Monday, November 6, 2023
Winfried Kretschmann befürwortet Asylverfahren in Drittstaaten
DER SPIEGEL
Winfried Kretschmann befürwortet Asylverfahren in Drittstaaten
Artikel von Benjamin Schulz •
12 Std.
Vor dem Treffen mit Kanzler Scholz gehen die unionsgeführten Länder mit einem Vorschlag zu Asylverfahren im Ausland in die Offensive. Unterstützung bekommen sie vom Grünen Winfried Kretschmann.
Die Migrationspolitik dürfte das beherrschende Thema des Treffens der Länderchefs mit Kanzler Olaf Scholz am späteren Nachmittag sein. Bei den Vorab-Besprechungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben sich die unionsgeführten Länder hinter einen Vorschlag gestellt, der schon länger kursiert: Sie wollen, dass Asylverfahren künftig direkt in Ländern außerhalb Europas möglich sein sollen.
So bemerkenswert wie brisant ist, dass die unionsgeführten Länder dafür Unterstützung von einem prominenten Grünen bekommen: Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann. Das erfuhr der SPIEGEL; zuerst hatte die »Süddeutsche Zeitung« darüber berichtet.
In einem Formulierungsvorschlag der Unionsländer heißt es, »dass die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Drittstaaten erfolgen soll«. Deshalb solle die Bundesregierung »mit hohem Nachdruck entsprechende Verhandlungen auf europäischer und internationaler Ebene unverzüglich aufnehmen«.
Hintergrund des Vorschlags ist die Idee, dass sich Migranten und Flüchtlinge erst gar nicht auf – oft lebensgefährliche – Fluchtrouten machen würden, wenn sie davon ausgehen müssen, für ihr Asylverfahren etwa in einem afrikanischen Staat zu landen.
NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) hatte jüngst seine Forderung untermauert, über Asylverfahren außerhalb Europas zu diskutieren. So etwas könnte man unter dem Dach der Vereinten Nationen mit ordentlichen rechtssicheren Verfahren machen und Menschen zum Beispiel in einem afrikanischen Land sicher unterbringen, sagte Wüst dem WDR. Wer das Verfahren erfolgreich durchlaufen habe, dürfe nach Europa und auch nach Deutschland kommen - »die anderen gehen aber nicht den gefährlichen Weg aufs Mittelmeer und sind dann nachher doch hier«.
Es darf stark bezweifelt werden, dass der Vorschlag umgesetzt wird. Dazu bräuchte es in der Bundesregierung auch die Zustimmung der Grünen, die – anders als Kretschmann – derartige Ideen ablehnen und auch in vielen Bundesländern mitregieren.
Eine schnelle Senkung der Flüchtlingszahlen wäre auch nicht zu erwarten, weil es sicherlich Monate oder Jahre dauern würde, entsprechende Vereinbarungen mit Drittstaaten zu treffen. Und es ist fraglich, ob überhaupt andere Staaten dazu bereit wären.
Offen für die Idee zeigte sich auch SPD-Chef Lars Klingbeil. »Wenn am Ende Verfahren auch in anderen Ländern durchgeführt werden können, ist das für mich ein gangbarer Weg«, sagte er nach einer Sitzung des Parteipräsidiums. Er habe jedoch Fragen zu Praxistauglichkeit, Humanität und Rechtsstaatlichkeit solcher Verfahren. Migrationsabkommen mit anderen Staaten seien ein wichtiger Baustein der künftigen Migrationspolitik. Wenn es dabei darum gehe, ob Asylverfahren auch in anderen Ländern durchgeführt werden könnten, »werde ich mich einer solchen Regelung nicht verweigern«. Kürzlich hatten sich auch Fachpolitiker aus der SPD-Fraktion dem Vorschlag angeschlossen.