Thursday, April 4, 2024

Seit einem Jahr in der Nato: Russlands Druck auf Finnland wächst

Merkur Seit einem Jahr in der Nato: Russlands Druck auf Finnland wächst Christiane Kühl • 5 Std. • 3 Minuten Lesezeit Sicherheitspolitik Finnland ist seit genau einem Jahr Mitglied der Nato. Das Land muss nun sein Militär in die Strukturen der Allianz integrieren. Ein Netto-Beitragszahler ist Finnland bereits. Die Nato feiert am heutigen Donnerstag nicht nur ihr 75-jähriges Jubiläum – sondern auch den ersten Jahrestag der Mitgliedschaft Finnlands. Im Frühjahr 2022 hatte Helsinki gemeinsam mit Stockholm den Beitrittsantrag gestellt, am 4. April 2023 wurde das Land offiziell aufgenommen. Schweden musste dagegen bis März 2024 warten. Finnland erweist sich bereits jetzt als fähiger und nützlicher Verbündeter. Das Land war gleich in seinem ersten Jahr ein Nettozahler für das Bündnis. 2024 will es 2,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung (BIP) für die Verteidigung ausgeben und liegt damit über dem offiziellen Nato-Ausgabenziel von zwei Prozent. Im Falle einer akuten militärischen Bedrohung können die relativ kleinen finnischen Streitkräfte rasch eine Reservistenreserve von 280.000 Personen mobilisieren. Finnland leistet wertvolle Beiträge zur Nato - und profitiert selbst vom Beitritt „Mit seinen arktischen Fähigkeiten, seiner Widerstandsfähigkeit und seinem hochmodernen Militär leistet Finnland bereits einen Beitrag zur Nato“, schreibt Jason Moyer von der US-Denkfabrik Wilson Center. Insgesamt hat Finnland bisher mehr als 2,5 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine beigetragen und ist damit laut dem Ukraine-Support-Tracker des Kiel Instituts für Weltwirtschaft der neuntgrößte Helfer im Verhältnis zum BIP. Am Tag vor dem Nato-Jubiläum kündigte der finnische Präsident Alexander Stubb bei einem Besuch in Kiew das 23. Hilfspaket seines Landes in Höhe von 188 Millionen Euro an und unterzeichnete mit der Ukraine ein zehnjähriges Sicherheitsabkommen. Doch auch umgekehrt profitiert Finnland von der Nato. Jahrzehntelang war es neutral gewesen, nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst auf Druck der Sowjetunion, später auch aus Überzeugung. Seit 1994 war Finnland Partnerland der Nato, doch es strebte bis 2022 keine Mitgliedschaft an. Erst der Beginn des Ukraine-Kriegs führte dort zu einer neuen Sicherheitsbewertung angesichts des offen zur Schau gestellten Moskauer Expansionsdrangs. Damals kippten auch die Umfragen, die Bevölkerung war auf einmal für den Beitritt. Und auch heute ist die Nato-Mitgliedschaft in Finnland populär: Rund 89 Prozent der 5,5 Millionen Finninnen und Finnen unterstützen die Allianz. Finnland durch Nato-Beitritt sicherer, trotz Drohungen aus Russland Wohl auch, weil das Land sicherer geworden ist – trotz der seit dem Nato-Beitritt zunehmenden Drohungen und Grauzonentaktiken Putins entlang der Grenze. Im Oktober 2023 wurden zeitgleich ein Unterwasser-Telefonkabel und eine Gaspipeline zwischen Finnland und Estland zerstört – Finnland wollte damals Sabotage und einen „staatlichen Akteur“ nicht ausschließen. Einen politischen Dialog mit Russland führt Finnland nicht mehr. Nach Erkenntnissen des Auslandsgeheimdienstes von Estland bereitet sich Russland darauf vor, eine neue Einheit Bodenkampftruppen in der Nähe der finnischen Grenze zu verlegen, wo die russische Militärpräsenz bislang minimal sei. „Wir hatten dort keine Truppen, jetzt werden sie dort sein“, sagte Präsident Wladimir Putin kürzlich im Interview mit der Nachrichtenagentur RIA und dem Staatssender Rossija-1. „Es gab dort keine Zerstörungssysteme, jetzt werden sie dorthin verlegt.“ Russland: Hybride Aktionen gegen Finnland Russland lässt seit Monaten zudem gezielt immer mehr Geflüchtete an die Grenze schaffen. Finnlands Regierungschef Petteri Orpo wertete dieses Vorgehen als „hybride Bedrohung“ durch Moskau. Helsinki schloss im November 2023 alle Grenzübergänge zu Russland und verstärkte seither die Kontrollen entlang der 1300 Kilometer langen Grenze. Mit Washington schloss Finnland ein Abkommen, das den US-Streitkräften die Nutzung von 15 Militärstützpunkten für gemeinsame Aktionen ermöglicht. Am Rande des Nato-Außenministertreffens vereinbarten beide Länder zudem, gemeinsam gegen staatlich orchestrierte Desinformationskampagnen vorzugehen. Integration in Nato-Strukturen: Finnland vor komplizierten Aufgaben Mit dem Beitritt kam die Aufgabe, das finnische Militär schrittweise in die Strukturen der Nato zu integrieren. Vor Ostern absolvierte die Luftwaffe gemeinsam mit Schweden ein sogenanntes Integrationstraining über der Ostsee, an dem auch deutsche Piloten teilnahmen. Finnische Bodentruppen müssen für gemeinsame Operationen Nato-Voraussetzungen erfüllen können. Im März nahm Finnland erstmals als Mitglied am Nato-Manöver Nordic Response teil, bei dem im Grenzgebiet mit Norwegen und Schweden die Verteidigung gegen eine feindliche Invasion geprobt wurde. Die Nato-Integration sei neben den praktischen auch mit kulturellen Herausforderungen verbunden, warnt eine neue Studie des International Centre for Defence and Security in Estlands Hauptstadt Tallinn – etwa wenn Finnland sein bislang „hochgradig eigenständiges Verteidigungsmodell an die Erfordernisse der kollektiven Verteidigung anpassen“ müsse. Auch dürften Schweden und Finnland über ihrer nordischen Identität ihre Rolle im Ostseeraum nicht vergessen, schreiben die Autoren. „Das Spannungsverhältnis zwischen nordischer und baltischer Identität der beiden Staaten hat sich bereits gezeigt in einer Diskussion darüber, wo sie sich in die Kommando- und Kontrollsysteme der Nato einfügen werden.“ Das alles sei lösbar, müsse aber ehrlich adressiert werden.