Tuesday, March 1, 2022
Russland-Nähe: Gregor Gysi kritisiert Sahra Wagenknecht mit scharfem Brief
Russland-Nähe: Gregor Gysi kritisiert Sahra Wagenknecht mit scharfem Brief
DER SPIEGEL
Marc Röhlig - Vor 2 Std.
Der Ukraine-Krieg sorgt für neuen Streit bei der Linken: Mit einem scharfen Brief an Sahra Wagenknecht und andere Genossen hat sich Gregor Gysi über deren Nato-Kritik beschwert. Wagenknecht schlug via Twitter zurück.
Die russische Invasion in der Ukraine hat in den vergangenen Tagen auch die Linkspartei erschüttert. Viele Genossinnen und Genossen vertraten dort lange die Meinung, die russische Aggression sei durch ein »Säbelrasseln« der Nato zu rechtfertigen – bis russische Truppen dann unprovoziert in die Ukraine einmarschierten.
Die Führungsebene der Linkspartei hat den Angriffskrieg scharf verurteilt. Doch nun sorgt ein Brief vom außenpolitischen Sprecher und ehemaligen Fraktionschef Gregor Gysi für neuen Streit. Teile der Linken pochen nach wie vor auf eine Teilschuld der Nato beim Ukrainekrieg – Gysi zeigt sich im Schreiben »entsetzt«.
Den Brief, der dem SPIEGEL vorliegt, hat Gysi an die ehemalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht gerichtet, sowie an den ehemaligen Parteichef Klaus Ernst, Sevim Dagdelen, Andrej Hunko, Sören Pellmann, Zaklin Nastic und Christian Leye. Alle werden dem linken Wagenknecht-Lager in der Fraktion zugerechnet.
Die sieben Abgeordneten hatten am Sonntagabend nach der Sondersitzung der Bundesregierung eine gemeinsame Erklärung abgegeben – und sich damit gegen die Fraktions- und Parteispitze ihrer eigenen Partei gestellt. Darin bemängeln sie »eine Übernahme der vor allem von den USA in den letzten Jahren betriebenen Politik, die für die entstandene Situation maßgebliche Mitverantwortung trägt«. Sie suggerieren also: Die Nato-Osterweiterung sei ein zentraler Grund für das schlechte Verhältnis zwischen Russland und dem Westen. Es ist die Lesart, die der Kreml immer wieder vorbringt, um seinen Angriff zu rechtfertigen.
»Völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges«
Gysi kritisierte die Erklärung nun scharf: »Ich bin insgesamt über eure Erklärung entsetzt und wollte euch das wissen lassen.«
Was ihn entsetze, sei »die völlige Emotionslosigkeit hinsichtlich des Angriffskrieges, der Toten, der Verletzten und dem Leid«. Millionen Menschen seien – so wie er – tief bewegt, Hunderttausende demonstrierten. »Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch«, heißt es in dem Brief, der an die gesamte Fraktion verschickt wurde.
Auch er kritisiere die Nato, schreibt Gysi weiter. In diesem Fall habe das Bündnis aber »keinen einzigen Fehler begangen«, der den Krieg rechtfertige. »Müssen nicht auch wir über uns nachdenken, eine gewisse Zäsur begreifen?«, fragt Gysi schließlich. Auch deutet er an, über seine Rolle als außenpolitischer Sprecher »neu nachdenken« zu müssen. Wagenknecht und die anderen hätten ihn »weder gefragt noch einbezogen, was wohl ebenso eure Absicht war«.
Die angesprochene Genossin reagierte kurze Zeit später auf Twitter. »Ich bin entsetzt über den Brief von Gregor Gysi, der den Eindruck erweckt, es gäbe in der linken Bundestagsfraktion Mitglieder, mich eingeschlossen, die Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht unmissverständlich verurteilt hätten«, schrieb sie auf Twitter.
Sie verwies darauf, dass sie den Angriffskrieg als völkerrechtswidrig verurteilt habe. Dass es ihr an Empathie mangele, sei beinahe »Rufmord«. Sie weise diese Darstellung »aufs Schärfste zurück«. Auch schreibt Wagenknecht, es habe gar keine Chance gegeben, Gysi als außenpolitischen Sprecher zu konsultieren. Er habe an der Abstimmung nicht teilgenommen, »da er zeitgleich in einem Berliner Kino sein neues Buch vorgestellt hat«.
Erst vergangene Woche hatte Wagenknecht gesagt, sie könne sich einen Angriff Russlands nicht vorstellen – nach der Invasion musste sie einen Fehler einräumen.
Der Umgang mit Russland entzweit die Linke bereits seit Längerem. Unter anderem forderte die Partei einen Austritt Deutschlands aus der Nato sowie eine Beendigung aller Auslandseinsätze. Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow hatte sich im vergangenen Jahr kompromissbereit gezeigt, für eine potenzielle rot-rot-grüne Regierung diese Vorsätze aufzuweichen.