Monday, February 6, 2023
Darf ich Migrationsprobleme ansprechen, obwohl ich kein Rassist bin?
Merkur
Darf ich Migrationsprobleme ansprechen, obwohl ich kein Rassist bin?
Artikel von Anne-Christine Merholz • Vor 6 Std.
Darf ich Migrationsprobleme ansprechen, obwohl ich kein Rassist bin?
Deutsche haben das Recht, die Haltung von Migranten gegenüber Deutschland zu kritisieren, sagt Autorin Cigdem Toprak. Sie erklärt, wie eine gute Diskussion gelingen kann.
Es ist nicht so, dass Menschen mit Migrationshintergrund nicht andere Migranten kritisieren. Auch sie sprechen über Migrationsprobleme. Als Geflüchtete aus Syrien 2015 nach Deutschland kamen, hörte ich einen 18- jährigen deutschen Azubi mit türkischen Wurzeln, in einer Shishabar zu seinem Freund sagen: „Die kriegen bei ihrer Ankunft soviel Geld vom deutschen Staat, das gibt es nicht.“ Über das gewalttätige Verhalten junger Männer in Neukölln ärgerten sich andere Menschen mit Migrationshintergrund.
Deutsche haben das Recht, die Haltung von Migranten gegenüber Deutschland zu kritisieren
Auch Migranten auf der Sonnenallee fühlen sich beim Jahreswechsel in der Hauptstadt durch die Gewalt der Männer nicht sicher, wie sie es in Interviews oder auf TikTok sagten. Die Herkunft sollte keine Rolle spielen. Nicht nur Ausländer und Deutsche mit Migrationshintergrund haben das Recht, das Verhalten und die Einstellung von anderen Migranten infrage zu stellen. Auch Deutsche, die seit fünf Generationen hier leben, haben das Recht, über die Herausforderungen von Migration und die Haltung von Migranten gegenüber Deutschland zu kritisieren. Denn sie alle wissen: Das Wunderbare an diesem Land ist die Freiheit. Die Freiheit, das sagen zu dürfen, was man denkt, woran man glaubt, wovon man fest überzeugt ist. Hinter dieser Freiheit dürfen sich aber Rassisten nicht verstecken. Aber ist man ein Rassist, wenn man über Probleme der Migrationspolitik sprechen möchte? Ist es rassistisch zu sagen, dass die Masseneinwanderung von Hunderttausenden Syriern ohne Grenzkontrollen auch eine Bedrohung für unsere innere Sicherheit ist? Ist es rassistisch zu meinen, dass die Integration gescheitert sei, wenn junge Frauen in Deutschland ermordet werden, weil sie ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Gleichheit leben möchten?
Man ist ein Rassist, wenn man glaubt, dass die Gründe hierfür biologischer Natur seien. Es ist rassistisch, zu sagen, dass diese Menschen minderwertig seien, weil sie in diese Gruppe hineingeboren sind. Ein Rassist glaubt daran, dass sie in ihren Genen etwas Schlechtes, Böses, Kriminelles, Fanatisches, Undemokratisches oder Gewalttätiges tragen. Rassisten sind davon überzeugt, dass Migranten niemals zu einem Teil der deutschen Gesellschaft gehören werden. Für sie hängt Deutschsein von biologischen Faktoren wie die Haut- und Augenfarbe ab oder beruht auf einer kulturellen Erziehung, die mit der Muttermilch aufgesogen wird. Ein Rassist interessiert sich nicht für Migranten. Er wünscht ihnen nichts Gutes. Er möchte nicht mit ihnen friedvoll zusammenleben. Er glaubt, dass sie von Geburt an und bis zu ihrem Tod niemals ihm gleichwertig seien. Damit verletzt der Rassist eine der wichtigsten Prinzipien unserer Demokratie, der deutschen Demokratie: Dass alle Menschen gleich sind. Auch hier spielt die Herkunft keine Rolle.
Darf ich Migrationsprobleme ansprechen, obwohl ich kein Rassist bin?
Nicht nur Deutsche ohne ausländische Wurzeln können Rassisten sein. Auch Migranten können rassistisch gegenüber Deutschen oder andere Migranten sind, weil sie einer Nationalität oder Konfession angehören, die sie als minderwertig empfinden. Es kommt vor, dass sich gebildete Exiliraner als kulturell überlegen gegenüber Marokkanern oder Türken empfinden, die sie als „dummes“ Proletariat ansehen oder die türkische Kultur als minderwertig betrachten. Und auch manche Türken werten Menschen aus dem arabischen Kulturraum ab.
Wie aber können wir über Probleme und Herausforderungen der Einwanderungspolitik sprechen, ohne rassistisch zu sein? Wir müssen die Freiheit schützen, dass wir Migrantengruppen und Migrationspolitik kritisieren dürfen. Solange wir diesen Raum nicht groß genug halten, werden sich Demokraten von Rassisten angesprochen fühlen. Und sie machen das, was wir bei unserer Kritik an Einwanderungspolitik nicht machen dürfen: Sich einer rassistischen Sprache zu bedienen.
Auch Lehrer mit Migrationshintergrund beschweren sich über ihre Schüler mit Migrationshintergrund, weil sie den Erziehungsstil ihrer patriarchalisch geprägten Eltern kritisieren. Auch sie halten die frauen- und deutschfeindlichen Einstellungen in migrantischen Communities als problematisch. Aber sie bezeichnen Schüler mit Migrationshintergrund nicht wie Friedrich Merz als „kleine Paschas“, sie diffamieren sie nicht, sie werten sie nicht, sie stempeln sie nicht ab. Vor allem: Sie geben sie nicht auf.
Den Begriff Rassismus nicht inflationär verwenden
Um Rassismus bekämpfen zu können, ihn sichtbar machen, ihn der Gesellschaft aufzeigen zu können, dürfen wir diesen Begriff nicht inflationär verwenden. Nicht jede Kritik an Einwanderung ist Rassismus. Aber um Migrationspolitik zu kritisieren, dürfen wir uns nicht einer rassistischen Sprache bedienen. Kritik an Migranten und Migrationspolitik müssen wir zulassen, damit sie in einem demokratischen Rahmen geschieht. Mit einer Sprache des Respekts, der Vernunft und Empathie. Eine Kritik ohne Rassismus ist möglich. Sogar notwendig. Denn diese demokratische Kritik kann zu einer der wichtigsten Waffen werden, um Rassismus aus demokratischen Diskursen zu verbannen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um rassistisches Gedankengut im Keim zu ersticken.