Wednesday, November 8, 2023
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Langs Grüne zerpflücken das Kanzler-Asylpaket und enthüllen ihr wahres Gesicht
FOCUS online
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Langs Grüne zerpflücken das Kanzler-Asylpaket und enthüllen ihr wahres Gesicht
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
1 Std.
Die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang hat sich gegen eine Kürzung von Sozialleistungen für Asylbewerber ausgesprochen.
Auf den „historischen Moment“ einer großen Asyl-Einigung folgt nur einen Tag später die Ernüchterung. Mit den Grünen um Ricarda Lang ist eine „Asylwende“ nicht zu machen. Das hat Folgen für die Autorität des Bundeskanzlers.
Das war der Plan: Die Parteien der Mitte lösen die Asylkrise. Deshalb beschließen sie gemeinsam, der Bundeskanzler mit den 16 Ministerpräsidenten, was nötig ist, um reguläre von irregulärer Migration zu trennen: die Rekordzahlen sollen herunter. Olaf Scholz (SPD) lobte danach: Ein „sehr historischer Moment“. Und tatsächlich: die Einigung hielt. Allerdings nur einen einzigen Tag.
Ricarda Lang zerrupfte das Einigungspaket
Ricarda Lang machte den Aufschlag. Die Chefin der Grünen ging an diesem Dienstagmorgen ins Fernsehen und rupfte das Einigungspaket der riesengroßen Koalition gleich wieder auseinander. Einige Stunden später machten die Grünen im Parlament damit gleich weiter – und machten aus dem „historischen Moment“ des Bundeskanzlers eine bloße „Arbeitsgrundlage“, die man „aufmerksam prüfen“ werde, was übersetzt heißt: Da machen wir nicht mit. Es ist eine handfeste Drohung: die Grünen haben vor, in den parlamentarischen Beratungen Stück für Stück die ohnehin nur zaghafte Verschärfung des Asylrechts wieder zu entschärfen.
Das Hochjazzen der Klein-Klein-Einigung ins Historische wird für den Kanzler nun zum Risiko: Nicht nur, dass die Union Olaf Scholz detailliert vorrechnet, weshalb sein eigenes Paket bei weitem nicht ausreicht, sondern auch, das selbst am Minimal-Kompromiss der grüne Koalitionspartner auch noch herumschraubt, addiert sich zu einer echten Drohung. Zu einem Angriff auf die Kanzlerautorität.
Schon heute machte die Union Olaf Scholz zum Spottobjekt: „Sie haben kleine Brötchen gebacken und feiern sich als Weltmeister im Herstellen fünfstöckiger Torten“, urteilte in einer Aktuellen Stunde CDU-Mann Alexander Hoffmann. In Wahrheit sei die Ampel „stehend k.o.“
Drittstaatenlösung steht schon im Koalitionsvertrag
CDU-Innenpolitiker Alexander Throm hielt dem Kanzler wegen dessen „Überverkaufe“ eines mageren Ergebnisses eine Täuschung der Bevölkerung vor: „Der Bundeskanzler spielt mit der Demokratie.“ Dessen Deutschlandplan sei ein bloßer „PR-Gag“. Tatsächlich könne Scholz sich gegen die Grünen und die Jusos aus der eigenen Partei, die einen großen Teil der Bundestagsabgeordneten stellen, nicht mehr durchsetzen.
Zurück zu den Grünen. Parteichefin Lang nahm gleich zwei Punkte aus dem Asyl-Paket ins Visier: die Ankündigung, eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten zu prüfen und die Kürzung der Sozialleistungen für Asylbewerber. Das ist umso bemerkenswerter, als die Prüfung einer Drittstaatenlösung schon im Koalitionsvertrag steht, den die Grünen vor zwei Jahren selbst unterschrieben haben.
Heute kennt Lang schon das Ergebnis einer Prüfung, die noch gar nicht stattgefunden hat: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das rechtlich mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist.“ Das sogenannte „Ruanda-Modell“ – Asylbewerber durchlaufen ihr Verfahren erst gar nicht in Deutschland, sondern schon in Afrika, eben in Ruanda. Damit bliebe Deutschland ein langes und teures Verfahren erspart, und: Asylbewerber, die keine „Flüchtlinge“ sind, sollen erst gar nicht den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer nehmen. Auf diesen Zusammenhang wiesen im Bundestag die Redner der Liberalen hin. Aber: Nicht mit Ricarda Lang.
„Jeder Vorschlag, der geprüft wird und der am Ende umgesetzt wird, muss dem europäischen Recht entsprechen – und das tut das Ruanda-Modell klar nicht.“ Als Lang bei RTL zu diesem Urteil kam, hatte die rechte italienische Regierungschefin gerade so etwas unterzeichnet wie das „Ruanda-Modell“. Nur eben mit Albanien. Und damit gezeigt: Es geht. Man muss es nur wollen.
