Friday, June 7, 2024

Claudia Roth: Die schon wieder

Frankfurter Allgemeine Zeitung Claudia Roth: Die schon wieder Claudius Seidl • 2 Std. • 8 Minuten Lesezeit Bunt und laut: Claudia Roth Anfang Mai bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises – das linksliberale Publikum stand ihr kritisch gegenüber. An einem kühlen Abend im Frühling wird in Berlin die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung eröffnet – und weil die Journalisten gebeten wurden, möglichst früh zu erscheinen, sitzt man als einer der Ersten im Saal und schaut den anderen Gästen beim Hereinkommen und Platznehmen zu. Honoratioren, Direktoren, Professoren, viel mehr Herren als Damen. Und weil das alles so kantig ist, die Garderoben, die Umgangsformen, die ganze Atmosphäre im Saal, denkt man, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die eine Rede halten soll, hier dringend gebraucht wird und freudig erwartet werden müsste: mit ihrer ganz und gar unkantigen Herzlichkeit, ihrer Frisur und ihren Umgangsformen, die sich so unpreußisch runden. Sie liebt, sie schwärmt, sie ist begeistert: Claudia Roth Als Roth dann redet, wird sie persönlich, sie liebt, sie schwärmt, sie ist begeistert. Sie sagt nichts Falsches über Caspar David Friedrich – und wenn man sie kritisieren wollte, dann nur dafür, dass sie in ihrem Überschwang womöglich sich selbst mit dem Amt verwechselt. Es ist ja nicht ihr eigener Geschmack, der die Richtlinien der Kulturpolitik bestimmen sollte. Es gehörte eigentlich zu ihren Aufgaben, auch dort zu sprechen, wo sie persönlich mit der Kunst nichts anfangen kann. Ständig in der Kritik: Claudia Roth Schwerer Stand im Kulturbetrieb Immerhin sagt sie diesmal nicht, dass diese Kunst uns zu besseren Menschen machen und die Gesellschaft mit sich versöhnen könne. Eine Woche zuvor, beim Jahresempfang der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, verglich sie die Kunst mit dem Kanarienvogel, der zu singen aufhört, wenn die Luft im Bergwerk zu giftig wird. Die Kunst also als gesellschaftliches Frühwarnsystem. Ein paar Tage später, beim Israelisch-deutschen Festival, vor dem Konzert der israelisch-amerikanischen Geigerin Miri Ben-Ari, pries sie die gemeinsam erlebte Musik als Erfahrung, die über alle Differenzen hinweg Gemeinschaft befördert und Spaltung überwindet. Und genau so eine Musik spielte Miri Ben-Ari dann auch, eine Mitklatsch- und Mitsingmusik, ein säkulares Gebet für Frieden und Gemeinschaft. Dass Claudia Roth mitmachte, wurde von ihr erwartet. Und offensichtlich tat sie es mit Freude: „We pray together, together we pray!“ Haben Sie etwas gegen eine Kunst, die sich den guten Absichten verweigert? Die einzelgängerisch, unverständlich, böse, provokant, hässlich und radikal unversöhnt mit der Gesellschaft ist? Das ist die Frage, die man ihr nach solchen Abenden zumuten muss. Dass sie mit „Nein, natürlich nicht“ antwortet; dass sie mit der gleichen Emphase, mit der sie eben noch die Kunst in Haft genommen hat für die Heilung der Gesellschaft, jetzt deren absolute Freiheit beschwört, ist womöglich eines ihrer Probleme. Flair von Subkultur, Aktivismus und emotionaler Entzündbarkeit Das größere Problem zeigt sich nach der Eröffnungsfeier im oberen Foyer der Alten Nationalgalerie. Ein Herr von den Freunden der Nationalgalerie gesellt sich zu der Runde hinzu, in der man steht, sagt ein paar freundliche Worte und dann: „Nur die Claudia Roth, die hätte es nicht gebraucht.