Monday, October 2, 2023
Jetzt könnte etwas ins Rutschen kommen
t-online
Jetzt könnte etwas ins Rutschen kommen
Artikel von David Schafbuch •
1 Std.
Unterstützung der Ukraine
Jetzt könnte etwas ins Rutschen kommen
Ukrainischer Soldat bei einer Übung: Verliert das Land an Unterstützung im Westen?
Der Westen stand bisher größtenteils geeint hinter der Ukraine. Doch gleich mehrere Ereignisse vom Wochenende bereiten dem Land Sorgen – das könnte nur ein Vorgeschmack sein.
Viel Bewegung war zuletzt nicht zu erkennen: Trotz heftiger Feuergefechte meldete der ukrainische Generalstab am Sonntagabend keine neuen Geländegewinne in seiner groß angelegten Offensive. Das amerikanische Institute for the Study of War (ISW) konnte auch keine großen Bewegungen an der Front im Süden der Ukraine vermelden.
Russland habe zwar "taktische Gegenangriffe" im Gebiet um den umkämpften Ort Robotyne gestartet. Große Erfolge auf russischer Seite waren allerdings ebenfalls nicht zu erkennen, heißt es in dem jüngsten Briefing des Instituts. Die Situation südlich des Ortes sei aktuell "unbeständig": Einige Stellungen sollen in der jüngsten Zeit mehrfach zwischen Russland und der Ukraine hin und her gewechselt sein.
Unbeständig könnte auch ein passender Begriff für das sein, was die Ukraine aktuell auf politischer Ebene erlebt. Denn am Wochenende erhöhten gleich mehrere Ereignisse die Wahrscheinlichkeit, dass die westlichen Militärhilfen möglicherweise nicht mehr ganz so regelmäßig in Kiew eintreffen werden wie zuvor: In den USA einigte sich das Repräsentantenhaus auf einen Übergangshaushalt, der keine neuen Unterstützungen der Ukraine vorsieht. In der Slowakei setzte sich bei den Parlamentswahlen Ex-Ministerpräsident Robert Fico durch. Im Wahlkampf hatte er damit geworben, "nicht einen Schuss Munition" mehr liefern zu wollen.
Was bedeutet das für die Ukraine?
"Deutliche Schwächung"
"Das wäre eine klare, deutliche Schwächung der Ukraine", sagt Politikwissenschaftler Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck t-online über einen möglichen Ausfall der USA. Tatsächlich gibt es kein Land, dass die Ukraine militärisch nur ansatzweise in einem ähnlichen Ausmaß unterstützt hat. Laut dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat die US-Regierung bisher Militärhilfen im Wert von rund 42 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt oder angekündigt. Zum Vergleich: Die Bundesregierung hat bisher rund 17 Milliarden Euro ausgegeben – und liegt damit international auf Rang zwei.
Der Grund für die vorerst ausbleibende Hilfe aus Washington liegt bei den Republikanern: Zwar gibt es in der Partei nicht wenige Politiker, die weiter die Ukraine unterstützen wollen. Der einflussreiche Senator von South Carolina, Lindsey Graham, warnte zuletzt mit drastischen Worten vor einem Ende der US-Militärhilfen: Wenn die USA der Ukraine "den Stecker ziehen" würden, wären die Auswirkungen zehnmal schlimmer als beim Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan, sagte Graham dem Sender CBS. Auch sei eine solche Aktion ein "Todesurteil gegen Taiwan", das von China beansprucht wird.
Der sehr laute rechte Flügel der Republikaner sieht das dagegen anders, genauso wie die Mehrzahl der Wähler der Partei: Anfang September sprachen sich laut einer CBS-Umfrage 56 Prozent der Anhänger der Republikaner dafür aus, die Ukraine weniger zu unterstützen. Und auch Donald Trump, der im kommenden Jahr erneut ins Weiße Haus einziehen will, wirbt bereits damit, die Militärhilfen kürzen oder einstellen zu wollen.
Zeit wird knapp
Die US-Regierung von Joe Biden betont allerdings weiterhin, eng an der Seite der Ukraine zu stehen. Auch Gerhard Mangott glaubt noch nicht, dass die Hilfen so schnell versiegen. Zudem seien noch nicht alle Mittel, die bereits bewilligt wurden, auch vollständig ausgegeben. Allerdings schließt sich auch aus seiner Sicht ein Zeitfenster: "Im US-Wahlkampf werden neue Hilfen für die Ukraine wohl kaum noch möglich sein."
