Monday, April 4, 2022

In Frankreich könnte ein trojanisches Pferd Putins die Wahl gewinnen

WELT In Frankreich könnte ein trojanisches Pferd Putins die Wahl gewinnen Martina Meister - Gestern um 22:00 Von einem „Teflon-Wahlkampf“ sprechen die politischen Beobachter in Frankreich, von einer Wahlkampagne, die selbst an den Franzosen abzugleiten scheint und niemanden wirklich interessiert. Das liegt vor allem daran, dass der Ausgang der Wahlen bereits im Vorfeld festzustehen schien. Amtsinhaber Emmanuel Macron lag wochenlang mit rund 30 Prozent in den Umfragen deutlich vor allen Konkurrenten. Mit 27 Prozent führt er eine Woche vor dem ersten Wahlgang am kommenden Sonntag immer noch die Umfragen an, gefolgt von Marine Le Pen vom Rassemblement National, die bei 22 Prozent liegt. Dass Macron im zweiten Wahlgang am 24. April auf die Rechtspopulistin treffen wird, scheint ebenfalls ausgemacht, auch wenn der Linkspopulist Jean-Luc Melenchon von La France Insoumise mit 15 Prozent einen soliden dritten Platz hält. Die Aussicht auf ein Remake von 2017 sorgt in Frankreich für wenig Begeisterung. Etwa die Hälfte der Wahlberechtigten beabsichtigt ihre Stimme bei der ersten Runde am 10. April anderen Kandidaten zu geben als einem der Favoriten. Etwa ein Drittel der Wahlberechtigten, so die Befürchtung der Meinungsforscher, könnte gar nicht erst zur Wahl gehen. Die Distanz zur Kontrahentin schrumpft Doch eine Woche vor dem ersten Urnengang ist deutlich Bewegung in das Rennen gekommen: Während Le Pen in den Umfragen zulegt, verliert Macron. Die Dynamik der beiden Kandidaten ist genau gegensätzlich. Sollten sie in der Stichwahl aufeinandertreffen, wäre der Abstand so gering wie nie zuvor. Anders als 2017, als Macron den Zweikampf gegen die Rechtspopulistin Le Pen mit 66 Prozent haushoch gewann, könnte der Abstand dieses Mal auf fünf bis sechs Prozentpunkte zusammenschrumpfen, wie die jüngsten Umfrage-Ergebnisse voraussagen. Die Wahl Le Pens zur Präsidentin ist unwahrscheinlich, aber sie ist nicht unmöglich. Die Gefahr ist eindeutig größer als 2017. Das Beispiel des Brexits, die Wahl Donald Trumps und die mögliche Fehlerquote der Demoskopen sorgen jedenfalls dafür, dass sich Amtsinhaber Macron nicht länger in Sicherheit wiegen kann. Bei seiner ersten und einzigen Wahlkampfveranstaltung am Samstag, die als Wahl-Show wie der amerikanischen Super Bowl konzipiert war, hat Macron vor rund 30.000 Fans zu einer „Generalmobilmachung“ aufgerufen. Man möge sich nicht auf Umfragen verlassen. Viele Wahlen der jüngsten Vergangenheit hätten gezeigt, so Macron, dass „passieren kann, was unmöglich scheint“. Le Pen wendet sich von Putin ab In der Wahlbroschüre des Rassemblement National ist ein Foto abgedruckt, dass Le Pen zeigt, wie sie Wladimir Putin die Hand schüttelt. Die Wahlwerbung war vor dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine gedruckt und wurde dann schnell aus dem Verkehr gezogen. Bis dahin hatte die Rechtspopulistin ihr enges Verhältnis zu Moskau ausgestellt, wann immer es sich anbot. Es waren auch russische Banken, die ihr den Wahlkampf 2017 mit 9,1 Millionen Euro finanziert haben. Nach einem Vergleich muss die Partei die Summe bis 2028 zurückzahlen. Le Pen war damals das trojanische Pferd russischer Propaganda: Weil sie für den Austritt aus der EU war, wurde sie von Putin gefördert, dessen Ziel seit Langem die Schwächung, wenn nicht der Zerschlagung Europas war. Seit dem Krieg in der Ukraine rudert die Rechtspopulistin zurück. Aber auch nur halb. Auf die Frage einer Fernsehmoderatorin, ob Putin nach dem Krieg wieder ein Alliierter des Westens sein könne, antwortete sie Ende vergangener Woche: „Selbstverständlich“, eine Großmacht könne Alliierter, Gegner Konkurrent oder Feind sein. Inzwischen will Le Pen die EU nicht mehr verlassen und den Euro beibehalten, weil sie weiß, dass man mit dem alten Radikalprogramm die Wahlen nicht gewinnen kann. Aber sie macht kein Geheimnis daraus, dass sie weiterhin von einer „neuen Weltordnung“ träumt, die Putin und zeitweise auch Donald Trump verkörperten. Die „Stimme Moskaus“ an ihrer Seite Als erklärte Nationalistin wird sie als Präsidenten alles tun, die EU zu blockieren und die Brüsseler Schraube zurückzudrehen. Eine große Hilfe könnte ihr dabei Thierry Mariani sein, Europaabgeordneter des RN aus Südfrankreich. Der Ex-Konservative, der Russisch spricht und mit einer Russin verheiratet ist, gilt seit Jahren als „Stimme Moskaus“ und würde sich als Außenminister anbieten. Er zeigt sich genauso gern mit Putin wie mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad. „Le Monde“ berichtet, dass Mariani von Le Pen gebeten worden sei, sich während des Wahlkampfs „ganz klein zu machen“. Le Pens Büroleiter Renaud Labaye wird mit den Worten zitiert: „Wenn man mir eines Tages Beweise vorlegt, dass Mariani Verbindungen zum russischen Geheimdienst hat, wäre ich nicht überrascht.“ Wie auch immer die Wahl am 24. April ausgeht, feststeht, dass sich die Traditionsparteien vom politischen Erdbeben von 2017 nicht erholt haben. Im Gegenteil. Konservative wie Sozialisten, die beiden politischen Familien, die die vergangenen 45 Jahre die Parteienlandschaft prägten und sich an der Macht abwechselten, stehen vor einem noch größeren Trümmerhaufen. Die rechtsbürgerliche Kandidatin Valerie Pecresse ist in den Umfragen unter zehn Prozent gerutscht. Viele Parteifreunde sind in den vergangenen Wochen zu Macron übergelaufen und nicht einmal Ex-Präsident Nicolas Sarkozy unterstützt sie. Bei der Parti Socialiste (PS) ist die Lage noch dramatischer. Mit zwei Prozent in den Umfragen bildet die Kandidatin der Sozialisten und Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, das traurige Schlusslicht dieses Wahlkampfs, abgeschlagen sogar hinter dem Kandidaten der Kommunisten. Neuordnung der parteipolitischen Landschaft Von der „zweiten Etappe der politischen Neuordnung“ spricht deshalb der Politologe Brice Teinturier vom Umfrageinstitut Ipsos im Gespräch mit WELT. Es könnte die endgültige sein. Die klassischen Kräfte scheinen dauerhaft an den Rand gedrängt, die alte Spaltung zwischen rechts und links wurde ersetzt durch die zwischen Progressisten und Nationalisten. Doch Macrons Lager der Mitte steht ein ebenso starker rechtspopulistischer Block gegenüber. Wenn man die Umfragewerte für Le Pen, Eric Zemmour (Reconquete) und den Nationalisten Nicolas Dupont-Aignan (Debout la France) zusammenzählt, ist dieser mit 30 Prozent genauso stark.