Friday, November 3, 2023

„Wir gewinnen nicht – aber erklär ihm das mal“: Anonymer Selenskyj-Mitarbeiter gewährt düsteren Einblick

FR „Wir gewinnen nicht – aber erklär ihm das mal“: Anonymer Selenskyj-Mitarbeiter gewährt düsteren Einblick Artikel von Bettina Menzel • 1 Std. Ukraine-Krieg „Wir gewinnen nicht – aber erklär ihm das mal“: Anonymer Selenskyj-Mitarbeiter gewährt düsteren Einblick Trotz der stockenden Gegenoffensive glaubt der ukrainische Präsident Selenskyj weiterhin unerschütterlich an einen Sieg über Russland. Doch auch er spürt offenbar die Kriegsmüdigkeit des Westens. Washington, DC – Seit über 600 Tagen verteidigt sich die Ukraine gegen den Angriff Russlands. Nach 20 Wochen Ukraine-Krieg ist im Westen unter vorgehaltener Hand von Kriegsmüdigkeit die Rede. Die militärische Unterstützung scheint nachzulassen – obwohl Kiews Truppen an der Front auch die Freiheit Europas verteidigen. In einem eindrücklichen Interview mit dem US-Magazin Time schilderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie er die Debatte empfindet. Ein Mitarbeiter des Präsidenten berichtete indes anonym von hinter den Kulissen. Ukraine-Krieg scheint für Europa und USA wie die „zehnte Wiederholung“ einer Show Die ukrainische Gegenoffensive kommt nicht voran, wie geplant: 17 Kilometer in fünf Monaten machte man gut, rund ein Fünftel des Landes befindet sich weiterhin unter russischer Kontrolle. In den USA hängt die Zusage zu weiteren Militärhilfen wegen interner Querelen über den Haushalt in der Luft und der Terror gegen Israel lenkt viel Aufmerksamkeit auf sich. Für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj wird es offenbar immer schwerer, sich die Unterstützung seiner westlichen Partner zu sichern. „Ihr gebt Geld. Wir geben unser Leben“, sagte Selenskyj Ende September bei seinem jüngsten Besuch in Washington, doch die Hilfe aus den USA stockte zuletzt. Der Präsident der Ukraine bemerkte eine „Welle der Kriegsmüdigkeit“, wie er Ende September im Interview mit dem US-Magazin Time sagte, das am Montag (30. Oktober) veröffentlicht wurde. „Das Erschreckendste ist, dass sich ein Teil der Welt an den Krieg in der Ukraine gewöhnt hat“. Die Öffentlichkeit sehe den Krieg wie eine Show und wolle sich „diese Wiederholung nicht zum zehnten Mal ansehen“, kommentierte Selenskyj. „Niemand glaubt so sehr an unseren Sieg wie ich“, so der Präsident weiter. „Niemand.“ Diesen Glauben auch bei seinen Verbündeten zu wecken, erfordere seine ganze Kraft. Ukraine-Krieg: Selenskyj-Mitarbeiter berichtet, Präsident fühle sich vom Westen verraten 20 Monate Krieg gingen auch am ukrainischen Präsidenten nicht spurlos vorüber, der die Verantwortung für die Verteidigung seines Landes auf seinen Schultern trägt. Selenskyj fühle sich von seinen westlichen Verbündeten verraten, sagte einer der Mitarbeiter des ukrainischen Präsidenten unter dem Deckmantel der Anonymität, wie eine Hintergrundrecherche des Time-Magazins vor Ort in Kiew ans Licht brachte. Allerdings lassen sich anonyme Aussagen nicht nachprüfen und sind daher auch mit Vorsicht zu genießen. Die westlichen Partner hätten der Ukraine nicht die Mittel für einen Sieg gegeben, nur die Mittel, den Krieg zu überleben, hieß es von dem anonymen Mitarbeiter weiter. Zwar habe die Leichtigkeit des Präsidenten im Krieg gelitten, doch nicht seine Überzeugungen. Trotz der jüngsten militärischen Rückschläge glaube Selenskyj fest an den Sieg der Ukraine über Russland. Was das angehe, sei Selenskyj „unerschütterlich“, es grenze ans „Messianische“, sagte einer der engsten Mitarbeiter des Präsidenten laut Time und gab dann einen düsteren Ausblick: „Er macht sich etwas vor. Wir haben keine Optionen mehr. Wir werden nicht gewinnen. Aber versuchen Sie mal, ihm das zu sagen.“ Selenskyjs Sturheit im Hinblick auf einen Sieg habe auch der Entwicklung einer neuen Strategie geschadet, so der Mitarbeiter. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig verifizieren. Selenskyj warnt vor drittem Weltkrieg, wenn Russland nicht gestoppt werde Im Interview mit dem Time-Magazin warnte Selenskyj davor, dass sich der Krieg weiter ausbreite, wenn Russland nicht gestoppt werde. „Ein dritter Weltkrieg könnte in der Ukraine beginnen, sich in Israel fortsetzen, von dort nach Asien weiterziehen und dann irgendwo anders explodieren.“ Der Ukraine-Krieg sei auch ein Krieg des Willens, so Selenskyj. Der Wille allein reicht offenbar nicht, wie man den jüngsten Äußerungen des ukrainischen Oberbefehlshabers Walery Saluschny entnehmen konnte. Er gehe davon aus, dass Russland in einem langen Krieg die Oberhand hätte. Die Bevölkerung sei dreimal so groß, die Wirtschaft zehnmal so groß, so Saluschny in einem Interview mit dem Economist. „Seien wir ehrlich, es ist ein Feudalstaat, in dem die billigste Ressource ein Menschenleben ist.“ Befehlsverweigerung an der Front? Selenskyj entlässt Kommandeur der Spezialkräfte Indes berichtete Time auch von Zerrüttungen in den ukrainischen Truppen. Vereinzelte Kommandeure an der Front hätten sich Vorrück-Befehlen widersetzt, hieß es. Selbst, wenn es direkte Ansagen des Präsidenten waren. „Sie wollen nur in den Schützengräben sitzen und die Stellung halten“, sagte einer der Selenskyj-Mitarbeiter anonym. Auch von einem anstehenden Personalwechsel war offenbar schon Ende September die Rede, am Freitag kam die offizielle Meldung: Oberst Serhij Lupantschuk wurde per Präsidialerlass zum neuen Kommandeur der Spezialeinsatzkräfte ernannt – es ist der zweite Personalwechsel an dieser Position seit Beginn des Krieges. Der bisherige Leiter der ukrainischen Spezialeinsatzkräfte, General Viktor Horenko, übernimmt Selenskyj zufolge nun Sonderaufgaben innerhalb des Militärgeheimdienstes HUR. Intern kämpft Selenskyj an einer weiteren Front: Dort führt er einen Kampf gegen die Korruption.