“ Wenig später kommt Claudia Roth heraus und biegt, nach kurzem freundlichen Small Talk, zu einem kleinen Rundgang durch die Ausstellung ab. Ihr Referent begleitet sie – und es sieht aus, als ob sonst fast niemand hier Lust hätte auf eine Plauderei mit ihr. Was bestimmt nicht daran liegt, dass man sich den Bildern Caspar David Friedrichs nur in schweigsamer Ehrfurcht nähern dürfte. Claudia Roth hat einen schweren Stand im Kulturbetrieb. Das zeigt sich auch Anfang Mai beim Deutschen Filmpreis. Die Gäste stehen zusammen, plaudern: Claudia Roth? – Ich mag sie nicht, ich glaub ihr nichts, sie ist mir zu laut, sie geht mir auf den Wecker. So ist die Stimmung im eher linksliberalen Publikum, das ihr später, nach ihrem Grußwort, zujubeln wird, weil sie verspricht, die dringend nötige Reform der Filmförderung zu einem guten Ende zu bringen. Zuvor hat sie allerdings, mal wieder, die Kraft des Kinos schlechthin beschworen – und offenbar sind auch die Filmleute feinfühlig genug zu spüren, dass damit alles und nichts gesagt ist. Dass Menschen, die sich politisch und kulturell als konservativ verstehen, Claudia Roth nicht mögen, ist vielleicht kein Wunder angesichts ihrer Vergangenheit als Vorsitzende der Grünen, angesichts des Flairs von Subkultur, Aktivismus und emotionaler Entzündbarkeit, der sie früher mehr als heute umwehte. Es war allerdings ihr Vorvorgänger im Amt des Kulturstaatsministers, der konservative Christdemokrat Bernd Neumann, der schon zum Anfang der Zehnerjahre Journalisten erzählte, dass die Grünen doch in den meisten Fragen der Ökologie recht behalten hätten. Und dass man als Christdemokrat ruhig auch kulturell mit ihnen Frieden schließen dürfe. Es war die Zeit, da Claudia Roth auch in der Show „Verstehen Sie Spaß?“ eine ganz gute Figur machte und man denken durfte, dass, was Konservative an ihrem Habitus eben noch als penetrant und nervig empfunden hatten, sich endlich in ein massenmedientaugliches Markenzeichen verwandelt hatte. Die Frisur, die bunten Kleider, die Bereitschaft, jederzeit laut zu lachen. Der dauernde emotionale Ausnahmezustand. Claudia Roth, eine Politikerin, die volksnah sein kann – falls man bereit ist, auch das großstädtische, ökoalternative Milieu zum Volk zu zählen. Und eine Politikerin, die unterhaltsam ist, wie sie immer wieder unter Beweis gestellt hat, etwa zu Beginn der Legislaturperiode, als sie bei Sandra Maischberger angeregt und geradezu Late-Night-Show-tauglich über die Legalisierung von Cannabis plauderte. Schwierige Arbeit des Erinnerns und Gedenkens Um eine gute Show, so glaubt man sich heute zu erinnern, ging es ja damals, vor 26 Jahren, als Michael Naumann das Amt des Kulturstaatsministers erfand. Um Inspiration, Provokation, Sinnstiftung für die sich gerade findende Berliner Repu­blik. Zuständigkeiten gab es kaum; umso freier konnte Naumann die Öffentlichkeit mit seinen Visionen herausfordern und unterhalten. Nur dass die Nachfolgerinnen und Nachfolger, schon um die eigene Daseinsberechtigung nachzuweisen, Zuständigkeiten an sich gezogen haben: für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, für Filmförderung, Kulturgutschutz, fürs Humboldt-Forum. Und für jene sehr deutschen Aufgaben, die man „Aufarbeiten und Erinnern“ nennt. Und so muss Claudia Roth sich jetzt mahnen lassen, dass ihr Haus gefälligst zügiger arbeiten könnte, wenn es um die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz geht. Sie musste sich daran erinnern lassen, dass das alte Filmfördergesetz ausläuft, weshalb, wenn