Saturday, November 4, 2023

Meinungsforscher: „Teile von ARD und ZDF arbeiten offen gegen die Mehrheitsmeinung und versuchen sie zu ändern“

Merkur Meinungsforscher: „Teile von ARD und ZDF arbeiten offen gegen die Mehrheitsmeinung und versuchen sie zu ändern“ Artikel von Anne-Christine Merholz • 9 Std. MÄRKTE HEUTE Meinungsforscher: „Teile von ARD und ZDF arbeiten offen gegen die Mehrheitsmeinung und versuchen sie zu ändern“ Viele Menschen werfen der ARD und ZDF vor, nicht politisch neutral zu sein. Meinungsforscher Prof. Jürgen Falter erklärt, warum das so ist und er die Öffentlich-Rechtlichen trotzdem für wichtig hält. Er ist einer der bekanntesten Politikwissenschaftler Deutschlands und vielen Menschen als TV-Experte bekannt: Prof. Dr. Jürgen W. Falter (Universität Mainz). Sein Buch „Manchmal etwas überheblich, aber noch nicht ganz unmöglich“ (Nomos, 522 Seiten) erscheint am 10. November. Als fester Bestandteil der deutschen Medienlandschaft setzt er sich auch mit Journalisten und Journalistinnen auseinander. Im Interview mit Ippen.Media erklärt der Meinungsforscher, wie es um den öffentlichen Diskurs bestellt ist. Herr Prof. Falter, Sie sind seit Jahrzehnten als Experte in den Medien zu sehen und haben an vielen Talkshows teilgenommen. Wie hat sich die Medienlandschaft bis heute verändert? Die größte Veränderung ist durch die sozialen Medien entstanden. Wir haben nicht mehr die frühere bundesweite Kommunikationsgemeinschaft, in der ganz Deutschland Zugang zu lediglich zwei oder drei verschiedenen Fernsehprogrammen hatte. Heute werden unterschiedliche Meinungen durch aberhunderte unterschiedlicher Kanäle für zahlreiche separate Personenkreise verbreitet. Gleichzeitig erleben wir den bedauerlichen Rückgang der Presse. Zeitungen verlieren teilweise dramatisch an Auflage. Welche Gefahren liegen darin? Es zeigt sich nicht, dass die Leute dadurch politisch interessierter oder gar gebildeter würden. Vielmehr besteht die Gefahr der Abkapselung in jeweils eigenen Echokammern. Heute kann jeder sich seine eigene Meinungsbubble heraussuchen und sich auf diese Weise permanent bestätigt fühlen. Wichtige Informationen zu verschweigen oder Probleme wie die unkontrollierte Migration kleinzureden, ist Wasser auf die Mühlen von Pegida und AfD. Prof. Jürgen W. Falter (Universität Mainz) Ist der Diskurs härter geworden? Man fühlt sich gerade in den sozialen Medien anonym und dadurch wird der Ton rauer. Aber auch im politischen und öffentlichen Diskurs hat sich einiges geändert. Der Versuch der Überzeugung durch Argumente hat nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher. Es wird jetzt viel stärker das Bekennertum bevorzugt. Man diskutiert quasi mit dem Megafon und kann so den anderen schlecht hören; vielfach will man ihn einfach auch gar nicht mehr hören. Dieser Stil der Megafon-Diskussion findet sich auch in politischen Fernseh-Talkshows wieder. Man hat den Eindruck, dass in Talkshows oft solche Gäste eingeladen werden statt neutraler Experten… Das ist auch meine Wahrnehmung. Leute, die starke Meinungen absondern, sind nun einmal für den Zuschauer interessanter. Sie erhöhen potenziell die Einschaltquote. Auf jeden Fall vermindern sie sie nicht, wie das vielleicht mancher eher nüchtern argumentierender Experte tun würde. Viele Menschen werfen der ARD und ZDF vor, nicht politisch neutral zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung als Politologe? In den vergangenen zwanzig Jahren ist nach meiner Beobachtung die Tendenz zum Haltungs- oder Überzeugungs-Journalismus stärker geworden, gerade bei jüngeren Journalisten. Man möchte Haltung zeigen und Zuschauer und Hörer zur eigenen Überzeugung bekehren. Viele betrachten heute ihr Medium als Instrument, mit dem man den Leuten die richtige Richtung – und das ist fast nie die rechte – zeigt. Die Journalisten von ARD und ZDF sind mehrheitlich Grünen-Anhänger oder definieren sich als links, wie wir aus Befragungen wissen. Man merkt die Veränderung durchaus auch in der Programmgestaltung. Wie zeigt sich das konkret? Teile von ARD und ZDF arbeiten offen gegen die Mehrheitsmeinung und versuchen diese zu ändern. Das hat etwas Bevormundendes. So fällt die Häufung von Sendungen über vegane Ernährung auf. Man merkt das auch bei Kleinigkeiten wie dem Gender-Stottern, wie Sahra Wagenknecht es einmal nannte. Dass das ZDF zwei Tage später als RTL über den Hintergrund der Täter auf der Kölner Domplatte informierte, hat das Vertrauen in die Öffentlich-Rechtlichen erschüttert. Wichtige Informationen zu verschweigen oder Probleme wie die unkontrollierte Migration kleinzureden ist Wasser auf die Mühlen von Pegida und AfD. Es gibt politische Stimmen, die die öffentlich-rechtlichen Medien abschaffen wollen… Ich habe zu lange in den USA gelebt, um auf eine solche Idee zu kommen. Denn wenn man wirklich etwas Abschreckendes sehen möchte, dann ist es das amerikanische Fernsehen. Das zerfällt mittlerweile in extrem polarisierte, einseitige Meinungslager. Derlei sieht man bei den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern nicht. Sie sind punktuell oder in Segmenten durchaus einseitig. Es gibt aber auch immer wieder eine Gegenposition, eine Gegenstimme. Seltener vielleicht, als man sie gerne hätte. Es ist nicht immer ausgewogen, was man präsentiert bekommt, aber im Vergleich zu den USA sind das immer noch geradezu himmlische Umstände. Denn bei uns wird nicht wie bei Fox-News oder CNN, wenn man von Jan Böhmermann absieht, politisch agiert. Die Öffentlich-Rechtlichen abzuschaffen, würde meines Erachtens zu einer totalen Zerlegung der Meinungssphäre in der Öffentlichkeit führen. Würden Sie die Show von Jan Böhmermann politische Agitation nennen? Sagen wir, es handelt sich um in Satire verpackte, extrem einseitige politische Ansichten. Wenn er anderen vorwirft, „Nazis mit Substanz zu sein“, das hat er zwar nicht in der Sendung gemacht, sondern in einem Tweet gegenüber der CDU, oder den Kabarettisten Dieter Nuhr als latenten Rassisten darstellt, ist das inakzeptabel. Falls Nuhr, der eindeutig ein liberal-konservativer ist, posten würde, die SPD sei eine linksfaschistische Partei oder die Grünen seien die Untergangster des Abendlandes, wäre das vermutlich seine letzte Sendung in der ARD gewesen.