Monday, November 6, 2023

Der Kanzler muss warten – Ministerpräsidenten ringen stundenlang um eine Asylwende

WELT Der Kanzler muss warten – Ministerpräsidenten ringen stundenlang um eine Asylwende Artikel von Ulrich Exner, Nikolaus Doll • 7 Std. Eigentlich wollten sich die Regierungschefs der 16 Bundesländer am Montagnachmittag mit dem Bundeskanzler treffen, um etwa über die künftige Finanzierung der Flüchtlingskosten zu verhandeln. Stattdessen jedoch stritten die Ministerpräsidenten um eine grundsätzliche Wende in der deutschen Asylpolitik. Ein Vorstoß der unionsgeführten Bundesländer in Verbund mit dem baden-württembergischem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hat am Montag zu einer massiven Kontroverse um die künftige deutsche Flüchtlingspolitik geführt. Statt sich am Nachmittag mit Olaf Scholz (SPD) über die ursprüngliche Tagesordnung des Treffens der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler zu beugen, verhandelten die Länder stundenlang untereinander über eine Kehrtwende in der deutschen Asylpolitik. Zentrale Forderung eines von den Unionsländern in die Ministerpräsidentenkonferenz eingebrachten Papiers war der in den vergangenen Tagen vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst ins Spiel gebrachte Vorschlag der Verlagerung deutscher Asylverfahren in ein oder mehrere Drittländer. Ein Vorgehen, von dem sich die Unionsseite verspricht, dass zum Beispiel afrikanische Flüchtlinge – in dem Wissen, dass sie für ein Asylverfahren ohnehin wieder auf ihren Kontinent zurückgebracht werden – sich erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen. Zwar hatte sich SPD-Parteichef Lars Klingbeil am Montagvormittag zumindest offen für den Vorstoß der Union gezeigt. Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten stellten sich dennoch entschieden auf die Hinterbeine. Ihr Sprecher, der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil, sprach am frühen Abend von „nicht besonders erquicklichen“ Verhandlungen mit den Unionsländern. An deren Ende schaffte es der Vorstoß schließlich nicht in den gemeinsamen Forderungskatalog, den die Länder dem Kanzler am Abend vorlegten. Die Debatte über eine Verlagerung von Asylverfahren in Drittländer dürfte in den kommenden Wochen dennoch weitergehen. Künftige Finanzierung der Flüchtlingspolitik zentrales Thema am Abend Weil hatte die ablehnende Haltung der SPD-Länder zuvor bereits in einem WELT-Interview so zusammengefasst: „Nicht hilfreich sind dagegen Konzepte, wie sie derzeit unter dem Stichwort ,Ruanda‘ in manchen Köpfen herumgeistern. Menschen gegen ihren Willen einfach in irgendeinen anderen Teil der Welt zu bringen, mit dem sie nie etwas zu tun hatten, und sie dort einem völlig ungewissen Schicksal zu lassen, halte ich für hochproblematisch.“ Weil bezog sich damit auf den Plan der britischen Regierung, die illegal eingereiste Flüchtlinge künftig nach Ruanda ausfliegen will, um dort über den jeweiligen Asylantrag zu entscheiden. Ein ähnliches Verfahren strebt die Union für Deutschland. Allerdings ist unklar, ob die Abwicklung des Asylverfahrens in einem beliebigen Drittstaat mit deutschem und EU-Recht vereinbar ist. Auch in Großbritannien beschäftigen sich derzeit ebenfalls die Gerichte mit den Plänen der Londoner Regierung. Einen Abschiebeflug in den ostafrikanischen Staat hat es bisher noch nicht gegeben. Auch mit weiteren Forderungen konnten sich die Unionsländer am Montag nicht durchsetzen. Eine Novelle des deutschen Asylrechts insgesamt wie auch einer gesetzlichen Neuregelung zum Thema „sichere Herkunftsländer“ sowie der Stopp von freiwilligen Bundesaufnahmeprogrammen fand nach Angaben des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) ebenfalls keine Aufnahme in den Forderungskatalog der Länder für das Treffen mit dem Bundeskanzler. Dabei soll es am Abend vor allem um die künftige Finanzierung der deutschen Flüchtlingspolitik gehen. Schließlich geht es immer wieder zumindest auch ums Geld, wenn die Länderchefs mit dem Kanzler und seinen Kabinettsmitgliedern zusammenkommen – darum wer die steigenden Kosten für die steigende Zahl an Migranten trägt, die nach Deutschland kommen. 243.000 Asylbewerber waren es bis Ende September, bis Jahresende werden 300.000 Menschen erwartet, die, so einer der Ministerpräsidenten vor Beginn der Gespräche „auf gesättigte Strukturen treffen“, auf Länder und Kommunen, die „am Limit sind“. Bei den Unterbringungsmöglichkeiten, Sprachkursen, Kita- und Schulplätzen. In nahezu allen Bereichen. Und weil der Bund die Regeln für die Migrationspolitik macht, soll er auch die Mehrkosten der steigenden Zuwandererzahlen schultern.