Thursday, November 30, 2023

Finnischer General a. D.: „Russland setzt das Thema Asyl als Waffe ein“

Frankfurter Allgemeine Zeitung Finnischer General a. D.: „Russland setzt das Thema Asyl als Waffe ein“ Artikel von Julian Staib • 14 Std. Zollbeamte am finnischen Grenzübergang Raja-Jooseppi Die finnische Regierung hat alle Grenzübergänge nach Russland geschlossen. War das die richtige Entscheidung? Ja. Die Grenzschließungen waren notwendig. Es gab deutliche Anzeichen dafür, dass Russland sein Vorgehen nicht stoppte und Menschen nach Norden zu dem zuletzt geöffneten Grenzübergang brachte. Insgesamt kamen seit August etwa 1000 Menschen. Nur sehr wenige von ihnen sind wirklich schutzbedürftig. Praktisch alle verfügen über Dokumente für einen legalen Aufenthalt in Russland. Die Zahlen sind nicht hoch. Ist da die Maßnahme nicht zu drastisch? Nein. Der Hauptgrund für die Maßnahme war die Bedrohung der nationalen Sicherheit. Es ist bei derlei Fällen besser, proaktiv als reaktiv zu sein. Es gibt klare Hinweise, dass Russland ein System aufgebaut hat, um mehr Menschen nach Finnland zu drängen. In Russland gibt es rund zehn Millionen Bürger aus Drittstaaten, in Sankt Petersburg allein rund eine halbe Million. Derzeit werden in Russland Gesetze erarbeitet, die es einfacher machen, diese Menschen aufzuspüren, und dann Maßnahmen zu ergreifen, um mit ihnen umzugehen – was auch bedeuten kann, sie über die Grenze zu schicken. An der Grenze kann nun kein Asyl beantragt werden. Widerspricht das nicht dem Völkerrecht? Das Völkerrecht kann so ausgelegt werden, dass es bei einer Bedrohung der nationalen Sicherheit vorübergehend nicht befolgt werden muss. Es ist außerdem weiterhin möglich, an Flughäfen und Häfen Asyl zu beantragen. Aber diese sogenannten Asylsuchenden wurden vom FSB zur Grenze gebracht. Die internationalen Normen zum Flüchtlingsschutz stammen aus einer völlig anderen Zeit, als sich alle mehr oder weniger an die Regeln hielten. Jetzt aber verstoßen bestimmte Länder gegen die Regeln und nutzen diese gegen andere Länder, indem sie das Thema Asyl zur Waffe machen. Wir müssen als westliche Länder weiterhin Menschen schützen, die diesen Schutz wirklich brauchen. Aber so, dass das nicht als Waffe gegen unsere Demokratien eingesetzt werden kann. Pekka Toveri, finnischer Parlamentsabgeordneter (Nationale Sammlungspartei), General a. D. der finnischen Armee und früherer Direktor des Militärgeheimdienstes Warum bringt Russland Migranten nach Finnland? Dafür gibt es mehrere Motive. Allgemein möchte Russland den Zusammenhalt zwischen den westlichen Ländern und innerhalb dieser Länder schwächen, sie destabilisieren. Russland will Finnland vermutlich auch bestrafen für den NATO-Beitritt und die derzeitigen ­Verhandlungen mit den USA über ein Verteidigungsabkommen. Es hofft wahr­scheinlich, die politische Führung Finnlands zwingen zu können, Verhandlungen aufzunehmen. Weiterhin nutzt Russland den Fall für die Propaganda, indem es nun behauptet, Finnland wolle das Land isolieren und das Leben der Russen, die in Finnland leben, erschweren. All das sei der Beweis, dass die ­Finnen die gleichen Nazis seien wie die Ukrainer. Aber die hybriden Aktivitäten Russlands stärken eher den Zusammenhalt. Eine große Mehrheit der Menschen, zwischen 75 und 80 Prozent, unterstützt die Maßnahmen der Regierung. Die Mehrheit denkt, dass die nationale Sicherheit wichtiger ist als internationale Abkommen. Das ist sehr typisch. Wir streiten miteinander über die kleinsten Dinge. Aber wenn es eine Bedrohung von außen gibt, sind wir uns schnell einig. Es gibt die Sorge, dass mit den Asylsuchenden Kämpfer der Wagner-Truppe ins Land kommen und Finnland sabotieren. Das glaube ich nicht. Bei Wagner handelt es sich nicht um eine Spezialeinheit. Um Sabotageoperationen im Ausland durchzuführen, benötigt man Spezialeinsatzkräfte, die jahrelang geschult wurden. Und man will diese heimlich ins Land bringen, nicht als Asylsuchende, die von den Behörden registriert werden. Aber natürlich wissen wir nicht, welche Leute da kommen. Bei einigen könnte es sich um Kriminelle oder radikalisierte Personen handeln. Was passiert, wenn Moskau beginnt, Migranten abseits der Übergänge über die 1330 Kilometer lange Grenze zu bringen? 80 Prozent der Grenze liegen in völliger Wildnis. Da gibt es Wälder, Sümpfe und derzeit viel Schnee, zudem ist es nun sehr kalt. Um dort überleben zu können, muss man speziell ausgebildet und ausgerüstet sein. Das sind diese Menschen nicht. Im Winter ist es also nicht leicht, große Gruppen über die Grenze zu bringen. Im Sommer könnte Russland das versuchen. Aber unsere Grenzschutzbeamten überwachen die Grenze seit Jahrzehnten, es gibt Sensoren, Drohnen, Hunde. Man bekommt mit, wenn viele Menschen kommen. In Finnland leben viele Menschen russischer Abstammung. Befürchten Sie, dass Russland irgendwann sagt, wir müssen unsere Bürger schützen? Russland hat die Doktrin, seine Bürger überall zu schützen. Es besteht immer die Möglichkeit, dass es das also versucht. Aber ich halte das für unwahrscheinlich. Die russische Bevölkerung in Finnland ist sehr klein etwa im Vergleich zu den baltischen Ländern. Doch könnte Russland durchaus versuchen, die Menschen zu agitieren. Es gab zuletzt ein paar kleinere Demonstrationen von hier lebenden Russen. Ausgerechnet vor dem finnischen Parlament. Dabei ist das der völlig falsche Ort. Sie sollten vor der russischen Botschaft demonstrieren! Aber die Demonstrationen sind nun vorbei. Ich bin davon überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der in Finnland lebenden Russen nicht mit Putin und dessen Aggressionen gegen Finnland in Verbindung gebracht werden will.