundeswehrbeständen. Diese sind nach Jahren des Sparkurses begrenzt. Zugleich hat Deutschland allerdings eine der größten Rüstungsindustrien der Welt.
Aus den Offerten der Konzerne hatte das Verteidigungsministerium eine Liste mit mehr als 200 Angebotspositionen im Wert von rund 300 Millionen Euro erstellt. In der Aufstellung, die WELT vorliegt, befinden sich keine klassischen schweren Waffen wie Schützenpanzer, Kampfpanzer oder Artilleriegeschütze. Ein Vergleich mit dem ursprünglichen Angebot des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall und der Lambrecht-Liste zeigt: Bei der Auswahl der angebotenen Waffen wurden schwere Waffen aussortiert.
Für Verwirrung sorgte am Dienstag unterschiedliche Angaben der Bundesregierung über den Umfang der geleisteten Waffenhilfe. So teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit, im ersten Quartal des Jahres seien Genehmigungen für Waffen für 186.451.448 Euro an die Ukraine erteilt worden. Die Zahl ist bedeutend höher als die bisherigen Angaben des Verteidigungsministeriums. Vor einer Woche hatte Lambrecht in einer Talkshow von Waffenlieferungen im Wert von „80 Millionen“ gesprochen.
Intern wird die Differenz von mehr als 100 Millionen Euro mit einer unterschiedlichen Berechnungsgrundlage erklärt. Demnach arbeitet das Verteidigungsministerium mit dem „Zeitwert“ der Waffen, gebe also an, wieviel diese aktuell real wert seien. Das Wirtschaftsministerium hingegen verwende den „Neuwert“, also der Preis, den die Waffen bei der Anschaffung kosten würden – oder einmal gekostet hätten. Da der Ukraine vor allem ältere Waffen, teilweise aus ehemaligen DDR-Beständen, überlassen wurden, klaffen die Angaben so weit auseinander.