sie sich mit dem neuen nicht beeilt, es im nächsten Jahr gar keine Filmförderung geben könnte. Immerhin, die Arbeit ist jetzt getan, und erstaunlicherweise gibt es Leute, vorwiegend sind es Produzenten, die sie dafür loben. Und auch wenn es dem größten Teil selbst des kulturinteressierten Publikums völlig egal ist, wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sich organisiert, so bleibt von der Kritik offensichtlich doch eines hängen: dass Effizienz nicht die Stärke von Claudia Roths Ministerium ist. Bleibt die schwierige und für immer unerledigte Arbeit des Erinnerns und Gedenkens. Gerade erst hat sie sich, halbwegs erfolgreich, gewehrt gegen den Vorwurf, dass sie irgendwie verantwortlich sein könnte dafür, dass bei der Abschlussgala der Berlinale einige Preisträger den Staat Israel des Genozids und des Abschlachtens von Palästinensern bezichtigten. Sie warb um Verständnis: Wäre sie, quasi die Gastgeberin, auf die Bühne gestürmt und hätte den Israelhassern widersprochen oder türenknallend den Saal verlassen, wäre die Blamage für das Land und das Festival vollkommen gewesen. Sie suggerierte, dass sie solche Sätze auch nicht hören wolle. Dass sie aber leider kein Mittel dagegen finde. Aus der Defensive kam sie aber nicht heraus. Sich hinzustellen und ihren Kritikern selbstbewusst zu erklären, dass solche Auftritte zu den Risiken eines internationalen Festivals gehören und dass man, wenn man solche Sätze nicht aushalten wolle, die Berlinale gleich dichtmachen könne: Dazu fehlte ihr offensichtlich der Mumm. Vor zwei Jahren, als bei der Documenta in Kassel antisemitische Kunstwerke ausgestellt wurden, hatte sie wohl auch deshalb so ratlos gewirkt, weil sie es selbst nicht fassen konnte, dass, was gerade noch „Dritte Welt“ geheißen hatte und Ziel ihres Engagements und ihrer Sympathie gewesen war, sich jetzt „globaler Süden“ nennt und aus dem Ressentiment gegen Israel und die Juden kein Geheimnis mehr macht. Protest von Leitern der Gedenkstätten Dann bekam Claudia Roth neuen Ärger mit dem Erinnern und Gedenken. Die Leiter sämtlicher Gedenkstätten hatten ihr einen Brief geschrieben, in welchem sie das „Rahmenkonzept Erinnerungskultur“ aus dem Haus Roths kategorisch ablehnen. Es geht in dem Konzept im Wesentlichen darum, dass das Gedenken, das sich bislang auf die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Unrecht der DDR konzentriert, erweitert werden soll um die Geschichte der Migration – einschließlich deren Bekämpfung durch rechtsextreme Attentäter und die Mörder zum Beispiel des NSU – und des Kolonialismus. Die Leiter der Gedenkstätten protestieren dagegen nicht nur deshalb, weil sie fürchten, dass man ihnen dafür die Mittel kürzen wird. Sie fürchten auch, dass damit die Singularität des Judenmords infrage gestellt, die Abgeschlossenheit der DDR-Geschichte für irrelevant erklärt und der kategorische Unterschied zwischen Verbrechen, für welche der deutsche Staat verantwortlich ist, und solchen, die hier geschehen sind, verwischt und verwässert würde. Nun gab Roth Entwarnung. „Die schrillen Töne sind erst mal überwunden“, sagte sie am Freitag im Bayerischen Rundfunk. Am Donnerstag hatte es ein Krisentreffen gegeben, danach gab es eine gemeinsame Erklärung. Die Geschichtskultur in Deutschland werde ganz entscheidend von der Arbeit der Gedenkstätten zu den NS-Verbrechen und zur Aufarbeitung des SED-Unrechts getragen, heißt es in der Mitteilung, die Roth mit dem Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Oliver