Wednesday, February 15, 2023

Lachen die Inder gerade Deutschland aus?

Berliner Zeitung Lachen die Inder gerade Deutschland aus? Artikel von Michael Maier • Gestern um 20:51 Indiens Öl- und Gasminister Shri Hardeep Singh Puri zeigte sich kürzlich in einem Interview mit Bloomberg TV in heiterer Stimmung: Indien schicke sich an, zu einer der führenden Nationen in der Öl- und Gasindustrie zu werden. Riesige Landflächen seien für die Erkundung für neue Öl- und Gasvorkommen freigegeben worden, sagte Puri. Die großen US-Konzerne wie Exxon Mobil oder Chevron stünden bereit, massiv in den neuen Öl- und Gas-Boom zu investieren. Vor allem das Raffineriewesen blühe, sagte Puri, lächelte jedoch schließlich die Frage nach der Zukunft weg: Die Interviewerin wollte nämlich wissen, ob das russische Öl, das nach Indien kommt, dort zu Treibstoff verarbeitet und schließlich in die EU und die USA weitergeschickt werde, der Grund für den erstaunlichen Aufschwung des Sektors sei: Das wisse er nicht, denn er sei ja nur der Minister, die Geschäfte würden schließlich von Unternehmen gemacht, deren Erfolge sich am Markt entscheide. Seine fröhliche Grundstimmung begründete der Minister mit einer Aussage, die der von einem immer neuen Sanktionswettbewerb gebeutelten deutschen Industrie fast schon exotisch klang: Die Märkte seien „wunderbar“, denn sie sorgten dafür, „dass unsere globale Wirtschaft am Laufen bleibt“. Der Ölmarkt sei von Interessen geprägt, Altruismus gäbe es nicht: „Der Ölmarkt ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung oder eine Sache für Philanthropen“, sagt Puri. Daher denke Indien nicht daran, seine Strategie zu ändern, denn am Ende werde der Preis über Angebot und Nachfrage bestimmt und nicht durch politische Erklärungen. Die wahren Entscheider seien nicht die Politiker, sondern die Händler – und die wüssten, was sie zu tun haben. Indien spielt laut Bloomberg eine immer wichtigere Rolle auf den globalen Ölmärkten. Die Händler kaufen immer mehr billiges russisches Öl und raffinieren es zu Treibstoff für Europa und die USA. Die indische Strategie wird von der US-Regierung gutgeheißen, weil sie das doppelte Ziel des Westens erfüllt, Moskaus Energiepreise zu drücken und gleichzeitig sicherzustellen, dass es zu keinem Zusammenbruch der Weltwirtschaft kommt, so die Times of India. Die immer neuen Verschärfungen der EU-Sanktionen spielen Indien in die Karten. Am Mittwoch gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Details geplanter weiterer Sanktionen gegen Russland bekannt. Die EU schlägt „Exportverbote im Wert von mehr als 11 Milliarden Euro vor, um der russischen Wirtschaft wichtige Technologien und Industriegüter vorzuenthalten“. Um eine maximale Wirkung zu erzielen, zielt die EU laut von der Leyen „lebenswichtige Güter wie Elektronik, Spezialfahrzeuge, Maschinenteile, Ersatzteile für Lastwagen und Strahltriebwerke“ sowie „auf Güter für den Bausektor, die an das russische Militär gerichtet werden können, wie Antennen oder Kräne“, ab. Der Export von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck und fortschrittlichen Technologiegütern soll weiter eingeschränkt werden. Die Sanktionen dürften mit Sicherheit auch die russische Erdöl- und Gasindustrie treffen. Das in Vorbereitung befindliche zehnte Sanktionspaket ziele außerdem auf „viele Industriegüter, die Russland braucht“ und die es nicht als Ausgleich von Drittländern bekommen könne. Auch sieben Unternehmen im Iran sollen laut der Kommissionspräsidentin mit Sanktionen belegt werden, weil diese Russland mit Drohnen versorgt hätten, die zu Angriffen auf Zivilisten in der Ukraine verwendet worden seien. Seit 2012 gibt es EU- und US-Sanktionen gegen die Ölindustrie im Iran. Auch gegen Venezuela gibt es Sanktionen, weshalb die indische Position von einer gewissen Verwunderung geprägt ist: Wenn es den Europäern verboten sei, in wichtigen Ländern Öl zu kaufen, warum sollte Indien dann moralische Skrupel haben, mit Russland zusammenzuarbeiten und so für die Stabilität der globalen Wirtschaft zu sorgen? Öl- und Gasminister Puri sagte, dass auch die USA enorm von der neuen Weltlage profitierten, weil Indien auch Öl und Gas aus den USA importiere. Dies sei noch vor zwei Jahren