Sunday, April 10, 2022
Scholz muss sich aus der Deckung wagen
Scholz muss sich aus der Deckung wagen
RP ONLINE - Vor 4 Std.
Berlin. Die Bundesregierung kann es sich nicht länger leisten, in der Ukraine-Krise duckmäuserisch zu wirken. Das spielt dem russischen Präsidenten Putin in die Hände.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Auftaktkundgebung zum Landtags-Wahlkampf der SPD in Lübeck am Wochenende.
In der Krise beweist sich der Charakter. Das Zitat wird dem einstigen SPD-Kanzler Helmut Schmidt zugeschrieben. Der Charakter des heutigen SPD-Kanzlers Olaf Scholz wird beschrieben als nüchtern, selbstbewusst, klug abwägend. Jedenfalls alles andere als emotional aufbrausend, populistisch wankelmütig. Scholz ist einer, der mit dem Kopf Politik macht. Nicht mit dem Bauch. Doch manchmal braucht es Gesten im politischen Geschäft.
Es braucht Auftritte, die Wiederhall finden. Wie seine Rede vor dem Bundestag, als er angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine eine Zeitenwende und massive Mittelerhöhungen für die Bundeswehr versprach. Dieses Mal wird es mit einer Bundestagsrede aber nicht getan sein. Auch nicht mit der Zusicherung von Unterstützung in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi.
Sicher, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, die auch potenziell verheerende Vergeltungsschläge Russlands hervorrufen könnten, müssen genau abgewogen werden. Insofern sind einige der Charaktereigenschaften, für die Scholz bekannt ist, durchaus von Vorteil. Doch Deutschland droht seinen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges zu verspielen, wenn die Bundesregierung zu zögerlich bleibt.
Die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und andere EU-Staatschefs waren bereits in Kiew, genau wie der britische Premier und Anti-Scholz Boris Johnson. Deutschland und Frankreich, die bislang in vielen entscheidenden Fragen zum europäischen Umgang mit der Krise die Federführung übernommen hatten, fallen derzeit scheinbar aus. Frankreich wegen der dort laufenden Präsidentschaftswahl. Und Deutschland wegen uneindeutiger Positionen zu geforderten Waffen, Energie-Importstopps und anderer drängender Probleme in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise.
Was es nun also braucht, ist ein klares und hartes Signal gegen Putin, das die Ukraine nicht an deutscher Unterstützung zweifeln lässt und zugleich Europa im Vorgehen gegen den Kriegstreiber im Kreml eint. Wie es derzeit läuft, spielt Deutschland indirekt Putin in die Hände. Er kann mit anschauen, wie westliche Spitzenpolitiker in Kiew Versprechungen machen, wohlwissend, dass diese nur teilweise im europäischen Konzert abgesprochen sind. Das bietet Putin Angriffsfläche, um weiter einen Keil in die internationale Gemeinschaft zu treiben, die sich zuerst so stark gegen ihn formiert hatte.
Scholz kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, die er ausfüllen muss. Ob er will oder nicht. Wer Führung bestellt, bekommt sie auch, hat er mal gesagt. Jetzt ist es an der Zeit. Denn selbst mit kleinen Gesten wäre schon ein Anfang getan. Doch selbst am Berliner Hauptbahnhof, wo zeitweise tausende Flüchtlinge aus der Ukraine ankamen und weiter ankommen, und der in Sichtweite zum Bundeskanzleramt ist, ließ Scholz sich bislang nicht blicken. In der Krise beweist sich der Charakter. Möge es eine kluge Abwägung geben mit klarem und wirkmächtigem Ergebnis. Und möge es ein Ende des duckmäuserischen Eindrucks geben, den die Bundesregierung derzeit immer wieder abgibt.