Monday, February 13, 2023
Berlin-Wahl: Ist Franziska Giffey noch zu halten?
Berlin-Wahl: Ist Franziska Giffey noch zu halten?
Artikel von Elmar Schütze • Vor 5 Std.
Es war ein Wahlabend zum Vergessen für die Berliner SPD. Und er schien auf eine komplette Katastrophe hinauszulaufen, bis die Partei ganz am Ende, kurz vor Mitternacht, doch noch an den Grünen vorbei auf Platz zwei stolperte. Lichtjahre hinter der CDU. Fast alle Wahlgebiete waren ausgezählt, da gab es doch noch diesen klitzekleinen Booster. Am Ende hatte die SPD 105 Stimmen mehr als die Grünen: Platz zwei. Und alle Optionen waren wieder offen: ein Weiter-so mit Rot-Grün-Rot unter eigener Führung, eine Juniorpartnerschaft unter CDU-Wahlsieger Kai Wegner oder eine Erneuerung in der Opposition. Noch in der Nacht und auch später am Nachmittag bei der Sitzung des Landesvorstands stellte sich aber die drängende Frage: Ist Franziska Giffey noch zu halten? Selbst ein Rücktritt ist im Gespräch.
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Giffey die Hoffnungsträgerin der SPD. Zwei Wahlen später, jeweils mit dem historisch schlechtesten Ergebnis, steht die 44-Jährige mehr denn je infrage. Hat sie nach desaströsen 18,4 Prozent überhaupt noch die Legitimation für eine Zukunft als Regierungschefin? Und wie geht man mit den Gesprächsangeboten der CDU um? Wenn man sich darauf einließe, wer könnte die Sondierungsgespräche führen? Etwa der zusammen mit Giffey abgestrafte Co-Vorsitzende Raed Saleh? Wollen beide das überhaupt? Und hätten sie die dafür notwendige Autorität?
Passend zur Debatte, ob die SPD eine Koalition ohne und gegen die Wahlsiegerin CDU führen sollte, hat deren Generalsekretär Stefan Evers ein Zitat des früheren SPD-Bundesvorsitzenden Norbert Walter-Borjans gefunden und getwittert. „Wenn man mit Abstand Zweiter wird, zudem mit dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte, dann hat man vielleicht die Möglichkeit, aber nicht das moralische Recht dazu.“
Walter-Borjans’ Zitat ist anderthalb Jahre alt und galt dem damaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der selbst nach klaren Verlusten bei der Bundestagswahl noch damit liebäugelte, mit Grünen und FDP über eine Koalition zu verhandeln und die Wahlsiegerin SPD damit in die Opposition zu schicken. Kurz darauf war Laschets Jamaika-Traum ausgeträumt und er selbst ein Mann von gestern. Zur Erinnerung: Laschet war für die CDU angetreten, das Bundeskanzleramt zu verteidigen.
Franziska Giffey, so scheint es, hofft weiter auf eine Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken. „Wenn die SPD in der Lage ist, eine starke Regierung anzuführen, dann ist das für uns ein Punkt, den wir nicht einfach zur Seite schieben können“, sagte sie am Morgen im RBB-Inforadio. Sie sagt nicht, dass das unbedingt an ihrer Person hänge. Rückendeckung dafür gab es von SPD-Chef Lars Klingbeil: Giffey habe bislang viel angepackt, sagte er am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. „Und sie ist auch die Richtige dafür, das weiter zu tun.“
Partei- und Fraktionschef Raed Saleh hatte sich am Wahlabend und am Morgen danach merklich zurückgehalten. Erst am Mittag verschickte der starke Mann der Berliner SPD eine Mitteilung. Darin sprach er von einer „Protestwahl“ zugunsten der CDU. Ursache sei eine Unzufriedenheit, die einen eindeutigen Auftrag beinhalte: „Die Politik in dieser Stadt muss zu einem besseren Miteinander kommen und die unterschiedlichen politischen Positionen im Interesse der gesamten Stadt ausgleichen.“ Die SPD werde jetzt beraten „und geschlossen mit den demokratischen Parteien, insbesondere unseren Partnern, Gespräche führen“.
Nun ist Klingbeil zwar Chef, aber fernab von Berliner Realitäten. Und Saleh ist ein erprobter Manager der Macht. Doch die Niederlage trifft eine Partei, die seit mehr als drei Jahrzehnten im Senat und seit 22 Jahren ununterbrochen im Roten Rathaus sitzt. Nicht von ungefähr sprechen viele Akteure im politischen Berlin davon, dass sich die SPD die Stadt in dieser Zeit zur Beute gemacht habe. Dass sich Macht abnutze.
An vielen Sozialdemokraten geht das nicht spurlos vorbei. So plädiert nicht nur der stellvertretende Landesparteichef Kian Niroomand für eine ehrliche Aufarbeitung. „Das Ergebnis ist für uns eine Zäsur“, sagte er am Montag der Deutschen Presse-Agentur. „Es kann nicht so weitergehen.“ Die SPD müsse ihre Wahlniederlage „mit Demut annehmen“ und sich fragen, wie sie sich für die Zukunft aufstellen wolle. Niroomand plädierte dafür, darüber in Ruhe zu diskutieren und sich nicht vorschnell auf Bündnisse festzulegen.
Niroomand ist Kreisvorsitzender von Charlottenburg-Wilmersdorf. Und auch aus anderen Kreisen mehren sich die Stimmen, die sagen, die Partei könne nach so einer Klatsche unmöglich weitermachen wie bisher. Das betreffe auch Franziska Giffey.
Zwar sei nicht zu erwarten – und auch nicht unbedingt notwendig –, dass sie bereits in den kommenden Tagen als Parteichefin zurücktrete. Doch schon die Sondierungen mit der CDU sollte sie nicht leiten. „Das kann sie nach diesem Wahlergebnis gar nicht“, sagte ein Parteifunktionär im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Wer dann? In mehreren Gesprächen dazu fällt unabhängig voneinander immer wieder ein Name: Kevin Kühnert, früherer Bezirksverordneter von Tempelhof-Schönberg, zeitgleich Juso-Chef und seit etwas mehr als einem Jahr Generalsekretär der Bundespartei.