Wednesday, November 8, 2023
Der «Richard David Precht der Industrie»: Wie der Trigema-Chef Wolfgang Grupp in Deutschland zur Kultfigur wurde
Neue Zürcher Zeitung Deutschland
Der «Richard David Precht der Industrie»: Wie der Trigema-Chef Wolfgang Grupp in Deutschland zur Kultfigur wurde
Artikel von Nelly Keusch •
13 Std.
Zweireiher, Krawatte und Einstecktuch: Wolfgang Grupp ist aus der deutschen Öffentlichkeit kaum wegzudenken.
«Wenn einer zu Hause arbeiten kann, dann ist er unwichtig»: Mit dieser Aussage in einem Interview mit dem «Tagesspiegel» geriet Wolfgang Grupp Anfang Oktober wieder einmal in die Schlagzeilen. Wer zu allem Ja sage, brauche sich nicht wundern, wenn immer mehr gefordert werde, so der Trigema-Chef.
Wolfgang Grupp ist einer der bekanntesten Unternehmer Deutschlands. Dies allerdings nicht wegen seiner herausragenden unternehmerischen Leistungen, sondern wegen der provokativen Aussagen, die er regelmässig tätigt. Sei es die moderne Arbeitswelt, die Rollenverteilung der Geschlechter oder der Krieg in der Ukraine – Wolfgang Grupp hat zu allem eine Meinung. Das Portal T-Online bezeichnete ihn deswegen als «Richard David Precht der Industrie».
Die nächste Generation übernimmt
Nun geht der Firmenpatron per Ende Jahr in Rente, Trigema übergibt er an seine beiden Kinder. Der Bekleidungshersteller mit Sitz im schwäbischen Burladingen beschäftigt in Deutschland rund 1200 Mitarbeiter und rühmt sich damit, vollständig in der Heimat zu produzieren. Wolfgang Grupp, der 1942 in Burladingen geboren wurde, übernahm den Betrieb 1969 von seinem Vater.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Trigema bei einem Umsatz von umgerechnet 8,7 Millionen Euro 5,1 Millionen Euro Schulden und blickte auf eine äusserst unrühmliche NS-Geschichte zurück: Als NSDAP-treuer Betrieb hatte das Unternehmen unter anderem mit Zwangsarbeitern Wehrmachtskleidung hergestellt.
Grupp fokussierte die Trigema-Produktion auf T-Shirts, Sweatshirts und Tennisbekleidung und erwarb dazu unter anderem die Exklusivlizenz für Walt-Disney-T-Shirts. Bis 1975 konnte er sämtliche Schulden des Unternehmens tilgen, 2022 stand der Umsatz von Trigema bei 127 Millionen Euro.
Grupp als Trigema-Werbegesicht
Der deutschen Öffentlichkeit wurde Trigema vor allem durch auffällige Werbeaktionen ein Begriff. Dazu zählen die Spots, die lange Zeit unmittelbar vor der «Tagesschau» liefen und einen synchronisierten Schimpansen zeigten. Die Videos haben Kultstatus erreicht – ebenso wie Wolfgang Grupp, der aus der deutschen Öffentlichkeit kaum mehr wegzudenken ist. In zahlreichen Medienauftritten engagierte er sich in den vergangenen Jahren für den Produktionsstandort Deutschland und warb damit, dass es bei Trigema seit über 30 Jahren weder Kurzarbeit noch Entlassungen gegeben habe.
Er, der sich gerne als Patron des deutschen Mittelstands ausgibt, hat sich durch seinen unternehmerischen Erfolg weit davon entfernt: Das Gruppsche Familienanwesen thront auf einem 25 000 Quadratmeter grossen Grundstück mit Pool, für kurze Reisen nutzt Grupp, der stets mit Zweireiher, Krawatte und Einstecktuch auftritt, seinen Helikopter mit der Aufschrift «Hallo, Fans». Er sei ein Egoist, sagte er dem «Tagesspiegel»: «Mir soll es gut gehen, ich will Geld verdienen.»
Dennoch verkörperte Grupp stets den Familienunternehmer alter Schule, der Verantwortung für seine Firma übernimmt und mit seinem Privatvermögen haftet – und sich über jeglichen neumodischen Schnickschnack beschwert. So betonte er in Interviews gerne, dass er weder Computer noch Smartphone besitze. Mails lasse er sich ausdrucken, Antworten diktiere er seiner Sekretärin.
Seine Ansichten passen nicht in die Zeit
Mit seinen Ansichten wirkt er immer mehr aus der Zeit gefallen. Gegenüber der NZZ gestand er vor ein paar Jahren, er sei nur bekannt, weil er Dinge sage, die man so nicht mehr sage. Männer seien zuständig für das Einkommen, die Mütter für die Kinder, erklärte er etwa in einem RTL-Podcast. «Wenn heute Frauen die Jobs wollen, und die Männer sollen den Haushalt machen, dann ist die Welt verkehrt geworden.»
Hat Grupp sich deswegen entschieden, seinem Sohn bei der Nachfolgeregelung den Vorrang zu geben? Noch im Oktober hatte er angekündigt, seine beiden Kinder Wolfgang junior, 32, und Bonita, 34, würden das Unternehmen gleichberechtigt weiterführen. Wie nun jedoch bekanntwurde, wird Wolfgang junior zum 1. Januar 2024 persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer, seine Schwester lediglich Mitglied der Geschäftsführung.
Und auch mit seinen Ansichten zur Weltpolitik machte Grupp sich in jüngster Zeit wenig Freunde: Bei einer Festrede im September 2022 sprach er in Bezug auf den russischen Überfall auf die Ukraine davon, dass die USA im Hintergrund alles steuern würden, um Russland, die Europäische Union und Deutschland kleinzuhalten. Für Wladimir Putin äusserte er Verständnis.
Privates und Geschäft seien für ihn eine Einheit, betonte Grupp stets. Alles, was er tue, tue er für Trigema. Nun wird er mit 81 Jahren in den Hintergrund treten – vorstellen kann man sich das kaum.