Sunday, April 14, 2024

Nachruf auf Joe Metzroth: Frag Joe!

Tagesspiegel Nachruf auf Joe Metzroth: Frag Joe! Tatjana Wulfert • 1Tage • 4 Minuten Lesezeit All die Jahre stieg er in der Hierarchie nicht auf. Und ließ sich die gute Laune nicht verderben Ein solider Nervenzusammenbruch nahte. Es brauchte nicht mehr viel, um das Fenster aufzureißen und den störrischen Computer mit wütendem Schwung auf die Straße zu schmeißen. Doch zum Glück gab es Joe. Weil es ihn gab, kam es nie zum Äußersten. Zuerst ein Anruf: „Mein Computer...“ – „Hast du schon mal einen Neustart gemacht?“ – „Hm?“ – „Hast du ihn an- und ausgeschaltet? Hast du auch den Stecker gezogen?“ Oft reichten schon die paar Handgriffe. Bei anderen Hilferufen erschien er persönlich im Büro seiner Kollegen von der „Zitty“ und dem „Tip“, die jetzt, nach seinem Tod, all die kleinen Begebenheiten mit ihm aufgeschrieben haben: „Ich kann leider kein Layout in der Contentstation sehen.“ – „Ich bin nicht mehr mit dem Drucker verbunden.“ – „Ich komme irgendwie nicht mehr in WordPress rein.“ IT-Gott Joe, wie ihn jemand betitelte, konnte immer weiterhelfen. Er selbst nannte sich ironisch „Erster Kommunikationsoffizier“. Was tatsächlich ein bisschen lustig ist, da sein Vater bei der Bundeswehr gearbeitet und diesen forschen Armeetonfall gepflegt hatte. Es dementsprechend auch nicht verstand, als sein Sohn verkündete, er sei Pazifist und werde selbstverständlich auf keinen Fall zum Bund gehen. Andererseits hatte der Vater, der später Sozialarbeiter wurde, auch dieses Verspielte, das er an Joe weiter gab. Er erfreute die Leute mit seiner Drehorgel und sammelte Autogramme Prominenter in rauen Mengen. Nehmen sie den Jungen hier runter! Die Mutter war sechs Jahre älter als der Vater, nicht gerade üblich damals. Außerdem war sie eine ungeheuer vitale und heitere Person, die noch mit 85 auf Reisen ging und die Dinge nicht so übertrieben ernst nahm. Zum Beispiel als Joe nach der neunten Klasse wegen Faulenzerei und sich daraus ergebender schlechter Leistungen vom Gymnasium flog. Nach einem Jahr auf der neuen Realschule allerdings, alles in Koblenz, wo er aufwuchs, rief der Direktor den Vater an und bat: Nehmen sie den Jungen hier runter und schicken ihn wieder aufs Gymnasium. Er ist hier vollkommen unterfordert. Joe landete auf einer katholischen Schule, in der fast ausschließlich Mädchen lernten, was ganz amüsant sein konnte. Das Beste aber war, dass er dort den Musik-Leistungskurs belegte. Er liebte die Musik, gründete eine Band, die tanzbaren Soul und Folk spielte. Später würde er an Elektrosounds basteln, die sich keinesfalls zum Tanzen eigneten. Joe hieß übrigens ursprünglich Hans Joachim Wilhelm, was er grauenhaft fand. Joe war am Rhein entstanden. Mit zwei Freunden hatte er am Flussufer gesessen, ein paar Bier getrunken, herumgealbert, Radio gehört, und da, plötzlich, sang Wencke Myhre „Lass mein Knie, Joe“. Und alle wussten sofort: Ja, das ist es, Joe, kurz und cool. Selbst seine Eltern übernahmen den neuen Namen. 1987 kam Joe nach Berlin. Studierte ein bisschen Musikwissenschaften und Amerikanistik, besaß früh Computer und eine Videokamera, tüftelte, jobbte nebenbei in einem Fotoladen und in der „Metro“. Beriet dort eine Frau, die sich von Herzen einen Epilierer wünschte, erklärte ihr die Funktionsweise des Gerätes, zugleich aber auch die Schmerzen, die beim Rausreißen der Haare entstehen, die Schmerzen der entzündeten Haut nach der Anwendung, trieb seine drastischen Ausführungen so weit, dass die Frau mit verstörtem Gesicht aus dem Geschäft lief, ohne den Epilierer. Die Gesichter der Kollegen, alle ein wenig verzerrt Das Studium ließ er schnell sein und begann bei der „Zitty“, kümmerte sich um die Computer und die Netzwerke, letztlich als Autodidakt. Er und ein Kollege nannten ihr Büro „Enterprise“, darin riesige Regale hinter Tischen, auf denen wie in einer Schaltzentrale bis zu neun Rechner standen. Tauchten bei jemandem, der gerade erst bei der „Zitty“ oder später dem „Tip“ angefangen hatte, technische Probleme auf, hieß es: Frag Joe. Der ließ dann seinerseits den Unwissenden nie spüren, schwer von Begriff zu sein, selbst wenn er es war. Er schnappte sich einen Stuhl, setzte sich, half ohne Hochmut, scherzte, teilte seine Kekse, seine Schokolade und seine Zigaretten mit dem Verzweifelten. Er war deutlich, eloquent, aber hob nie die Stimme, stieß niemals jemanden vor den Kopf, auch wenn er sich ärgerte. Und wurde vielleicht aus diesem Grund ein bisschen von den Chefs unterschätzt. Es fiel ihm schwer, sich selbst gut zu verkaufen, Gehaltsverhandlungen zu führen, stieg all die Jahre nicht in der Hierarchie auf. Und ließ sich seine gute Laune nicht verderben. Allein sein Auftritt auf dieser Weihnachtsfeier. Joe gab den Jesus. Die Feier fand im Yorkschlösschen statt. Irgendwann im Lauf des Tages wurde für das muntere Krippenspiel geprobt, danach trank man ein paar Gläschen, dann ging es zur Aufführung. Und kaum hatte sich der Vorhang gehoben, tobte bereits der ganze Saal. Zuhause brütete er über seiner Musik, spielte den Bass und das Keyboard ein, schloss sich jedoch keiner Band mehr an. Er produzierte den Soundtrack für einen Film. Er fotografierte, immer mit diesem feinen Hintersinn: Zahlen, die irgendwo in der Stadt auftauchten, an Mauern, auf Schildern, an Scheiben, die Gesichter der Kollegen auf einer Dampferfahrt, aber alle ein wenig verzerrt. Er stimmte einer Paddeltour durch Brandenburg mit seiner Freundin zu, machte jedoch ganz langsam, immer schön mit der Ruhe. Guck mal, das Blesshuhn hier, die Stockente dort. Grundsätzlich aber: Nicht zu viel Natur bitte. Und vor allem nichts, was allzu sehr nach Sport aussieht. Und dann kam der Schnitt, urplötzlich, am 31. Januar ging es los. Er verschlief am Morgen. Obwohl er nie verschlief. Dafür nickte er später an seinem Arbeitstisch ein. Noch ungewöhnlicher. Dann brach er zusammen. In der Charité fanden die Ärzte diese seltene Krankheit: Aortenbogenthrombus. Zwei Wochen lang lag Joe bewusstlos in seinem Bett. Dann starb er. Eine Kollegin schrieb: „Wenn du nicht da warst, fühlte sich das Büro immer ein paar Grad kälter an. Wie wir es jetzt wieder wärmer bekommen sollen, weiß ich nicht.“