Sunday, April 10, 2022
Russland wirft mehr als ein Dutzend ausländische Organisationen aus dem Land – der Raum für die Zivilgesellschaft wird immer enger
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Russland wirft mehr als ein Dutzend ausländische Organisationen aus dem Land – der Raum für die Zivilgesellschaft wird immer enger
Markus Ackeret, Moskau - Vor 6 Std.
Mit einem Federstrich hat das russische Justizministerium ein weiteres Kapitel der Zusammenarbeit der vergangenen dreissig Jahre mit dem Westen beendet. Den Vertretungen von dreizehn ausländischen Nichtregierungsorganisationen in Russland wurde die Registrierung entzogen; das kommt einem Verbot der Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation gleich. Betroffen sind unter anderem Amnesty International, Human Rights Watch (HRW), das Moskauer Carnegie-Zentrum sowie die Niederlassungen aller deutschen parteinahen Stiftungen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Zeichen der Zerrüttung der Beziehungen
Vor dem Hintergrund der sich rapide verschlechternden Beziehungen zwischen Russland und dem Westen bereits in den vergangenen Jahren und erst recht seit dem als «militärische Spezialoperation» getarnten Angriff auf die Ukraine waren Zwangsschliessungen und Verbote erwartet worden. Zahlreiche ausländische Stiftungen waren zuvor bereits behindert, verboten oder gar als «unerwünscht» eingestuft worden, darunter auch das Berliner Zentrum Liberale Moderne und der Deutsch-Russische Austausch. Das macht jede Zusammenarbeit für russische Bürger zu einer potenziell strafbaren Handlung.
Dass jetzt mehr als ein Dutzend Organisationen gleichzeitig ihre Arbeit einstellen müssen, geht aber weiter, als viele Beobachter und Beteiligte erwartet hatten. Es ist ein doppelter Schlag: gegen die Verbindungen mit dem Ausland einerseits und gegen die Überreste der russischen Zivilgesellschaft anderseits, die im Rahmen dieser Kooperationen auf ein bisschen mehr Sauerstoff zum Atmen hoffen konnte.
Es zeigt die vollständige Zerrüttung der Beziehungen und unterstreicht nur, dass diese angebrochene Düsternis keine – wie manche im Westen immer noch denken möchten – kurzfristige Eintrübung ist, sondern eine lange Phase neuer konfrontativer Koexistenz bedeutet. Die Schliessung des Moskauer Carnegie-Zentrums belegt das ebenfalls. Dessen Analysen der russischen Innen- und Aussenpolitik, der Ukraine und Weissrusslands, aber auch der ganzen Region bis China durch russische Wissenschafter und Publizisten gehörten zum Fundiertesten im russischsprachigen Raum.
Gewalt nach aussen und innen
Die betroffenen Organisationen wurden pauschal wegen Verletzung der russischen Gesetzgebung aus dem Land geworfen. Ihre konkrete Arbeit spielte vermutlich eine geringere Rolle für die Entscheidung des Justizministeriums als dieser grundsätzliche Zeitenwechsel. Russland ist seit mehreren Jahren dabei, alle freiheitlichen Errungenschaften der vergangenen mehr als dreissig Jahre seit dem Ende der Sowjetunion und den Reformen Michail Gorbatschows einzukassieren. Mit dem Krieg gegen die Ukraine geschieht dies so explizit wie nie.
Was die «Spezialoperation» in Form von imperialistischer Gewaltentfesselung nach aussen trägt, richtet der repressive Staat schon seit Jahren und nun noch verstärkt nach innen. Wer anders denkt, wird eingeschüchtert, gebrandmarkt, hinausgedrängt und moralisch oder gar physisch vernichtet. Das betrifft die Opposition, Medien und unabhängige Organisationen.
Die Behörden störten sich schon lange an Amnesty International und HRW wegen ihrer harschen Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Russland. Die unbeirrte Benennung der Verbrechen im Ukraine-Krieg brachten das Fass zum Überlaufen. Weniger eindeutig ist es im Falle der deutschen Stiftungen und erst recht der vergleichsweise unpolitischen DFG. Diese profitierten jahrelang von dem heute verpönten «besonderen» Verhältnis zwischen Russland und Deutschland. Alle Stiftungen ermöglichten Politikern «ihrer» Parteien, auf Reisen und in Seminaren in Russland Kontakte zu knüpfen. Die Privilegierung Deutschlands in Europa durch Moskau ist definitiv vorbei.
Partner gefährdeter Organisationen
Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung und, wenn auch in etwas anderen Feldern, die mit der SPD verbundene Friedrich-Ebert-Stiftung arbeiteten oftmals eng mit staatlichen oder staatsnahen Strukturen zusammen. Aber sie unterhielten stets auch Beziehungen zu wichtigen unabhängigen Akteuren. Stärker auf Bürgerrechts- und Oppositionsgruppen fokussiert, waren die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und die mit den Grünen verbundene Heinrich-Böll-Stiftung sehr wichtige, auch schützende Partner von russischen Organisationen und Gruppen am Rande des gesellschaftlichen Mainstreams.
Spätestens seit der Rückkehr Wladimir Putins in den Kreml 2012 hat das russische Regime den Westen zum Feindbild stilisiert. Umso schwieriger wurde die Arbeit sowohl für die ausländischen Stiftungen als auch für deren einheimische Partner. Erstere wurden als Einflüsterer revolutionärer Umtriebe, Letztere alsbald buchstäblich als «ausländische Agenten» verdächtigt und schikaniert. Beider Spielraum wurde immer enger. Jetzt wird er ganz abgewürgt.