Wednesday, November 8, 2023
Bar soll es für Asylbewerber nur noch ein Taschengeld geben
WELT
Bar soll es für Asylbewerber nur noch ein Taschengeld geben
Artikel von Karsten Seibel •
17 Std.
Beim Flüchtlingsgipfel einigten sich die Regierenden darauf, dass Asylbewerber künftig weniger Leistungen in bar erhalten sollen. Das soll den Anreiz reduzieren, überhaupt nach Deutschland zu kommen. Verbände begrüßen das Vorhaben – und denken in Teilen schon an nächste Schritte.
Vor mehr als einem Monat bekamen einige Beamte im Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP) einen Spezialauftrag: Sie sollten prüfen, wie sich verhindern lässt, dass Geflüchtete das Geld, das sie hierzulande vom Staat bekommen, in ihre Heimatländer überweisen. Schlagwort: „Financial Blocking“. Bisher war dieser Begriff nur in der Glücksspielszene bekannt.
Ein abschließendes Ergebnis der Prüfung gibt es bis heute nicht. Es wird jetzt auch nicht mehr gebraucht. Die Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einigten sich beim Flüchtlingsgipfel in der Nacht zum Dienstag auf die Entwicklung einer Bezahlkarte. Durch sie sollen Bargeldauszahlungen an Asylbewerber weitgehend ersetzt werden und so der Anreiz sinken, überhaupt nach Deutschland zu kommen.
Dass eine „intensive Prüfung des Financial Blocking nicht mehr notwendig“ sei, wie es nach dem Flüchtlingsgipfel aus dem Finanzministerium hieß, dürfte allen recht sein, nicht zuletzt Finanzminister Lindner.
Denn schon vor Wochen war aus dem Bankenlager zu hören, dass eine gezielte Blockade einzelner Überweisungen in bestimmte Länder nur mit einem gewaltigen technischen Aufwand umsetzbar wäre. Zudem nutze, wer Bargeld habe, für Rücküberweisungen selten die Infrastruktur klassischer Banken, sondern jene von Finanzunternehmen wie Western Union und Moneygram.
Mit der Bezahlkarte wollen die Regierenden nun verhindern, dass Asylbewerber überhaupt in den Besitz von Bargeld kommen – zumindest von größeren Beträgen. „Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind sich einig in der Zielsetzung, Barauszahlungen an Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz einzuschränken und damit auch Verwaltungsaufwand bei den Kommunen zu minimieren“, heißt es in dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz.
Beschluss soll bis 31. Januar stehen
Wie die Karte genau funktioniert, ist allerdings noch offen. Zunächst soll sich darum eine Arbeitsgruppe kümmern. Ihr Entwurf soll bis 31. Januar 2024 stehen. Nur die Grundidee ist klar: Geflüchtete, deren Asylantrag noch geprüft wird oder die lediglich einen Duldungsstatus haben, können über das Geld von den Sozialbehörden künftig in erster Linie mittels Karte verfügen.
Da es notwendige Ausgaben geben könne, die sich nicht per Karte bezahlen lassen, soll es die Option geben, „über einen klar begrenzten Teil des Leistungssatzes auch bar (Taschengeld) verfügen zu können“, so die Formulierung, auf die sich die Politiker einigten. Auf den Punkt sollen vor allem die SPD-geführten Länder gedrängt haben.
Unklar ist bislang, wer der Arbeitsgruppe angehört und welches Bundesland die Federführung bei der Entwicklung der Karte hat. Im Bundesfinanzministerium hat man immerhin eine klare Meinung dazu, wer für die Kosten aufkommt. „Wer bestellt, bezahlt“, hieß es von dort. Bestellt hätten die Karte die Länder. Ein zweistelliger Millionenbetrag könne die Entwicklung kosten.
Die Kommunen, also jene, die das Geld in der Praxis an Asylbewerber auszahlen, drängen darauf, dass sie der Arbeitsgruppe angehören. „Wichtig ist eine einfache Handhabung“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages Reinhard Sager. Auch eine bundesweit einheitliche Lösung sei enorm wichtig, ein Flickenteppich müssen verhindert werden.
Das sieht Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, genauso. Geklärt werden muss aus seiner Sicht zudem, welche Beträge auf der Karte verfügbar sind. „Sie könnte die monatlichen Sätze für die Bedürfnisse des täglichen Lebens und für den eigenen Haushalt umfassen“, sagte Dedy. Es gebe aber auch immer wieder einzelne Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie Unfall- oder Krankheitskosten, die nicht über solche Karten abgewickelt werden könnten. „Dafür müssten dann weiter Geldleistungen für den Einzelfall organisiert werden.“
Ähnliche Vorbehalte äußerte man beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Notwendig ist eine einfache, bundeseinheitliche und rechtssichere Lösung bei der geplanten Bezahlkarte“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Es müsse sichergestellt sein, dass alle Güter des täglichen, persönlichen Bedarfs jederzeit und überall erworben werden könnten, es keine Beschränkung bei der Auswahl der Händler gebe.
Es müssten zudem bereits jetzt die Voraussetzungen für eine Erweiterung der Funktionen der Karte geschaffen werden. „Sinnvoll wäre mittel- und langfristig ein digitaler Flüchtlingsausweis, der neben der Identität zusätzliche Merkmale, wie etwa den Status des Asylverfahrens oder Informationen zur beruflichen Qualifikation, beinhalten sollte“, sagte er.
In den Staatskanzleien der Länder dürfte man schon zufrieden sein, wenn die Arbeitsgruppe sich bis Ende Januar auf ein Modell für eine schlichte Bezahlkarte einigt. Entwickelt werden soll es von den Sparkassen. Dafür machte sich zumindest Helmut Dedy vom Städtetag stark.
„Auch die Sparkassen sollten in die Gespräche und Planungen eingebunden werden“, sagte er. Bei den Sparkassen selbst wollte man sich dazu nicht äußern. Vorbilder für eine Bezahlkarte lassen sich im Ausland längst finden. Und auch im Inland gibt es erste Ansätze. So will die Stadt Hannover Geflüchteten ohne eigenes Konto bis Jahresende eine „Socialcard“ aushändigen, auf die der Regelsatz geladen wird.