Doch könnte ein anderes Land oder eine Institution dann für die USA einspringen? Die EU-Außenminister demonstrierten heute ihre Unterstützung zur Ukraine damit, dass sie unangekündigt gemeinsam in Kiew tagten. Die deutsche Amtsinhaberin Annalena Baerbock (Grüne) warb für einen "Winterschutzschirm", um das Land in den kommenden Monaten vor russischen Angriffen zu schützen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell machte den Vorschlag, zwischen 2024 und 2027 jährlich mit Militärhilfen im Wert von fünf Milliarden Euro zu unterstützen. Das entspräche jährlich grob der Summe, die die EU seit Beginn des Krieges zur Verfügung gestellt hat.
Dmytro Kuleba und Josep Borrell: Der EU-Außenbeauftragte war mit allen EU-Außenministern zu Gast in der Ukraine.
Einen entsprechenden Beschluss gab es in Kiew allerdings nicht. Politikwissenschaftler Mangott will dem Treffen daher auch keine zu große Bedeutung zumessen: "Das Treffen in Kiew hat zweifellos eine symbolische Bedeutung. Aber solange es keine Beschlüsse gibt, hilft auch eine solche Zusammenkunft nicht."
Der Experte sieht auch mit den angekündigten Hilfen nicht, wie die EU eine mögliche Lücke der USA auffangen sollte: Inklusive humanitärer und weiterer finanzieller Hilfen haben die EU-Institutionen zwar insgesamt noch mehr Geld für die Ukraine als die USA ausgegeben. Die militärische Unterstützung ist allerdings deutlich geringer und kann auch nicht so einfach vergrößert werden.
Slowakei wankt
Gleichzeitig ist auch die innereuropäische Geschlossenheit gegenüber der Ukraine zuletzt ins Wanken geraten: Unter dem Eindruck der kommenden Parlamentswahl in Polen waren die Beziehungen zwischen Kiew und Warschau zuletzt deutlich abgekühlt. Eine noch deutlichere Kehrwende könnte es jetzt in der Slowakei geben, nachdem am Wochenende die Partei von Ex-Regierungschef Robert Fico die meisten Stimmen erhalten hatte. Der Politiker hatte im Wahlkampf vor allem damit geworben, dass unter seiner Führung die Ukraine militärisch nicht mehr unterstützt werde.
Robert Fico: Der slowakische Politiker will als Ministerpräsident die Militärhilfen an die Ukraine beenden.
"Die Slowakei hat die Ukraine bisher massiv unterstützt", bilanziert Gerhard Mangott. Unter anderem lieferte das Land gemeinsam mit Polen als bisher einziger Staat Kampfjets des Typs MiG-29, die noch aus sowjetischer Produktion stammen. Zusätzlich gab das Land Panzer ab, die im Ringtausch mit Deutschland ersetzt wurden. Kurz vor der ukrainischen Grenze ist mittlerweile ein Wartungszentrum entstanden: Dort repariert das deutsche Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) etwa beschädigte Panzer oder Haubitzen für das ukrainische Militär. Zuletzt hatte die Regierung in Bratislava auch angekündigt, die Produktion von Munition zu verstärken.
Koalition steht noch nicht
Wie konkret eine Regierung unter Fico die Hilfen einschränkt, ist noch unklar. Gerhard Mangott geht davon aus, dass unter dem Linkspopulisten auch neue EU-Sanktionen schwieriger durchzusetzen wären: Denn die können in Brüssel nur einstimmig getroffen werden. Möglicherweise müsste die EU dann für jede Zustimmung neue Gelder für die Slowakei bereitstellen. Es wäre eine Praktik, die bereits vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bekannt ist.
Ausgemacht ist es allerdings noch nicht, dass eine neue Regierung in Bratislava ihre Ukraine-Politik gänzlich umkrempeln wird. Wahlgewinner Fico ist für eine Mehrheit auf die Unterstützung der drittplatzierten Partei Hlas-SD angewiesen. Die sozialdemokratische Partei ist gegen eine Abkehr des bisherigen Ukraine-Kurses. Theoretisch ist es auch möglich, dass mehrere kleine Parteien gegen Fico eine Koalition bilden. Der Wahlsieger wird allerdings zunächst als Erster seine Optionen diskutieren können: Staatspräsidentin Zuzana Čaputová hat Fico heute den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt.