Thursday, November 9, 2023

Unternehmer warnen: Wie das Bürgergeld die Personalnot verschärft

Frankfurter Allgemeine Zeitung Unternehmer warnen: Wie das Bürgergeld die Personalnot verschärft Artikel von Patricia Andreae • 1 Std. Besorgte Arbeitgeber: Laut einer Studie aus dem Gebäudereinigerhandwerk verschärft das neue Bürgergeld den Personalmangel und führt zu Kündigungen. Nach Berichten über eine Studie aus dem Gebäudereinigerhandwerk, nach der das neue Bürgergeld den Personalmangel verschärft und sogar zu Kündigungen führt, zeigen sich auch Arbeitgeber aus der Rhein-Main-Region besorgt. Bei der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) etwa sieht man im Bürgergeld, das bis zum Jahresbeginn Harz IV hieß, Fehlanreize, die Langzeitarbeitslose davon abhalten könnten, ein Stellenangebot anzunehmen. „Statt Arbeitsanreize zu erhöhen, setzt die Ampel-Koalition mit der zwölfprozentigen Bürgergeld-Erhöhung ab 2024 ein grundfalsches Signal“, sagt VhU-Geschäftsführer Dirk Pollert auf Anfrage der F.A.Z., das sei das falsche Signal. Er fordert: „Die Sozialausgaben müssen gebremst werden, und wir brauchen dringend mehr Anreize für Erwerbsarbeit.“ Seit 2022 ergebe sich sogar eine Erhöhung des Bürgergeldes um rund 25 Prozent, rechnet der Arbeitgebervertreter vor. Gleichzeitig könnten viele Betriebe offene Stellen nicht besetzen. „Das passt nicht zusammen“, so Pollert. In Zeiten, in denen die Wirtschaft schrumpfe und Deutschland bei den Wachstumsaussichten auch im internationalen Vergleich abgehängt werde, könne man sich hohe Sozialtransfers nicht mehr leisten. Kündigungen in Berufen mit geringer Entlohnung Beim Bürgergeld würden neben der Geldzahlung schließlich auch noch Warmmiete für eine angemessene Wohnung, die Krankenkassenbeiträge, besondere Anschaffungen sowie einmalige Leistungen, etwa bei Familien- oder Haushaltsgründungen, bezahlt. So kommt nach VhU-Berechnungen eine vierköpfige Familie in einer Großstadt wie Frankfurt derzeit schnell auf eine monatliche Unterstützung von mehr als 2500 Euro. Zudem genössen Bürgergeld-Bezieher weitreichenden Vermögensschutz und könnten ihr Auto sowie ihre Wohnimmobilie behalten, so Pollert. Das alles beseitige keine Armut, sondern halte Betroffene im Leistungsbezug, „weil sich eine Beschäftigungsaufnahme immer weniger lohnt“. Gleichzeitig bleibe den Beschäftigten der Unternehmen durch „ausufernde Sozialversicherungsbeiträge immer weniger Netto vom Brutto“. Statt mehr Geld vom Staat brauche es darum bessere Arbeitsanreize, insbesondere zur Aufnahme einer Arbeit. Daher fordert der Arbeitgeberverband: „Jobcenter und Arbeitsagenturen müssen trotz aller vom Gesetzgeber geschaffenen Hürden noch mehr Arbeitslose aktivieren und in Beschäftigung vermitteln.“ Der Bundesinnungsverband der Gebäudereiniger hatte in seiner Studie festgestellt, dass es infolge des Bürgergeldes in Berufen mit geringer Entlohnung reihenweise zu Kündigungen komme. Dafür gibt es in Hessen nach Angaben der Unternehmen jedoch keine Belege. Auch bei der Handwerkskammer Frankfurt, in deren Vorstand auch die Gebäudereiniger vertreten sind, hat man keine Anhaltspunkte dafür. Es wird lediglich auf die Studie des Bundesverbands verwiesen. Danach hatten 28,4 Prozent der Unternehmen der Branche angegeben, dass schon mehrere Beschäftigte mit konkretem Verweis auf das Bürgergeld gekündigt beziehungsweise eine Kündigung in Aussicht gestellt hätten. Weitere 40 Prozent der 2500 befragten Gebäudereiniger-Unternehmen hätten diesen Trend bestätigt. Nur 31,6 Prozent der Unternehmen könnten einen Einfluss des Bürgergeldes auf die Personalsituation bisher nicht bestätigen. Eine solche Bestätigung ist auch nicht vom in Frankfurt ansässigen Unternehmen Wisag zu erhalten, das mit Hunderten Beschäftigten unter anderem in der Gebäudereinigung und in Großküchen arbeitet. Man wolle sich dazu nicht äußern, hieß es auf Anfrage. „Das Bürgergeld darf nicht zum Treiber der Langzeitarbeitslosigkeit werden“ Kurz nach der Publikation der Studie hatten auch Gastronomie-Fachmedien Vermutungen geäußert, das höhere Bürgergeld sorge für eine Verschärfung der Personalnot in der Branche. Konkrete Fälle kann der Hotel- und Gastronomieverband Dehoga Hessen dazu zwar nicht nennen, Hauptgeschäftsführer Oliver Kasties hebt aber hervor, es sei klar zu erkennen, „dass das neue sogenannte Bürgergeld mit seinen schwächeren Arbeitsanreizen und höheren Leistungen deutliche Spuren am Arbeitsmarkt hinterlässt“. Pünktlich mit der Einführung im Januar sei der Trend zu weniger Langzeitarbeitslosen gebrochen worden. „Wir appellieren daher an die Jobcenter, noch mehr der arbeitslosen Bürgergeld-Bezieher in Beschäftigung zu vermitteln und hierfür alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen“, fordert auch Kasties. Die Jobcenter müssten konsequent die Mitwirkung der Leistungsbezieher einfordern und regelmäßige Gespräche mit ihnen führen. Chancen auf dem Arbeitsmarkt gebe es nämlich weiterhin auch für Langzeitarbeitslose, etwa mit flexiblen Beschäftigungsformen wie Zeitarbeit oder befristeten Arbeitsverträgen. „Jede Form der Arbeitsaufnahme ist besser als eine Gewöhnung an den Leistungsbezug“, so der Dehoga-Vertreter, der hervorhebt: „Das Bürgergeld darf nicht zum Treiber der Langzeitarbeitslosigkeit werden.“ Dem hält Ulli Dvořák, Geschäftsführer des Jobcenters Frankfurt, entgegen: „Wir haben statistisch quantifizierbar keine Anhaltspunkte, die bestätigen könnten, dass das Bürgergeld Fehlanreize bei der Beschäftigung setzt.“ Im SGB II (Bürgergeld) gebe es aktuell keine auffällige Entwicklung, was die direkten Zugänge in Arbeitslosigkeit aus der Gastronomie sowie sonstigen Dienstleistungen – dazu gehörten unter anderem die Gebäudereinigung, Call-Center, oder Hausmeisterdienste – anbelange. Eine steigende Tendenz beim Bürgergeld sei zumindest für den Zeitraum Juni bis September nicht zu erkennen. „Sowohl die Zahl der Bedarfsgemeinschaften also auch die der Kundinnen und Kunden hat sich in diesem Zeitraum nicht erhöht“, stellt Dvořák fest. Zudem gibt er zu bedenken, dass ein direkter Wechsel aus Erwerbstätigkeit ins Bürgergeld nicht die Regel sei, weil die Menschen in der Regel vorher noch Ansprüche an die Arbeitslosenversicherung (SGB III) hätten. Auswirkungen des Ukraine-Kriegs Dass Beschäftigte kündigen, weil ihnen das Bürgergeld attraktiver erscheint, hält man auch bei der Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit für unwahrscheinlich. Denn: „Bei einer selbst gewählten Kündigung gilt eine dreimonatige Sperrzeit für die Arbeitslosenversicherung“, heißt es auf Anfrage der F.A.Z.. In diesem Kontext habe man in den Branchen auch keine Erkenntnisse über einen Anstieg der Fallzahlen. Aus Arbeitgeberkreisen im Handwerk ist allerdings zu hören, dass manche Mitarbeiter angesichts einer drohenden Sperrung zwar nicht selbst kündigten aber durch ihr Verhalten provozierten, dass man ihnen kündige. Doch auch dafür gibt es nach den Daten der Frankfurter Arbeitsagentur keine Belege. So zählten zum Stichtag 12. Oktober 69,8 Prozent (128.049) aller Arbeitslosen in Hessen zum Rechtskreis SGB II, bezogen also Bürgergeld. Das waren -0,1 Prozent weniger als im Vormonat allerdings 7,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Diesen Anstieg führt die Arbeitsagentur aber vor allem auf die Zahl der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zurück.