Wednesday, February 19, 2025

US-Bericht über deutsche Staatsanwälte sorgt für Wirbel – was dahintersteckt

FOCUS online US-Bericht über deutsche Staatsanwälte sorgt für Wirbel – was dahintersteckt Ansgar Graw • 3 Std. • 4 Minuten Lesezeit Drei deutsche Staatsanwälte werden in der CBS-Doku interviewt und vorgestellt. Amerika ist anders. Das wird in diesen Tagen deutlich, in denen zuerst Vizepräsident J.D. Vance die Münchner Sicherheitskonferenz nutzte, um Europa vor einem Verlust der Meinungsfreiheit zu warnen. Und es geht weiter mit einer Ausgabe der Sendung „60 Minutes“ des US-Senders CBS, der völlig unaufgeregt drei niedersächsische Staatsanwälte begleitete und interviewte. Sie verfolgen sogenannte „Hass-Verbrechen“ von Social-Media-Usern, die Beleidigungen oder Schlimmeres im Netz verbreiten. Wie denn die Reaktion sei, wenn man bei Razzien in Privatwohnungen morgens um 7 Uhr das Smartphone eines Tatverdächtigen beschlagnahme, fragt die US-Journalistin? „Die sind geschockt“, sagt einer der Staatsanwälte, und alle drei lachen fröhlich auf. „Schwachkopf“-Post über Habeck führt zur Hausdurchsuchung In Amerika sorgt der Fernsehbeitrag für unverständiges Kopfschütteln. Dort wären staatliche Repressionen wegen derartiger Delikte undenkbar. Donald Trumps Bekenntnis zum „freien Wort“, seine Kritik an woken Sprechverboten und an regulierten und überwachten Netzwerken war einer der wichtigsten Gründe für seine Wahl, haben Umfragen festgestellt – hinter den Themen Migration und Wirtschaft zwar, aber dennoch weit vorne. In der CBS-Sendung ging es um ausgesprochen hässliche Fälle von „Hass-Verbrechen“. Da wurde in einem Meme ein Gewirr von Hochspannungsmasten gezeigt mit der Bilderklärung, das sei ein „Kletterpark für Flüchtlinge“, und zum Bild eines Maschinengewehres hieß es, damit ließen sich „bis zu 1400 Asylanträge pro Minute“ ablehnen. Nicht gezeigt wurden von CBS hingegen wesentlich aktuellere Fälle, darunter der des fränkischen Rentners, der eine verfremdete Werbung der Haarpflege-Firma Schwarzkopf auf X repostete. Zum Konterfei von Grünen-Politiker Robert Habeck stand da jedoch „Schwachkopf“, und deswegen wummerte frühmorgens die Polizei an die Tür des Mannes und vollzog eine Hausdurchsuchung. Es ging um den Tatbestand der gegen eine „Person des politischen Lebens gerichteten Beleidigung“ nach §§ 185, 188 Strafgesetzbuch. „Politikerbeleidigung“ in den USA völlig normal und straffrei Das geschah Mitte November, als in den USA gerade Trump zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt worden war. Den Tatbestand der „Politikerbeleidigung“ gibt es dort nicht. Bei Amazon konnte man zu diesem Zeitpunkt für 17,99 Dollar plus Versandkosten T-Shirts bestellen mit dem Aufdruck „Trump is a moron“, was dem „Schwachkopf“ am nächsten kommt. Niemand käme auf die Idee, gegen einen Käufer oder Träger dieses Shirts juristisch vorzugehen. Wie auch? Im Wahlkampf zog Trump über seine Gegenkandidaten wesentlich unflätiger her. Den damaligen Präsidenten Joe Biden nannte er im März 2024 den „dummen Sohn eines Dummkopfs“, die Vizepräsidentin und spätere Kandidatin Kamala Harris wahlweise eine „IQ-schwache Person“ oder „doof wie Stein“. Ihr „Running Mate“ Tim Walz war laut Trump der „dümmste Mensch, der je kandidiert hat“. Harris verstieg sich nicht zu