von Wrochem, und Jörg Ganzenmüller von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur für die Gedenkstätten herausgab. Aber auch, dass über die Einbeziehung von Themen wie Kolonialismus, Rechtsterrorismus oder die Einwanderungsgesellschaft „weiter beraten“ werden solle. Sie stimmte der BDS-Resolution nicht zu Aus einer gewissen Distanz sind die Positionen tatsächlich nicht unvereinbar, und im richtigen Rahmen betrachtet, sind die Geschichte der Migration wie des deutschen Kolonialismus alle Erinnerungs- und Gedenkarbeit wert. Dennoch gerät Claudia Roth immer wieder in den Verdacht, sie wolle die Einzigartigkeit der deutschen Verbrechen relativieren und, wie es die postkoloniale Art ist, einsortieren in den größeren verbrechensgeschichtlichen Zusammenhang Europas. Das ist womöglich immer noch eine Spätfolge jener Abstimmung im Bundestag im Jahr 2019, bei der die Mehrheit der Abgeordneten der antiisraelischen Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) bescheinigte, antisemitisch zu sein. Claudia Roth stimmte damals nicht zu, weil sie meinte, dass es dort zwar antisemitische Tendenzen gebe, man die ganze Bewegung aber nicht pauschal verurteilen dürfe. Das war vor dem 7. Oktober und dem Krieg in Gaza. Dass sie seither keine Gelegenheit ausgelassen hat, der ermordeten Juden zu gedenken und die lebenden Juden zu preisen, zu umarmen, ihrer Solidarität zu versichern, hilft der Kulturstaatsministerin wenig. Eine Skepsis ihr gegenüber bleibt, vor allem bei den deutschen Juden, und sie scheint das zu spüren. Das ist wohl auch die Erklärung dafür, dass sie, die so laut und heftig loben und lieben und sich freuen kann, in den entscheidenden Kontroversen ein wenig verdruckst wirkt. Und aus der Defensive nicht herauskommt. Dabei könnte sie doch gerade die Migrationsgeschichte und das koloniale Erbe zu ihren ureigenen Themen machen, zu der sinnstiftenden Idee, die ihrer Amtsführung bislang fehlt. Das wären allerdings Themen, bei denen man ohne Streit keinen Schritt weiterkommt. Es gäbe Streit mit migrationsskeptischen Konservativen, für die jeder Muslim unter dem Verdacht steht, ohnehin Antisemit zu sein. Es gäbe erst recht Streit mit der postkolonialen und nicht gerade israelfreundlichen Linken, die jede differenzierte Betrachtung der deutschen Kolonialgeschichte nur als Versuch werten wird, deutsche Schuld zu relativieren und die Verantwortung für die globalen Folgen des Kolonialismus zu verdrängen. Am Ende bekäme Claudia Roth sogar Streit mit ihrem Staatssekretär Andreas Görgen, der mit dem postkolonialen Mainstream zu sympathisieren scheint. Claudia Roth lässt sich Konfliktscheue nicht nachsagen. Gegen die Bösen hat sie immer gestritten, gegen Patriarchen, Frauenfeinde, Klimakiller, Menschenrechtsverweigerer, Autokraten und Diktatoren. Was allerdings den Vorteil hat, dass kaum jemand widerspricht. Und den Nachteil, dass solch leidenschaftliches Einrennen offener Türen selbst Sympathisanten pompös erscheint und auf den Wecker geht. Bis heute kann sie den Antisemitismus nicht verurteilen, ohne gleich die Verurteilung des Rassismus und jeder gruppenbezogenen Menschlichkeit hinterherzuschieben. Politik ist aber etwas anderes. Politik ist Streit mit Gegnern, die nicht das absolut Böse verkörpern – gegen die man sich aber trotzdem durchsetzen muss. Solchen Streit zu wagen, das würde, nur scheinbar paradoxerweise, womöglich die Leute aus dem Kulturbetrieb wieder mit ihr versöhnen.