Tuesday, November 7, 2023

Gil Ofarim vor dem Landgericht Leipzig: Davidstern soll gar nicht zu sehen gewesen sein

DER SPIEGEL Gil Ofarim vor dem Landgericht Leipzig: Davidstern soll gar nicht zu sehen gewesen sein Artikel von Annette Langer • 1 Std. Der Musiker Gil Ofarim steht in Leipzig vor Gericht. Die Anklage befindet, der im Zentrum der Antisemitismusvorwürfe stehende Davidstern-Anhänger sei gar nicht zu sehen gewesen, die Verteidigung sieht »Aussage gegen Aussage«. Seit dem Morgen muss sich der Musiker Gil Ofarim vor dem Leipziger Landgericht unter anderem wegen falscher Verdächtigungen und Verleumdung verantworten. Der Künstler erschien kurz nach neun mit einer Kette mit Davidstern um den Hals vor Gericht – eben jenem Schmuckstück, das vor gut zwei Jahren im Zentrum eines Eklats stand, der hitzige Debatten nach sich zog. Am 4. Oktober 2021 postete Gil Ofarim ein Video, in dem er schildert, dass ein Angestellter des Leipziger Hotels »The Westin« ihn aufgefordert habe, seine Halskette mit Davidstern abzunehmen, bevor er einchecke. Das Video wurde mehr als vier Millionen Mal aufgerufen und ist bis heute auf seinem Instagram-Account zu sehen. DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren. In der Aufnahme erhob der Musiker schwere Antisemitismusvorwürfe, erstattete später Anzeige. Der beschuldigte Hotelmitarbeiter wehrte sich und zeigte seinerseits den Musiker wegen Verleumdung an. Laut Anklage war Davidstern beim Check-In-Versuch gar nicht sichtbar Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben, dass sich der angebliche antisemitische Vorfall in dem Hotel nicht so zugetragen habe, wie der Musiker es in dem Video geschildert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Hotelmitarbeiter wurde eingestellt. Bei der heutigen Verlesung der Anklageschrift sagte der Staatsanwalt, dass Ofarim die Kette erst vor sein T-Shirt gezogen habe, als er das Hotel »The Westin« in Leipzig verließ – also kurz bevor er das virale Video aufnahm, in dem er behauptete, der Hotelmitarbeiter habe gesagt, er solle »seinen Stern einpacken«. Mithin habe der Angeklagte den Hotelmitarbeiter zu Unrecht als Antisemiten dargestellt, so Staatsanwalt Andreas Ricken. Ein Missverständnis oder schlechter Humor? Ofarims Rechtsbeistand erklärte vor Gericht, die Videoaufnahmen könnten nicht beweisen, ob sein Mandant den Stern an der Rezeption sichtbar getragen habe oder nicht. Es handele sich um einen »klassischen Fall von Aussage gegen Aussage«, sagte Anwalt Alexander Stevens nach Verlesung der Anklage. Sei während des Vorfalls vor gut zwei Jahren ein diskriminierendes Wort gefallen, so sei sein Mandant freizusprechen, so die Verteidigung. Möglich sei, dass es sich bei dem Fall um ein Missverständnis oder schlechten Humor handele – oder eben doch um eine »antisemitische Anspielung«, sagte der Anwalt. Für die Gesellschaft sei es wichtig, dass das Gericht die Wahrheit ermittle. Letztlich gehe es »nicht um den Stern, sondern um die Diskriminierungserfahrung«, so der Anwalt weiter. Mobbing und Diskriminierung seien – besonders für Opfer – schwer nachzuweisen. Zudem sei die öffentliche Meinung in dem Fall von mehreren Lügen bestimmt. Stevens bezweifelte, dass das Hotel nach dem Vorfall ergebnisoffen und fair ermittelt habe. Auch halte er es für »völlig unplausibel«, dass sich der Vorfall so abgespielt habe, wie es der Hotelmitarbeiter geschildert habe. Ofarims Anwalt hatte im Vorfeld der Verhandlung Sicherheitsbedenken angesichts der aufgeheizten Lage im Nahen Osten geäußert. Es sei unklar, ob die Beteiligten das Gericht sicher betreten und verlassen könnten, sagte Rechtsanwalt Alexander Stevens. Derweil prüft das Landgericht, ob die Sicherheitsmaßnahmen vor Ort erhöht werden müssen. Man sei im Kontakt mit der Polizei. Offenbar wurde die Zahl der Sitzplätze im Schwurgerichtssaal von 100 auf 85 verringert, um den Abstand zwischen Publikum und Anklagebank zu vergrößern. Zudem wird ohnehin jeder Besucher des Landgerichts am Einlass kontrolliert. Das Gericht hat bis zum 7. Dezember zehn Verhandlungstage angesetzt. In dem Verfahren werden mehr als 20 Zeuginnen und Zeugen aussagen. Bei einer Verurteilung wegen falscher Verdächtigung oder öffentlich begangener Verleumdung droht laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe. Im äußersten Fall kann es auch zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren kommen. Wird ein Angeklagter wegen mehrerer Straftatbestände verurteilt, wird das Strafmaß nicht addiert, sondern eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.