identischen Aussagen, aber sie bezeichnete Trump als „Faschisten“ mit einem „schmutzigen Mundwerk“. Biden teilte mit ähnlicher Münze aus. NYT: „Amerika hat ein Problem mit der Redefreiheit“ Journalisten pflegen ein anderes Vokabular, aber viele der sogenannten „Mainstream-Medien“ haben Trump regelmäßig geistige Zurechnungsfähigkeit und moralische Integrität abgesprochen. Und umgekehrt droschen rechte Medien wie Fox News oder Breitbart immer wieder auf die Biden-Harris-Administration ein. Trotz dieser Toleranz gegenüber heftigen Beleidigungen sind die Amerikaner stets besorgt um ihre Redefreiheit. Schon im März 2022 warnte ein Leitartikel der „New York Times“: „Amerika hat ein Problem mit der Redefreiheit.“ Von links sei sie bedroht durch Cancel Culture, von rechts durch eine „noch extremere Form der Zensur als Bollwerk gegen eine sich rasch verändernde Gesellschaft“, schrieben die Herausgeber. Nach einer von dem Blatt erhobenen Umfrage glauben nur 34 Prozent der Befragten, alle Amerikaner hätten uneingeschränkte Meinungsfreiheit. 84 Prozent sagen, es sei ein »sehr ernstes« oder »ziemlich ernstes« Problem, dass manche Amerikaner aus Angst vor Vergeltung oder harscher Kritik in Alltagssituationen nicht frei sprechen. Zudem erklären 58 Prozent der Befragten, die sich als Republikaner identifizieren, sie hätten „im vergangenen Jahr mal den Mund gehalten, weil sie Vergeltungsmaßnahmen oder harsche Kritik befürchteten“. Bei den Demokraten war es ebenfalls mehr als jeder zweite (52 Prozent). Debatten zeigen zugespitzten Kulturkampf Die Trump-Anhänger haben es als Sieg der Demokratie gefeiert, dass Facebook-Chef Mark Zuckerberg kurz nach der Wiederwahl ihres Helden das Ende der „Fakten-Checker“ in seinem Portal verkündete. Umgekehrt haben sie aber wenig Probleme damit, dass der neue Präsident AP-Journalisten von den Briefings im Weißen Haus ausschloss, weil sich die Nachrichtenagentur der Trump’schen Sprachregelung verweigert, den „Golf von Mexiko“ nunmehr „Golf von Amerika“ zu nennen. Alle diese Debatten zeigen den zugspitzten Kulturkampf, der zwischen den USA in der „Ära Trump“ und Europa ausgebrochen ist. In Deutschland wird mit großer Berechtigung daran erinnert, dass 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen wurde, weil er die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel verteidigt hatte und sich anschließend über Jahre im Netz Hassbotschaften und Morddrohungen ausgesetzt sah. Aber in den USA gab es allein im letzten Wahlkampf zwei Attentate auf Trump, in einem Fall ritzte eine Kugel sein Ohr. Offenkundig geht man in Amerika Risiken ein, während in Deutschland schon ein „Schwachkopf“-Meme das Konzept der freien Meinungsäußerung aushebelt. Vance hat durchaus einen Punkt getroffen Man sollte sich nicht der Definitionsmacht der Präsidenten beugen – aber auch nicht die Ohren verschließen vor jedem Hinweis aus der Hauptstadt unseres wichtigsten Verbündeten. J.D. Vance hat durchaus einen Punkt getroffen, wenn er in München darauf hinwies, dass in Europa die Redefreiheit auf dem Rückzug sei. In Umfragen gaben Anfang der 70er Jahre noch 83 Prozent an, sie hätten das Gefühl, frei sprechen zu können – heute sagen das nur noch 40 Prozent. Soll dieser Trend noch weitergehen? Dieser Beitrag erschien zuerst bei "The European".