Grünen wollen schon die Prüfung nicht
Melonis Modell sieht, vereinfacht beschrieben, so aus: In Albanien werden zwei Zeltstädte aufgebaut. Die werden behandelt wie italienische Konsulate, sind also exterritoriale Einheiten auf albanischem Gebiet. Damit finden die Verfahren zwar territorial außerhalb der europäischen Union statt, formal aber doch auf italienischem Gebiet, nur eben: in Albanien. Meloni empfahl dieses Konzept sogleich für ganz Europa.
Wobei: Es hat Schönheitsfehler. „Nur“ Bootsflüchtlinge werden vom kommenden Frühjahr an nach Albanien gebracht, nicht aber Migranten, die schon in Italien sind. Das ist das eine. Das andere: Selbst, wenn sie abgelehnte wurden, muss sich auch erst ein Land finden, das sie auf- oder, je nachdem, wieder zurücknimmt. Was nach dem Eingeständnis von Albaniens Regierungschef Rama „schwierig“ ist. Nur eben: es ist wenigstens ein erster Schritt. Und: Italien hat offenbar einen rechtlich machbaren Weg dafür gefunden.
Das macht den Unterschied zu den Grünen: Sie wollen schon die Prüfung nicht, ob so etwas geht. Sie wollen einfach Asylbewerber nicht aus Deutschland wegschicken. Es hatte deshalb schon etwas Flehentliches, als im Bundestag die FDP-Frau Anna-Veruschka Jurisch um eine unvoreingenommene Prüfung bat – „ohne Schaum vor dem Mund“. Jurisch verwies auf die Alternative – nämlich: nichts zu tun.
Und die vielen Toten im Mittelmeer einfach weiter in Kauf zu nehmen. Diesen Status-Quo zu verteidigen, nannte sie „völlig sinnbefreit“. Im Plenum applaudierte ihr nur die eigene FDP, Grüne und SPD rührten keine Hand. Am späteren Abend urteilte die bei den Grünen für Migrationsfragen zuständige Abgeordnete Filiz Polat barsch: Eine Prüfung von Drittstaatenverfahren „wäre aus unserer Sicht nicht notwendig, sie sind nicht umsetzbar“, sagte sie dem RND. Es klang nach Basta.
Bemerkenswerter historischer Vergleich
Dass nicht nur der sozialdemokratische Bundeskanzler, sondern auch der einzige grüne Ministerpräsident, Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, für ebenjene Prüfung ist, lässt dessen eigene Leute in der Berliner Bundestagsfraktion völlig kalt. Dabei: Ließe sich ein Verfahren finden wäre dies, Stand der Dinge, die einzige Möglichkeit, die Asylzahlen nennenswert zu drücken. Den Fokus wie der Kanzler auf Abschiebung zu setzen, führt nur zu Mini-Ergebnissen. Nach dem Urteil der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die in derselben Partei ist wie Scholz, lediglich zu einer Steigerung der Abschiebungen um fünf Prozent, in realen Zahlen: plus 600 pro Jahr. Im Moment kommen 1000 Asylbewerber nach Deutschland – pro Tag.
Grünen-Chefin Lang stört aber noch mehr: die vom Kanzler mit allen Ministerpräsidenten vereinbarte Senkung der Geldgeschenke an Migranten. Das werde man sich „rechtlich“ noch einmal anschauen. Dieses rechtliche „Anschauen“ könnte einen massiven Koalitionskonflikt zur Folge haben: Die längere Auszahlung von Geld nach dem – niedrigeren – Asylbewerberleistungsgesetz anstellte von – höherem – Bürgergeld war einer der Punkte, den die FDP durchsetzen konnte.
Schließlich: Für die Grünen zog die Abgeordnete Lamya Kaddor einen bemerkenswerten historischen Vergleich. Die Deutschen hätten doch selbst erfahren, wie wichtig eine humanitäre Flüchtlingspolitik sei, sagte sie ihm Hinblick auf die „Großmütter“ – eine Anspielung auf die Heimatvertriebenen.
In der Tat nahm Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge der Niederlage Hitler-Deutschlands und des Verlusts von einem Drittel des Staatsgebiets 12 bis 14 Millionen Menschen auf. Nur: Es handelte sich um Deutsche oder Deutschsprachige. Und die waren nach heutigem Asyl-Standard allesamt politisch verfolgt. Was man von den Migranten nicht sagen kann: Als „Flüchtling“ anerkannt werden in Deutschland nur rund 17 Prozent der Asylbewerber – nicht einmal jeder Fünfte. Und Deutsche vergleichbar mit den Heimatvertriebenen waren nicht darunter.
Fazit: Mit den Grünen ist eine „Asylwende“ nicht zu machen.