Wednesday, March 30, 2022

Weekly Comic: Europa erlebt gerade den wahren Preis für russisches Gas

Weekly Comic: Europa erlebt gerade den wahren Preis für russisches Gas de.investing.com Investing.com - Vor 5 Std. Von Geoffrey Smith Investing.com -- Die Fortschritte auf dem Weg zu einem Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine mögen sich zwar beschleunigen, für die weltweiten Energiemärkte ist jedoch der Zeitpunkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, ebenso wie für die zerstörten Städte Charkiw und Mariupol, zweifellos überschritten. Die Europäische Union hat sich letzte Woche endlich dem jahrelangen Druck der USA gebeugt und erklärt, dass sie zumindest einen Teil ihrer Erdgaseinfuhren aus Russland, die größtenteils über Pipelines erfolgen, durch Flüssiggas ersetzen wird. Es bedurfte eines offenen Angriffskrieges - des größten auf dem europäischen Kontinent seit 1939 -, um Europa erkennen zu lassen, dass es durch seine Abhängigkeit von russischer Energie faktisch der Gnade eines Nachbarn ausgeliefert ist, der sich noch immer nicht von einer jahrhundertealten Gewohnheit des Imperialismus lösen kann, und das unter der Herrschaft eines Mannes, der weder die Methoden noch die Ziele des KGB der ehemaligen Sowjetunion niemals aufgegeben hat. Endlich scheint der Groschen gefallen zu sein. Im Rahmen einer Vereinbarung, die die EU und die USA letzte Woche getroffen haben, werden die USA dazu beitragen, in diesem Jahr zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter Gas für die europäischen Märkte bereitzustellen, diese Lieferungen sollen bis zum Ende des Jahrzehnts auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Kurzfristig wird sich Europa mit dem abfinden müssen, was auf dem freien Markt verfügbar ist, langfristig jedoch werden wohl die USA bzw. weltweite US-Unternehmen einen Großteil dieses Gases liefern. Auch wenn dies wie geplant stattfindet, wird Russland immer noch der bei weitem größte Energielieferant der Region sein (laut Eurostat lieferte es im Jahr 2020 24 % der gesamten in der EU verfügbaren Bruttoenergie), aber zumindest könnte damit ein eklatantes Ungleichgewicht teilweise ausgeglichen werden. Der Ukraine-Krieg stellt somit einen Wendepunkt auf den Weltenergiemärkten dar: der Moment, in dem sich einer der größten Energie verbrauchenden Wirtschaftsräume der Welt bewusst dafür entschied, für den mit einer Versorgungssicherheit einhergehenden Seelenfrieden zu zahlen. Die Worte „Russland ist kein zuverlässiger Energielieferant“ mögen nicht so dramatisch erscheinen wie Bidens Beschreibung von Putin als „Kriegsverbrecher“ und „Mörder“, aber sie treffen den Kern des wirtschaftlichen Selbstverständnisses Russlands, und als der deutsche Vizekanzler Robert Habeck sie am Montag aussprach, bedeuteten sie das Ende einer mehr als 40 Jahre (unter deutscher Führung) verfolgten europäischen Wirtschaftsdoktrin, die darauf abzielte, vergangene Feindseligkeiten zu begraben und durch den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen den langfristigen Frieden mit Russland zu sichern. „Selbst in den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges haben die Sowjets Öl nie als Waffe gegen uns eingesetzt“, so Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, am Montag. „Wir dachten, ‚das wird immer so bleiben‘ und dass sie diese Beziehung niemals missbrauchen würden.“ Die Kontinuität dieses Denkens seitens aller Beteiligten ist auffällig. In den 1980er Jahren versuchte Ronald Reagan verzweifelt, den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl davon abzuhalten, die Verträge zu unterzeichnen, die das erste russische Gas in die BRD bringen sollten. Kohl blieb hartnäckig, getrieben von der Überzeugung seiner Generation, dass Deutschland und Russland nie wieder in einen Krieg ziehen dürfen (er entschädigte jedoch Reagan damit, indem er eine skeptische Öffentlichkeit davon überzeugte, die Stationierung atomar bewaffneter Pershing-Raketen zu dulden). Reagan brachte dabei genau die gleichen Argumente über Abhängigkeit und Angreifbarkeit vor, die in den letzten Jahren von den Regierungen von George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden wiederholt wurden - Regierungen, die sonst wenig gemeinsam hatten. Ein Gradmesser für Putins Rücksichtslosigkeit und Fehleinschätzung ist das Ausmaß, mit dem er mit jahrzehntelangem russischem strategischem Denken, einschließlich seinem eigenen, gebrochen hat. Es ist daher naheliegend, dass es, sobald die Aufregung über den gegenwärtigen Krieg nachlässt, wieder dieselben Kompromisse in ähnlicher Form geben wird. Das Versprechen billigerer russischer Energie wird immer da sein und die europäische Industrie und die Regierungen beschäftigen, die es sich kaum leisten können, noch höhere Kosten auf ihre Kunden und Wähler abzuwälzen. Pipeline-Gas aus Russland wird weiterhin billiger sein als Flüssigversionen aus den USA, Trinidad oder Katar, selbst wenn Deutschland und Italien auf wundersame Weise teure neue Regasifizierungsanlagen bauen können, während sie gleichzeitig versuchen, sich vollständig von fossilen Brennstoffen zu lösen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Irgendwann wird Europa entscheiden müssen, ob es den billigeren und einfacheren Weg der Wiederbelebung des Gashandels mit Russland wählt oder ob es noch mehr Geld in die Energiewende steckt, um seine Gesamtnachfrage nach fossilen Brennstoffen zu senken. Aber das Kalkül „Inwieweit kann man Russland vertrauen?“ ist eine Konstante des europäischen Denkens über die Jahrhunderte. Wenn die Frage das nächste Mal gestellt wird, wird der wahre Preis der billigen russischen Energie zumindest zu offensichtlich sein, um ihn zu ignorieren.