Thursday, April 7, 2022

Russische Söldner und malische Soldaten sollen 300 Zivilisten erschossen haben – es ist womöglich das schlimmste Kriegsverbrechen seit Beginn des Konflikts

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Russische Söldner und malische Soldaten sollen 300 Zivilisten erschossen haben – es ist womöglich das schlimmste Kriegsverbrechen seit Beginn des Konflikts Samuel Misteli, Nairobi - Vor 10 Std. Es begann als Erfolgsmeldung. Am 1. April gab Malis Armee bekannt, sie habe im Dorf Moura, einer «terroristischen Hochburg» im Zentrum des Landes, seit dem 23. März eine grossangelegte Operation durchgeführt. In deren Verlauf habe man 203 bewaffnete Terroristen getötet und 51 Verdächtige verhaftet. Zudem habe man eine «systematische Säuberung» des Gebiets vorgenommen. Doch die Armee schien bereits zu ahnen, dass die Nachricht so nicht Bestand haben würde. Sie wies zum Schluss des Statements warnend darauf hin, «diffamierenden Spekulationen» sei mit Zurückhaltung zu begegnen. Das ist eine knappe Woche her, und inzwischen ist aus der Erfolgs- eine Schreckensmeldung geworden. Laut mehr als zwei Dutzend Zeugenberichten, die unter anderem die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) gesammelt hat, haben Malis Streitkräfte zusammen mit russischen Söldnern in Moura während vier Tagen rund 300 Zivilisten ermordet. Das amerikanische Aussenministerium nannte die Vorwürfe «extrem verstörend». Frankreichs Regierung zeigte sich «schwer besorgt». Human Rights Watch bezeichnete das mutmassliche Massaker als die «schlimmste Greueltat in Mali in den letzten zehn Jahren» – das heisst, seit Beginn des Sahel-Konflikts, der allein 2021 5000 Todesopfer gefordert hat. Über hundert russische Söldner beteiligt Das Dorf Moura hat rund 10 000 Einwohner, liegt 500 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bamako und weniger als 50 Kilometer entfernt von der Stadt Mopti, wo die Uno-Friedenstruppen in Mali eine ihrer grössten Basen unterhalten. Moura stand in den letzten Jahren faktisch unter der Kontrolle einer jihadistischen Gruppierung, die mit al-Kaida verbündet ist. Laut Zeugenberichten begann der Angriff am Morgen des 27. März, als ein Viehmarkt stattfand, für den auch viele Händler von ausserhalb nach Moura gekommen waren. Die Armee flog mit Helikoptern ein und setzte Soldaten ab, die sich daraufhin ein Feuergefecht mit rund 30 Jihadisten lieferten. Danach riegelten die Soldaten den Ort ab, patrouillierten in den Strassen und nahmen mehrere hundert Personen fest. Human Rights Watch schätzt, dass über 100 russische Söldner an der Aktion beteiligt waren. Die Festgenommenen wurden ausserhalb des Ortes in zwei Gruppen aufgeteilt, ein Teil von ihnen musste drei Massengräber ausheben. In den folgenden Tagen wurden sporadisch Gefangene abgeführt und erschossen – manche durch gezielte Kopfschüsse, andere durch Sturmgewehrsalven. Ein Überlebender sagte den Rechercheuren von Human Rights Watch: «Selbst als sie mir sagten, ich könne gehen, dachte ich noch, es sei eine Falle. Als ich davonlief, hielt ich meinen Atem an, ich wartete darauf, dass eine Kugel mich treffen würde.» Ein Händler, der zusammen mit zwei Brüdern für den Markt nach Moura gekommen war, schilderte die Rolle der Russen. «Sieben Russen kamen auf uns zu, sie sagten uns, wir sollten aufstehen. Sie durchsuchten uns, brachten uns dann aus dem Dorf raus. Ein paar Stunden später fragten uns etwa zehn Russen und ein malischer Übersetzer, ob wir wüssten, weshalb wir verhaftet worden seien. Sie belehrten uns, dass alle in dieser Gegend Jihadisten geworden seien. Eine andere Gruppe von Russen zeigte auf meine Brüder und einen anderen Mann. Sie brachten sie ein paar Meter weiter weg und erschossen sie, aus nächster Nähe.» Neue russische Kampfhelikopter für Mali Tötungen von Zivilisten in Mali haben in den letzten Monaten zugenommen. Laut Human Rights Watch haben allein die malischen Streitkräfte von Januar bis Mitte März mindestens 71 Zivilisten getötet – durch das Massaker in Moura hat sich diese Zahl nun vervielfacht. Die Uno-Friedensmission Minusma zählte im vergangenen Jahr 584 getötete Zivilisten, 331 von ihnen durch jihadistische Gruppen. Der Anstieg der Gewalt gegen Zivilisten fällt zusammen mit der Ankunft von Söldnern der Gruppe Wagner, einer Kreml-nahen privaten Militärfirma. Malis Militärregierung bestreitet die Präsenz von Wagner-Söldnern, sie spricht von «russischen Ausbildnern», die sich im Land befänden. Analysten und Diplomaten sind sich jedoch sicher, dass seit Dezember rund 1000 Wagner-Söldner in Mali eingetroffen sind. Bei Berichten über Übergriffe auf die malische Zivilbevölkerung war in den letzten Monaten mehrfach die Rede von «weissen Soldaten», die präsent gewesen seien. Die französische Zeitung «Le Monde» berichtete im März, Wagner-Söldner hätten in einem Militärcamp zusammen mit Maliern junge Männer gefoltert, um den Aufenthaltsort von Jihadisten herauszupressen. Die Folterer sollen den Opfern unter anderem Elektroschocks zugefügt haben und Exekutionen vorgetäuscht haben. Die Berichte über Übergriffe der Wagner-Söldner decken sich mit solchen aus der Republik Zentralafrika, wo die Truppe seit mehreren Jahren unter anderem einen von Rebellen bedrängten Präsidenten beschützt. Wagner-Söldner werden in Zentralafrika unter anderem für Folter, extralegale Tötungen und Vergewaltigungen verantwortlich gemacht. Das Eintreffen der Söldner war auch einer der Gründe dafür, dass die Beziehungen zwischen Mali und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich Anfang Jahr kollabiert sind. Frankreich ist seit 2012 militärisch in Mali stark präsent, zurzeit mit noch knapp 2500 Soldaten. Nachdem die malische Armee im Mai 2021 die Macht ergriffen hatte, verschlechterten sich die Beziehungen rasch. Im Februar dieses Jahres gab Frankreich bekannt, seine verbliebenen Truppen aus Mali abziehen zu wollen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine spekulierten Analysten, ob Russland kurzfristig Ressourcen aus Mali und andernorts in Afrika abziehen würde. Der Kontinent war in den letzten Jahren in den Fokus von Russlands geopolitischen Ambitionen gerückt. Ende März meldete das britische Verteidigungsministerium, Wagner-Personal sei aus Afrika abgezogen worden, um für Verstärkung in der Ukraine zu sorgen. Im Fall von Mali gibt es aber keine Anzeichen, dass das russische Interesse erlahmen würde. Anfang März, als der Krieg in der Ukraine schon stattfand, reiste Malis Verteidigungsminister nach Moskau. Es ging dabei vermutlich um Waffenlieferungen. Ende März trafen in Bamako zwei neue Kampfhelikopter und weitere Rüstungsgüter aus russischer Produktion ein.