nicht der Fall gewesen. Indien hat im Januar 2023 laut Bloomberg etwa 89.000 Barrel Benzin und Diesel pro Tag nach New York geliefert, die höchste Zahl seit fast vier Jahren, so das Datenaufklärungsunternehmen Kpler. Die täglichen schwefelarmen Dieselflüsse nach Europa beliefen sich im Januar auf 172.000 Barrel, die höchsten seit Oktober 2021. Die neuen EU-Sanktionen gegen Russland werden dazu führen, dass eine große Menge Diesel vom Markt kommt, und die Europäer dazu bringen, ihre Versorgungslücke über Indien zu schließen. Das wird billiges russisches Öl für Indien noch attraktiver machen, das auf Importe angewiesen ist, um rund 85 Prozent seines Rohölbedarfs zu decken. Die Raffinerien des Landes, einschließlich der staatlichen Verarbeiter, die für die Deckung der Inlandsnachfrage verantwortlich sind, haben im vergangenen Jahr ihre Exporte erhöht, um von höheren internationalen Preisen zu profitieren. Für Russland ist das kein großes Problem, weil Russland sein Öl immer noch profitabel verkaufen kann, wenngleich nicht mehr mit solch astronomischen Margen wie vor den Sanktionen. Eine Schwierigkeit für die Europäer könnte darin bestehen, dass eine Überprüfung der Qualität nicht mehr möglich ist. Ölminister Puri sagte Bloomberg, Öl trage, wenn es einmal zu Treibstoff verarbeitet sei, keinen Herkunftsnachweis mehr. Russlands Exportmarke Urals hat eine niedrigere Qualität als Brent-Öl, auf den Märkten gibt es bereits Spekulationen, dass die Russen die Qualitätskontrollen weiter lockern könnten, um die Marge hoch zu halten. Die Umwelt wird durch den doppelten Ansatz – Schädigung Russlands bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der globalen Wirtschaftsaktivitäten – ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogen. So berichtet Hellenic Shipping, dass die Sanktionen zu einem massiven Anstieg der sogenannten dunklen Flotte oder Schattenflotte geführt hätten, also älterer Tanker mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen, die außerhalb westlicher Versicherungs-, Finanz- und Schifffahrtskreise operieren und die Angewohnheit haben, ihre Standort-Meldungen abzuschalten. Ein Vertreter von Trafigura, einem der weltweit größten Handelsunternehmen, sagte Bloomberg, dass die Schattenflotte jetzt rund 600 Schiffe umfasst, die zehn Prozent der Rohöltanker der Welt und sieben Prozent ihrer Treibstofftanker umfassen. „Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Russland seine Exporte von Rohöl oder raffinierten Produkten einschränken muss“, sagte David Wech, Chefökonom von Vortexa. Er ist überzeugt, dass es genügend Schiffe geben werde, um umgeleitete raffinierte Produktströme abzufertigen, wie dies bereits in der Rohölschifffahrt der Fall ist. Der Preis für die Umwelt ist jedoch hoch: Ältere Tankschiffe, die die Umwelt stärker verschmutzen und weniger betriebssicher sind, würden normalerweise zum Recycling auf die Schrottplätze gebracht und durch moderne, effizientere Schiffe ersetzt werden. Aber die Eigentümer wollen sie jetzt nicht mehr verschrotten, weil sie in sanktionierten oder halb-sanktionierten Geschäften riesige Prämien verdienen können. Die Schattenflotte entstand erstmals in kleinerem Maßstab, als die USA Ölexporte aus dem Iran und Venezuela sanktionierten. Im Laufe des letzten Jahres ist die Größe explodiert, da ältere Tanker angeschafft wurden, um russische Ladungen zu transportieren. Die Schattenflotte „könnte als eine neue Form der Verschrottung angesehen werden“, sagte Svein Moxnes Harfjeld, CEO des Rohöltankerbesitzers DHT, laut Bloomberg. Indiens Öl- und Gasminister Puri ist trotzdem auch hinsichtlich der ökologischen Transformation guter Dinge: Indien habe ein ganz tolles Konzept, das er aber leider noch nicht gelesen habe. Ihm sei die ökologische Transformation jedoch sehr wichtig, weshalb er froh sei, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen bei seinem Ministerium für Öl und Gas angesiedelt sei. Es sei ihm auch gelungen, einen „höchst kompetenten und erfahrenen früheren Kollegen“ aus der Rente zu holen, der sich um die ökologische Transformation kümmern werde. Der Mann sei lange leitender Beamter des Öl- und Gasministeriums gewesen. Sein Spezialgebiet seien Mineralöle gewesen.